Dieser Tage findet in Mazedonien, Kosova und Albanien eine Debatte rund um die Veröffentlichung der ersten mazedonischen Enzyklopädie statt. Die darin enthaltenen rassistischen Aussagen gegenüber den Albanern führen zu Demonstrationen und Reaktionen quer durch die politische und akademische Landschaft der Albaner auf dem Balkan – mitunter wird die Auflösung der mazedonischen Regierung verlangt. Die verfasste Schrift wurde von der Regierung finanziert, diese lehnt aber jeglichen Zusammenhang ab und Ministerpräsident Gruevski möchte sich nicht gegen die Falschaussagen im Buch äussern.
Die 1945 gegründete Teilrepublik Mazedonien, die 1991 nach dem Zerfall Jugoslawiens die Unabhängigkeit ausrief publizierte einige Tage zuvor ihre erste „Identitätsschrift“. Aufgrund der inhaltlichen Verfälschungen kann dieses Buch wissenschaftlich keiner Argumentation standhalten und verdient somit auch nicht den Titel einer Enzyklopädie. Ein Bestandteil – nebst der seitenlangen Verherrlichung des jetzigen Ministerpräsidenten Nikolla Gruevski - ist wieder einmal die Frage der Albaner.
Politiker, so auch der albanische Ministerpräsident Berisha, zogen Parallelen zu der 1937 erschienen Skandalschrift von Vasa Cubrilovic, in welcher der Fanatiker die Vertreibung der Albaner beschwor. Der Vergleich ist gänzlich legitim, jedoch muss beachtet werden dass in Zeiten der „euro-atlantischen Integrationen“ andere Rahmenbedingungen gegeben sind. Die „Schrift“ musste politisch korrekteren Normen weichen, wobei sich politisch-korrekt nicht auf den Inhalt, sondern den daraus folgernden Schlüssen bezieht. Die Vergangenheit der Albaner ist einmal mehr Thema eines slawisch-akademischen Buches. Welch Wunder mag sich manch einer zynisch denken. Bezüglich vermeintlichen Eigenschaften des albanischen Volkes werden bekannte, oder zumindest für Albaner bekannte Ausdrücke verwendet. Die im Text abwertenden „Shiptari“ (Übersetzt in etwa wildes Bergvolk) sollen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert aus der Region Shkodra (Albanien) eingefallen sein und den friedlichen Mazedoniern das Land gewaltsam weggenommen haben (Anm. in diesem Zeitraum ist nichts über ein slawisches Volk namens Mazedonien bekannt). Eigenschaften wie „wild, gewaltsam und kriminell“ gehören zum Jargon der Belgrader bzw. heute in Skopje weiterlebenden Pseudowissenschaften dazu und finden wie bereits erwähnt in den verschiedenen slawischen Akademien grossen Anklang.
Als Betroffener stellt sich die Frage wie man auf eine solche politisch motivierte Schrift reagieren soll. Ist es sinnvoll auf wissenschaftlich-akademische Art zu argumentieren, Fakten und Tatsachen richtig zu stellen und eine Diskussion zur albanischen Geschichte zu lancieren? Oder soll man menschlich-emotional reagieren, zu Protesten aufrufen und empört in jedes Medium dieser Welt seine erzürnte Meinung widergeben. Die politische Diskussion der letzten Tage hatte beide Aspekte inne. Die albanische Akademie in Tirana und Prishtina boten auf wissenschaftlicher Basis an, die historischen Verdrehungen richtig zu erörtern.
Die Wut über die Fälschung der eigenen Geschichte kann nicht ohne Weiteres an den Albanern vorbeigehen, so sind die Proteste natürlich gutzuheissen. Jedoch sollte die historische Debatte, und ich bin mir sicher albanische Historiker sind hierzu bereit, auch auf die mazedonische Geschichte erweitert werden.
Schliesslich darf man die letzte und wahrscheinlich wichtigste Frage nicht ausser Acht lassen: Wozu dient diese Provokation? Ist es vielleicht einfach ein verzweifelter und nach Anerkennung strebender Aufschrei eines Volkes, welches sich einige Dekaden zuvor noch als Bulgaren sah und heute in einer tiefen Identitätskrise steckt?
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