Das Rechtssystem
Der Kalif ist von der strafrechtlichen Verfolgung nicht ausgenommen, ebenso wenig sein Kabinett. Bei Verstoß gegen das Gesetz werden sie einem Richter vorgeführt werden. Der Richter wird ohne jegliche Rücksicht auf ihr Amt oder sonstige Stellung urteilen. Sogar der Kalif kann angeklagt und nötigenfalls seines Amtes enthoben werden, sollte er gegen seinen Herrschaftsvertrag (Bai’a) verstoßen.
Das Kalifat kann kein "habeas corpus" (lat. für: du sollst den Körper haben; Bezeichnung für im Mittelalter nicht beschränkte königliche Haftbefehle z.B in England) durch Internierung seiner Bürger verhängen. Es wird auf dem Wege des Abdullah Ibn Zubayr im Hadithbuch von Abu Dawud überliefert: "Der Gesandte Allahs hat angeordnet, dass die beiden Streitparteien vor einem Richter sitzen sollen." Deswegen muss jeder Staatsbürger – ob Muslim oder Nichtmuslim – vor ein Gericht gestellt und sein Anliegen von einem Richter untersucht werden.
Die erforderliche Beweislast, um vor einem Islamischen Gericht für eine Straftat verurteilt zu werden, wiegt weit höher als z.B in England oder westlichen Ländern. Beispielsweise sind Indizienbeweise nicht zulässig und nur vertrauenswürdige Zeugen, Muslime wie Nichtmuslime, dürfen Zeugnis ablegen. Viele Justizirrtümer sind z.B in Britannien aufgrund fehlerhafter forensischer Beweise (Birmingham six trial) oder verurteilter Krimineller, die in den Zeugenstand treten durften, geschehen. Geständnisse werden untersucht, um sicherzustellen, dass sie nicht unter Folter oder sonstigem Zwang gemacht wurden. Gegenwärtig jedoch werden z. B. in England Geständnisse, die im Ausland unter Folter erzwungen wurden, in besonderen 'Terrorismusfällen' vor Gericht anerkannt.
Vor dem Islamischen Gericht herrscht die Unschuldsvermutung und es obliegt dem Kläger, die Beweise für seine Anschuldigung zu erbringen. Dieser juristische Grundsatz kann nicht einfach vom Herrscher übergangen werden, wie beispielsweise Tony Blair dies durch die Einführung von "summary offences" (strafbare Verfehlungen, die in der Regel ohne "indictment", also nicht vor einer Jury abgeurteilt werden) zu tun gedachte. Bei Al-Baihaqiy wird überliefert, dass der Gesandte Allahs (s.a.s.) sagte: "Die Beweislast obliegt dem Kläger, und der Eid obliegt demjenigen, der die Klage negiert."
Bezüglich des Richtens zwischen Leuten der Schrift (Juden und Christen) sagt Allah (s.w.t.) im edlen Qur'an Folgendes:
"[…] richtest du aber, so richte zwischen ihnen in Gerechtigkeit. Wahrlich, Allah liebt die Gerechten." (5:42)