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Nachrichten aus Bosnien und Herzegowina

Sehr lesenswertes Interview von einem der wenigen Politiker auf dem Balkan mit Integrität, Zeljko Komsic:

https://www.derstandard.de/story/30...err-schmidt-ist-ein-ganz-merkwuerdiger-mensch

STANDARD: Die USA haben einen enormen Einfluss auf Herrn Schmidt. Auf welchen Prämissen beruht denn die Politik der USA?

Komšić: Schmidt führt alles durch, was die amerikanische Botschaft in Sarajevo von ihm verlangt. Tatsache ist, dass die Umkehr der Politik der USA in der gesamten Region nicht mit dieser US-Regierung angefangen hat, sondern mit Trumps Regierung und den Gesandten Matthew Palmer und Richard Grenell. Wir hatten schon 2017 Gespräche über das Wahlgesetz und die Verfassung. Doch mit dieser neuen US-Regierung ist es nun zu einem heftigen Druck gekommen, dass die Sachen so verwirklicht werden, wie man sich das ausgedacht hat. Ich glaube nicht, dass der US-Außenminister Anthony Blinken wirklich Kenntnis davon hat, was hier geschieht. Sein Berater Derek Chollet führt das durch. Er betrachtet sich nämlich als Experten für Bosnien-Herzegowina.

Die Amerikaner wollen die vermeintliche Stabilität in der Region auf drei Schwerpunkten aufbauen, sie setzen auf Albanien, Serbien und Kroatien. Sie haben ihren Ansatz völlig umgedreht. Von der Position der Befürworter der Menschenrechte, des Rechtsstaats und der freien Medien haben sie sich distanziert. Sie kehren zu der Art und Weise, wie der US-Außenpolitiker Henry Kissinger die Dinge früher verwaltet hat, zurück.

In der Praxis heißt das, dass sie jene zufriedenstellen, die die Vertreter der drei großen Nationalismen auf dem Balkan sind. In Serbien ist das Präsident Aleksandar Vučić und die Idee von einer "serbischen Welt" und dem "offenen Balkan", und in Albanien Premier Edi Rama mit der Idee von Großalbanien, und in Kroatien ist das die Partei HDZ mit einem kleineren Großkroatien. Und Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen den Preis dafür bezahlen. Natürlich nimmt das der kosovarische Premier Albin Kurti nicht so hin. Die Menschen in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina nehmen das auch nicht einfach so hin. Also werden die, die das ablehnen, unter Druck gesetzt. Aber das sind ausgerechnet jene Politiker, die aufrichtig an die Demokratie und an die westlichen Werte glauben, die die loyalsten Verbündeten der Vereinigten Staaten von Amerika waren.

Ich habe deshalb den amerikanischen Botschafter gefragt: Warum, bitte, wollen Sie Freunde verlieren, auch wenn Sie gar keine neuen erhalten? Aber das ist offensichtlich nicht wichtig. Jemand hatte offenbar die naive Vorstellung in Washington: Kroatien ist sowieso bei der EU und Nato, und Edi Rama ist auch ein geprüfter, fester Verbündeter von Washington. Jetzt lass uns mal Serbien aus den Armen Russlands herausziehen, indem wir Vučić entgegenkommen! Aber das ist sehr naiv.

STANDARD: Es sieht danach aus, dass die USA ein altes hegemoniales Denken beleben. Dieses Denken in ethnisch definierten Einflusszonen gab es bereits in den 1990er-Jahren, und die amerikanischen Diplomaten wie Chollet, die jetzt zuständig sind, waren bereits in den 1990ern auf dem Balkan. Hat die Umkehr der USA damit zu tun?

Komšić: Es ist ganz sicher eine anachronistische Politik, das sind alte Schablonen, obwohl sich die ganze Welt, Europa sich geändert hat. Auch hier in Bosnien-Herzegowina hat sich alles geändert. Das Einzige, was gleich geblieben ist, sind die Spuren und Wunden des Krieges. Diese Politik ist jedenfalls auf vollkommen falschen Grundlagen aufgebaut. Es ist auch sehr merkwürdig, dass Gabriel Escobar, der US-Gesandte für den Balkan, die gleichen Sätze sagt wie der russische Botschafter in Bosnien-Herzegowina. Wie kann es sein, dass sich die beiden auf derselben Grundlage eingefunden haben?

