Jetzt kommen auch schon die Ultimaten. Der kosovarische Regierungschef Albin Kurti verlangt den Abbau der Barrikaden im Norden Kosovos – «und zwar in Tagen, nicht Wochen». Nördlich von Mitrovica haben Serben ein Dutzend Strassensperren errichtet. Sie verlangen die Freilassung von «politischen Gefangenen».
Doch Kurtis Ultimatum richtet sich nicht an die Serben. Er adressiert die Kfor, die Nato-geführte Kosovo-Sicherheitstruppe. Denn diese ist für den Schutz des äusseren und inneren Friedens der vormals serbischen Provinz zuständig. Und auch für die Aufrechterhaltung der Bewegungsfreiheit.
Falls die Kfor nicht könne oder wolle, so Kurti, sei seine Polizei bereit und in der Lage, die Barrikaden zu räumen. Doch ein solcher Befehl wäre das Rezept für eine bewaffnete Auseinandersetzung. Nicht zwischen Serbien und Kosovo, aber zwischen Serben und kosovarischen Sicherheitskräften. Und dabei könnte die Kfor nicht einfach zusehen.
Kurtis Narrativ, die Serben an den Barrikaden seien bloss Kriminelle und Agenten Belgrads, greift zu kurz. Die gibt es gewiss. Aber es stimmt eben nicht, dass der Widerstand nur von einer kleinen Gruppe Extremisten ausgeht, die die friedlichen serbischen Bürger im Norden als Geiseln genommen haben.
Die etwa 50 000 Serben in dem Gebiet, das ans Mutterland grenzt, wollten nie zu dem neuen Staat gehören. Nur auf massiven Druck aus Belgrad waren manche von ihnen vor knapp zehn Jahren in den kosovarischen Staatsdienst eingetreten, den sie vor ein paar Wochen wieder quittierten.
Keine kosovarische Regierung hat seit der Unabhängigkeitserklärung 2008 den Serben ein attraktives Integrationsangebot gemacht. Das ist allerdings auch nicht leicht. Denn Belgrad sorgt mit Geld und der Staatspartei «Serbische Liste» dafür, dass sein Einfluss gross bleibt.
Hoffen und Bangen um den deutsch-französischen Plan
Jetzt werden die Spannungen geschürt: Kosovo verbietet dem serbisch-orthodoxen Patriarchen den Besuch seines Klosters in Pec. Darauf setzt Serbien seine Armee in Alarmbereitschaft und fährt Haubitzen an der Grenze auf.
Die Nervosität und Eskalationsbereitschaft der beiden Seiten hat ein und denselben Grund. Pristina hofft und Belgrad fürchtet, dass der Westen eine Lösung des alten Disputs durchdrücken will. Es geht um den sogenannten deutsch-französischen Vorschlag. Danach soll Belgrad Kosovo zwar nicht de iure, aber wenigstens de facto anerkennen.
Das ist attraktiv für Pristina. Es geht davon aus, dass nach der faktischen Anerkennung die juristische eher früher als später kommt. Genau deshalb lehnt Belgrad den Vorschlag ab.
Die Kosovo-Serben im Norden sind jetzt Belgrads letztes Pfand. Wenn Pristina eines Tages wirklich souverän auch in diesem Landesteil sein will, dann muss Kurti dieses Pfand auslösen. Das geht nur, wenn er den Kosovo-Serben (nicht Belgrad!) jene Autonomie in Kosovo einräumt, die ihnen schon vor einem Jahrzehnt versprochen wurde.
Autonomie und Gewaltverbot
Kurti ist ein intelligenter Denker und geschulter Dialektiker. Es überrascht deshalb, dass er sich mit der Selbstverwaltung der Serben so schwertut. Wenn er sie wirklich in sein Land integrieren will, dann muss er ihnen möglichst viel Selbstbestimmung einräumen. Auch der Einfluss Belgrads lässt sich so am ehesten zurückdrängen. Je weniger Pristina den Serben dreinredet, desto eher werden sie diesen Staat auch als ihren akzeptieren.
Dass der Westen mit der «Kosovofrage» endlich abschliessen will, ist gut. Er hat sie jetzt zehn Jahre liegen lassen. Nur sollten Brüssel, Berlin und Washington sich hüten, den Streitparteien die Lösung zu diktieren. Die Unterhändler brauchen jetzt beides: Entschlossenheit und Geduld. Und vor allem Konsequenz bei der Durchsetzung der wichtigsten Spielregel: Gewalt wird nicht toleriert. Und Ultimaten eigentlich auch nicht.