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Antonis Samaras - Die panhellenische Nervensäge
14.07.2012 · Als griechischer Außenminister stritt Antonis Samaras einst gegen Mazedonien. Heute bekämpft der Ministerpräsident die griechischen Schulden. Deutschland hält er dabei für ein notwendiges Übel.
Von MICHAEL MARTENS
Antonis Samaras: Die panhellenische Nervensäge - Ausland - FAZ
Wer von Antonis Samaras erzählt, sollte bei Emmanouil Benakis anfangen. Dann beginnt die Erzählung auf der Insel Syros, wo Benakis 1843 geboren wurde. Von dort führt sie nach Alexandria, wo er als Baumwollhändler zu Reichtum gelangte, und dann weiter nach Athen, wo er 1914 Bürgermeister wurde und 1929 als hochangesehener Mäzen und Philanthrop starb. Benakis hatte sechs Kinder, von denen einige wie ihr Vater eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben Griechenlands spielten. Die 1874 noch in Alexandria geborene Tochter Penelope machte sich als Schriftstellerin einen Namen und heiratete Stephanos Delta, einen reichen Phanarioten. Sie schrieb außer Kinderbüchern auch patriotische Romane über den Kampf der Griechen um Makedonien im 19. Jahrhundert. Penelope Delta setzte ihrem bewegten Leben im April 1941 ein Ende - an dem Tag, als die Wehrmacht in Athen einmarschierte. Sie hinterließ drei Töchter, von denen Virgina einen Berufspolitiker heiratete. Penelope Deltas Enkel Pavlos wurde als Kunstkritiker und Übersetzer Prousts ins Griechische bekannt. Ihre 2008 verstorbene Enkelin Lena wiederum war die Mutter von Antonis Samaras, des heutigen griechischen Ministerpräsidenten.
Wer diese weitverzweigt-großbürgerliche Familiengeschichte ein wenig kennt, wird den Mann, der die Griechen aus einer der schwersten Krisen ihrer jüngeren Geschichte führen soll, besser verstehen. Dass Samaras’ Ahnen das Schicksal der Griechen seit dem Unabhängigkeitskampf gegen die Osmanen immer wieder mitbestimmt haben, erklärt nicht alles, aber doch einiges in seiner Karriere. Zum Beispiel sein stark ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein, das fast schon eine Besessenheit ist.
Die Gelüste der Russen und Bulgaren
Natürlich will der gebildete und eloquente Harvard-Absolvent Samaras Geschichte machen, als er 1977 im Alter von 26 Jahren sein erstes Parlamentsmandat erringt. Natürlich ziert es die Familientradition, als er Ende der achtziger Jahre im Kabinett von Konstantinos Mitsotakis erst Finanz-, dann Außenminister wird. Er ist 38 Jahre alt und bereits der populärste Politiker seiner Partei, der konservativen Nea Dimokratia. Viele halten es für ausgemacht, dass Samaras ein künftiger Ministerpräsident ist. Er auch. Klar, bei der Familie. Athener Journalisten, die ihn damals erlebten, beschreiben ihn als sehr selbstbewussten Mann, der sich sicher zu sein schien, dass er die Welt aus den Angeln heben könne. Oder zumindest Griechenland.
Als Samaras 1989 Außenminister wird, fehlt ihm allerdings noch ein ureigenes Thema, ein populäres Leitmotiv, auf das er seinen weiteren Aufstieg gründen kann. Das ergibt sich, als 1991 Jugoslawien zerfällt und an Griechenlands Nordgrenze ein neuer Staat namens Mazedonien entsteht. Samaras erkennt die Chance und greift auf einen Topos des griechischen Nationalismus zurück, den schon seine Urgroßmutter in ihren historischen Romanen bearbeitet hatte. Er schürt die Angst der Griechen davor, dass der Norden ihres Landes, an der Scheidelinie zwischen hellenischer und slawischer Welt gelegen, verloren gehen könnte. Die Furcht vor den Gelüsten von Russen und Bulgaren, später auch der Sowjetunion oder Jugoslawiens, auf Griechenlands Anteil an der historischen Region Makedonien war im 20. Jahrhundert ein zentraler (und zeitweilig nicht unbegründeter) Bestandteil der griechischen Geschichtserzählung.