STANDARD: Was ist die Rolle der EU in diesem ganzen Kontext?

Komšić: Die EU setzt sich immer ein bisschen zur Wehr gegenüber den Amerikanern, aber letzten Endes beugt sie sich immer. Ich erwarte nichts Spektakuläres von der EU. Wenn es um das Verhältnis zwischen der EU und den USA geht, habe ich manchmal den Eindruck, dass Brüssel katholischer ist als der Papst. Jetzt droht der EU-Außenbeauftragte Josep Borell voreilig mit Sanktionen gegen Kurti, nur um zu zeigen, dass man nicht auf die Amerikaner wartet, die dasselbe tun wollen.

Doch sie machen alle einen Fehler. Denn Kurti ist nicht korrupt, und man kann ihn nicht erpressen. Mit ihm muss man anders reden. Der ehemalige US-Gesandte unter Präsident Donald Trump, Richard Grenell, hat Kurti einmal abgesetzt, aber Kurti kam mit einem noch viel besseren Wahlergebnis zurück. Warum denken diese Diplomaten, dass Kurti keine Unterstützung von den Menschen im Kosovo bekommt? Sie können ihm keine Angst einjagen. Sie beauftragten nun den albanischen Premier Edi Rama, das Statut für den Verband der serbischen Gemeinden im Kosovo auszuarbeiten. Kurti hat Rama gut geantwortet: Geben Sie das Statut Vučić, damit er das für die albanischen Gemeinden im Preševo-Tal in Serbien umsetzt.

Ich verstehe nicht, weshalb Brüssel und Washington so voreilige, so nervöse und unvorsichtige Schritte unternehmen. Es gibt einfach Menschen, die nicht nachgeben, es sei denn, die Amerikaner überzeugen sie. Die Amerikaner können diese Leute auch physisch irgendwo beiseiteschieben, aber die Ideen dieser Leute bleiben trotzdem unter den Menschen. Das können sich nicht abwürgen. Deswegen ist es so wichtig, dass man herausfindet, was die Bevölkerung wirklich empfindet und denkt.

STANDARD: Kürzlich wurden zum ersten Mal frühere Vertreter des serbischen Staates unter Slobodan Milošević, Jovica Stanišić und Franko Simatović für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina verurteilt. Oberstaatsanwalt Serge Brammertz betonte, das Urteil bekräftige, dass es in Bosnien und Herzegowina keinen Bürgerkrieg, sondern einen internationalen Konflikt gegeben habe. Was bedeutet dieses Urteil?

Komšić: Das ist für uns nur eine Bestätigung für das, was wir ja schon vorher wussten. Ich habe die Zeit des gesamten Krieges hier verbracht. Ich habe die roten Barrette (damalige paramilitärische Spezialeinheit des serbischen Staates, Anm.) mit meinen eigenen Augen hier gesehen. Ich schätze aber sehr, dass das Gericht den Mut gefunden hat zu bestätigen, dass sie hier waren, Menschen ermordet haben und an diesem Krieg teilgenommen haben.

Wir versuchen sowohl Serbien als auch Kroatien mitzuteilen: Ja, wir können gemeinsam eine neue Zukunft bauen, aber wirklich nur auf gleichberechtigter Grundlage. Wir müssen zusammenarbeiten, denn wir bewohnen denselben Raum, und wir sind aufeinander angewiesen. Wir sprechen dieselbe Sprache, wir verstehen uns doch. Wir haben aber das Recht zu sagen: Sie haben uns angegriffen, und nicht wir sie. Sie wollten unser Land zerstören, und nicht wir ihre Länder. Wir haben uns einmal verteidigt, und wir werden uns immer verteidigen. Denn wir haben nichts anderes als dieses Land Bosnien-Herzgowina. Und wir stellen für niemanden eine Gefahr oder Bedrohung dar. Wir können als gute Nachbarn unsere Probleme gemeinsam lösen. Aber wenn sie wieder versuchen, uns das Land zu nehmen, wird das zum selben Ergebnis führen. Das ist alles, was wir von Belgrad und Zagreb erwarten, dass sie das verstehen, dann wird alles viel leichter sein. (Adelheid Wölfl, 23.6.2023)
 
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