Mal
Legende
Die europäische Sozialdemokratie ist in der Krise. Die Ursachen sind vielfältig, aber eine ist auch die Entfremdung der Sozialdemokratie mit ihrem eigentlichen Klientel, den Arbeitern. Der Arbeiter selbst ist mittlerweile so vielfältig - oft gibt es ihn gar nicht mehr im klassischen Sinne, denn er ist im Dienstleistungssektor tätig und stellt gar keine Produkte her. Ein Altenpfleger hat einen harten Job, oft härter als der Industrie-Arbeiter bei VW, der bald nicht mehr beim Assemblieren am Band steht sondern eher die Anlagen wartet die das für ihn tun werden. Der Arbeiter von heute ist daher sehr heterogen, gleichzeitig hat sich die Sozialdemokratie immer mehr der Mitte zugewendet und ist zum Teil wählbar für Arbeitgeber und sogar Selbständige. In Deutschland hat ja gerade die SPD Finanztransaktionen von Steuern befreit und damit dem Finanz-Sektor in vielen Teilen frei Hand gegeben.
Die Sozialdemokratie ist das Produkt des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, die in dieser Form bis Thatcher bestand hatte. Seit dem gibt es mit dem Neoliberalismus eine wesentlich andere Form, die sehr tief in die Gesellschaft eingreift. Im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts standen sich ausgebeutete Fabrikarbeiter und ausbeutende Fabrikbesitzer gegenüber. Damals war es einfach den Ausbeuter klarzumachen und sein Haus oder gar die ganze Fabrik niederzubrennen. Heute hingegen ist der einst unterdrückte Arbeiter ein freier Unternehmer, der sich selbst ausbeutet. Die Wut, die damals Sozialreformen, sozial-orientierte Parteien oder gar soziale Gesellschaftsutopien erschaffen hat, entlädt sich heute in Burnout, Depression und Selbstmord.
Wenn ich gutes deutsch könnte, würde ich des genau so schreiben ;-)
Tatsache ist jedoch, dass ein zentrales Element unseres Wirtschaftssystems die hemmungslose Förderung des Individualismus und damit der Egozentrik ist. Durch eine nahezu unendliche Variation des immer Gleichen wird dem Konsumenten eine Individualität simuliert, damit er sich aus der Masse erheben und als einzigartig empfinden kann.
Er kann beispielsweise aus einer sehr großen Anzahl von Autos sich seine Marke und Typ wählen und diesen noch mit 50 Ausstattungsvarianten individuell konfigurieren. Darüber hinaus lässt sich diese "Abgrenzung zu Anderen" mit weiterem Zubehör verfeinern bis tatsächlich ein einzigartiges Fahrzeug entstanden ist.
Er empfindet sich nun nicht mehr als Opel Fahrer, selbst die Kategorie Corsa scheint nicht mehr gültig. Man fährt ein individuelles Auto und hat sich vermeintlich gegenüber allem anderen erfolgreich abgegrenzt.
Allerdings ist Abgrenzung ein zweischneidiges Schwert, denn es bedeutet gleichzeitig Isolation. Wird dies gesteigert, dann entsteht eine paradoxe Situation, dass viele Individualisten auch auf engem Raum wie Einsiedler zusammen leben können, ohne untereinander in Kontakt treten zu müssen. Es entspricht dem klassischen Bild einer Bühne, auf der Jeder wie ein Pfau einsam sein Rad schlägt, aber keiner mehr im Zuschauerraum sitzt. Ein wertloses Buhlen um Aufmerksamkeit ohne Resonanz.
Diese Individualisierung bedeutet somit auch Entsolidarisierung, denn die zur Solidarisierung zwingend notwendige Gruppierung wird immer granularer und besteht zuletzt nur noch aus einer Person: dem individuellen ICH.
Dieses ICH sieht keinen Grund mehr, sich für Menschenrechte, Volksbelange, Gender, Arbeitsklassen oder Berufsgruppen einzusetzen, denn es scheint diesen Kategorien vollständig entwachsen zu sein. Es ist individuell genug, dass es seine ganze Protestenergie auf den Schutz des zweijährigen, männlichen Jurtekäfers richten kann um sich erfolgreich von den Beschützern des dreijährigen, weiblichen Jurtekäfers zu distanzieren.
https://www.heise.de/forum/Telepoli...idaritaet-Machtverlust/posting-30733668/show/
Es gibt nicht mehr den von außen unterdrückten Arbeiter, sondern nur noch "Manager" ihrer selbst, die ihr Scheitern auf sich selbst entladen. Neuerdings kommt eine weitere drastische Entwicklung hinzu und zwar, dass die neue Generation ab Jahrgang 1995 sich nicht mehr über die Arbeit definiert und ihre Anerkennung woanders sucht. Diese neue Generation gibt auf gut deutsch einen fick drauf, dass ihre Vorgängergeneration bereitwillig 10h am Tag gearbeitet hat, davon 2 unbezahlt, für ein bisschen Lob und Anerkennung. Diese Generation wird keine Arbeiterparteien wählen. Immerhin aber auch keine CDU.
Das alles dazu unabhängig davon, dass die SPD ohnehin die heuchlerischste Partei im ganzen Bundestag ist und selbst einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet hat.