Brain Drain: Wie Griechenland um Talente kämpft
Griechenland wählt morgen ein neues Parlament. Die nächste Regierung muss auch dafür sorgen, qualifizierten Arbeitskräften attraktive Jobs zu bieten. Mit neuen Konzepten sollen verlorene Talente zurückgeholt werden.
Von Wolfgang Landmesser, WDR
Das Gebäude von Agile Actors im Athener Stadtteil Chalandri macht etwas her: viereckige Säulen aus Kalkstein, große Fensterflächen, ein umlaufendes Wasserbassin, über das eine kleine Brücke führt. Die Residenz des deutschen Botschafters liegt nur ein paar Hausnummern weiter.
Agile Actors, das sind aktuell rund 200 Programmierer, die Internetsysteme für die Webseiten von Großunternehmen entwickeln - alles was es braucht, damit ein Kreditabfrage-Programm funktioniert oder ein Online-Wettbüro
Junge Talente gesucht
Die jungen Talente dafür findet die Firma fast ausschließlich in Griechenland. "Wir arbeiten intensiv daran, das Wissen von IT-Profis zu entwickeln", sagt Elias Drakopoulos, einer der Partner. Seine Firma wolle jungen Griechen die Möglichkeit bieten, in Griechenland leben zu können. Die Nachwuchsprogrammierer rekrutiert die Firma direkt von den griechischen Hochschulen - IT-Ingenieure oder Informatiker.
Karrierechancen zu bieten und Talente zu entwickeln, ist nicht gerade die Stärke der griechischen Unternehmen. Im Gegenteil: Bei gut ausgebildeten Menschen haben sie einen schlechten Ruf, so das Ergebnis einer aktuellen Studie von vier griechischen Wirtschaftsforschern über den sogenannten Brain Drain, also die Abwanderung von Fachkräften ins Ausland.
"Die geringen Chancen auf einen interessanten Job nannten 45 Prozent der Befragten als Grund, Griechenland den Rücken zu kehren", sagt Konstantinos Tasoulis, einer der Autoren. Er lehrt Personalmanagement am American College of Greece in Athen. Erst auf Platz zwei folgen die geringen Gehälter.
Geringe Jobzufriedenheit
Tasoulis und seine Kollegen haben rund 2300 Griechen im In- und Ausland gefragt, wie sie ihre Arbeitssituation bewerten. Bei der Frage "Zufriedenheit im Job" schnitten die griechischen Unternehmen deutlich schlechter ab als Arbeitgeber etwa in Großbritannien.
Bei der Analyse, warum Fachkräfte ins Ausland abwandern, standen bisher Faktoren wie die Höhe der Löhne oder die generelle Lage am Arbeitsmarkt im Vordergrund. Die Rolle der Unternehmen bei der Abwanderung von Fachkräften sei dagegen lange unterschätzt worden, meint der Experte für Personalentwicklung: "Wir müssen stärker darauf achten, wie die Menschen arbeiten."
Es gehe nicht nur um das Gehalt, sondern vor allem um die Anerkennung im Job. Stattdessen werde in griechischen Firmen oft sehr viele Stunden gearbeitet, aber nicht besonders produktiv.
Netzwerk, um Fachkräfte zurückzuholen
Die Nichtregierungsorganisation Endeavor arbeitet daran, die Talente wieder zurück nach Griechenland zu bringen - durch ein Netzwerk innovativer griechischer Unternehmer. Endeavor berät sie bei der Suche nach geeignetem Personal. Erfolgreiche griechische Firmengründer im Ausland will die NGO motivieren, Teile ihres Unternehmens in Griechenland anzusiedeln - die Produktentwicklung oder die Forschungsabteilung.
"Und an die Fachkräfte geht unsere Botschaft: Eure Karriere ist nicht ruiniert, wenn ihr bei einem griechischen Unternehmen arbeitet - im Gegenteil", sagt Panajotis Karampinis, Direktor von Endeavor. Talentierte Griechen wieder nach Hause zu holen, werde nach der Parlamentswahl am Sonntag ganz oben auf der Agenda stehen, ist er überzeugt: "Das wird eine der ersten Aktionen der neuen Regierung sein."
Viele wollen zurückkehren
Nikos Fontas ist einer, der nach Griechenland zurückgekehrt ist. Der 30-Jährige arbeitete nach seinem Studienabschluss einige Jahre in Österreich. Jetzt hat er bei Agile Actors seinen Traumjob gefunden - auch wenn er beim Gehalt zurückstecken musste: "In Griechenland sind nicht die dicksten Gehälter drin, aber das ist für mich nicht die Priorität."
Viele seiner Freunde arbeiten im Ausland. Sie würden gerne zurückkommen, wenn sie ein inhaltlich attraktives Angebot von einer griechischen Firma bekommen würden, sagt er.
Das Firmenkonzept wirkt auch als Mittel gegen den Brain Drain. Wenn sich auch andere Unternehmen stärker um ihre Mitarbeiter kümmern, könnte das den Trend umkehren. Vorausgesetzt, die Wirtschaft in Griechenland wächst weiter.
https://www.tagesschau.de/ausland/griechenland-brain-drain-101.html