Nun traten den Griechen scheinbar neue Gegner entgegen: Die Mazedonier, die allein durch ihren Namen Verrat am Griechentum begingen. Denn Mazedonier können laut griechischer Lesart nur die Nachfahren Alexanders des Großen sein, also Griechen. Samaras nutzt das Mobilisierungspotential dieser Angst und bricht eine hysterische Kampagne gegen die slawischen Politiker in Skopje vom Zaun. „Samaras schreckte nicht davor zurück, bei CNN aufzutreten und vor aller Welt den „Skopjotern“ zu unterstellen, sie würden gern glauben, Alexander der Große sei ein „Jugoslawe“ gewesen“, sagt der Historiker Adamantios Skordos. Auf Gipfeltreffen der Europäischen Gemeinschaft verteilt Samaras Memoranden über die geschichtliche Wahrheit im griechisch-mazedonischen Namensstreit an die anderen Außenminister.
Einigen Beteiligten ist er noch heute als panhellenische Nervensäge in Erinnerung. Jürgen Chrobog, damals Politischer Direktor des Auswärtigen Amts, erinnert sich an eine dramatische Nachtsitzung in Brüssel, in der zu später Stunde über die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens entschieden wurde. Als die übermüdeten Minister endlich eine Übereinstimmung erzielt hatten, ergreift Samaras das Wort und sagt, dass noch eine weitere Frage zu klären sei, nämlich Mazedonien betreffend, das keinesfalls unter diesem Namen anerkannt werden dürfe. Deshalb heißt der Staat offiziell „Frühere jugoslawische Republik Mazedonien“, bis heute. „Zu dieser späten Stunde und die Einigung vor Augen, haben die Außenminister das schließlich gegen die eigene Überzeugung durchgewunken. Das wäre unter anderen Umständen vermutlich so nicht akzeptiert worden“, stellt Chrobog fest.
Deutschland? Ein notwendiges Übel
In Griechenland wird Samaras gefeiert - er hat verhindert, dass Mazedonien Mazedonien heißt. In seinem Bestreben, auf der mazedonischen Welle zum mächtigsten Politiker des Landes zu werden, schätzt Samaras dann jedoch die Kräfteverhältnisse falsch ein. Im April 1992, nachdem er die Schließung der griechischen Grenzen zu Mazedonien gefordert hatte, wird er von Mitsotakis als Außenminister entlassen. Samaras gründet eine eigene Partei, die nach einem kurzen Höhenflug wieder zerfällt. Die sagenhafte Karriere des Antonis S. scheint beendet.
Ikarus down. Das sind prägende Jahre. Misserfolg erdet ungemein. Verzweifelt sei Samaras damals gewesen, sagt ein Athener Journalist. Ein ehemaliger Politiker, der doch nichts anderes kann und will, als Politiker sein. Eine Rückkehr zur Nea Dimokratia wird von Mitsotakis lange verhindert. Erst der Ministerpräsident Kostas Karamanlis gestattet Samaras die Rückkehr in die Partei, um dort ein Gegengewicht zum Mitsotakis-Clan zu haben. Langsam kommt Samaras politisch wieder zu Kräften.
Nun ist er selbst Ministerpräsident Griechenlands, der 185. seit 1822. Was er anfangen wird mit dem kleinen Rest Macht, den ein Athener Regierungschef noch hat, ist kaum abzusehen. Sicher ist, dass Samaras Griechenland in der Eurozone halten will. Für ihn gehört Griechenland fest zur westlichen Welt, jedenfalls zu Amerika. Deutschland ist ein notwendiges Übel, mehr nicht. Den Staatsbankrott, den Samaras jetzt verhindern soll, hätte Griechenland allerdings schon vor zwei Jahren erlitten, wäre es damals nach ihm gegangen. Im Mai 2010 ließ er seine Partei gegen die Rettungskredite stimmen, ohne die das Land längst pleite wäre. Die den Griechen auferlegten Reformvorgaben bezeichnet er als verkehrte Politik und will sie neu aushandeln. Einem wie Samaras müssten dazu eigentlich die Zeilen aus Gottfried Benns Gedicht „Außenminister“ gefallen: „Leicht gesagt: Verkehrte Politik. Wann verkehrt? Heute? Nach zehn Jahren? Nach einem Jahrhundert?“