Nitec schrieb:
Albanesi schrieb:
Hi Albanesi,
hast du noch einen Link dazu oder ist es aus einem Buch?
Danke dir,
Cet
Aus den Buche Die sterbenden Europäer zittiert!
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Nur wenn es dir interresiert?
Sephardim, Sorben, Aromunen,Arbereshen
Ein Epitaph auf die «sterbenden Europäer»
Fünf kleine Flecken auf der Landkarte Mittel- und Osteuropas: fünf Enklaven, in denen die Nachfahren von vertriebenen oder geflohenen Volksgruppen leben - das sind die Regionen, die der Salzburger Publizist Karl-Markus Gauss in den Jahren 1999 und 2000 aufsuchte. Er wollte erkunden, wie einst aus ganz anderen Regionen Europas zugewanderte Minoritäten überlebten, ob Sprache, Religion und Brauchtum trotz allen Assimilierungsversuchen oder -versuchungen gewahrt werden konnten bzw. können.
Schon im ersten Kapitel - «Die Sephardim von Sarajewo» - wird deutlich: Je grösser das Völker- und Sprachengemisch sich darstellt, desto grösser ist die Achtung vor Andersgläubigen oder -denkenden und die Chance, die kulturelle Identität zubewahren, ohne sich neuen Einflüssen oder Erkenntnissen zu verschliessen. Jahrhundertelang lebten in Sarajewo Muslime, Christen und die Nachfahren jener Juden friedlich zusammen, die Ende des 15. Jahrhunderts von den Katholischen Königen aus Spanien vertrieben wurden und nach Osten gezogen waren. Als 1992 der Krieg in der bosnischen Hauptstadt ausbrach, wurde Sarajewo gegen den Willen seiner Bewohner dreigeteilt, wurden Orthodoxe plötzlich zu Serben, Katholiken zu Kroaten, Muslime zu Bosnjaken erklärt.Einzig die Juden wurden keiner nationalen Ethnie zugeordnet. Mit Zustimmung aller kriegführenden Parteien durften sie die eingekesselte Stadt unter Uno-Schutz verlassen. «Vielleicht», so einer der wenigen dagebliebenen Sephardim, «hatten die drei grossen Volksgruppen in Bosnien einander so fanatisch gehasst, dass für den Hass auf die Juden einfach keine Zeit und Kraft mehr übrig war.»
Es sind zweifache Reisen, die Gauss unternimmt, Reisen zu den realen Orten und zu den Menschen und Reisen in die Geschichte, wobei er Gelesenes, Gesehenes, Gehörtes mal als Fragmente grösserer Zusammenhänge nebeneinander stellt, mal behutsam miteinander verschränkt. Dann gleicht seine Schreibtechnik dem Schwenk einer Filmkamera, die im Falle Sarajewos vom jüdischen Friedhof zu jener Brücke schweift, über die die Demonstrationen der Bevölkerung gegen die von der Armee errichteten Barrikaden führten; die dann das erste Opfer, eine muslimische Medizinstudentin, in Nah- und Grossaufnahme zeigt; mit abruptem Schnitt bei den Grabsteinen, den hinter ihnen postierten Haubitzen verweilt; mit Rück- und Vorausblenden die Geschichte des Friedhofs, seine spätere Verminung aufscheinen lässt; und schliesslich zurückweicht und einen Blick auf das freigibt, was von dem einst so blühenden Leben in Sarajewo geblieben ist.
Verlust der Heimat - das ist das zentrale Thema bei allen fünf von Gauss vorgestellten Volksgruppen. In der Gottschee, einem Landstrich im slowenisch-kroatischen Grenzgebiet, wurden im 14. Jahrhundert vom damaligen Grundherrn, dem Grafen von Ortenburg, Tiroler Familien angesiedelt, die die urwaldhafte Region in Kulturland verwandeln sollten. 600 Jahre später wurden ihre Nachfahren von Hitler ausgesiedelt, die Dörfer dem Verfall preisgegeben. Die Heimat der in alle Welt versprengten Gottscheer ist nur noch virtuell, im Austausch von Erinnerungen im Internet, vorhanden.
In Kalabrien gibt es etwa dreissig albanische Dörfer. Die Vorfahren der Bewohner waren im 15. Jahrhundert nach der Niederlage ihres Nationalhelden Skanderbeg vor den Türken dorthin geflohen. Einer untergegangenen Kultur treu geblieben, fühlen sie sich angesichts der Entwicklungen in ihrem Herkunftsland um die Heimat gebracht. Ähnliches gilt für die Aromunen, einst ein Volk von grenzüberschreitenden Händlern und nomadisierenden Hirten, dessen Niedergang mit derHerausbildung der Nationalstaaten auf dem Balkan besiegelt war. Muskopolje, einst Sitz der Wissenschaft und der ersten Druckerei auf der Balkanhalbinsel, wurde im 18. Jahrhundert von Albanesen zerstört. Die Aromunen, heute in allerWelt verstreut, haben als kleine Volksgruppe einzig in Mazedonien überlebt. Schliesslich die Sorben aus der Lausitz im deutsch-polnisch-tschechischen Grenzdreieck, eine kleine slawische Völkerschaft mit eigener Sprache. Weite Landstricheihrer Heimat wurden zu DDR-Zeiten durch rücksichtslose Braunkohlen-Gewinnung im Tagebau zerstört. Viele der jahrhundertealten wendischen Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, ganze Dorfgemeinschaften in aus dem Boden gestampfte Siedlungen verfrachtet. Das alles schildert Gauss kenntnisreich, anschaulich und auf Grund eigener Eindrücke. Manchmal mag eine Ausdrucksweise befremden, wie: «der Weg wurde enger und enger - und liess es dann gänzlich sein». Kein Zweifel kann indes daran bestehen, dass es sich hier um einen wichtigen, differenzierten, nachdenklich stimmenden Beitrag zum kulturellen Selbstverständnis eines sich neu formierenden Europa handelt.
Renate Wiggershaus
Karl-Markus Gauss: Die sterbenden Europäer. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 2001. 240 S., mit Fotos von Kurt Kaindl, Fr. 36.80.