viele Buchstaben lohnt sich aber zu lesen
Wenn einer eine Reise tut
Man muss eindeutig sagen, auf diesen Reisen von Merkel und Kerry ist etwas passiert. Es ist allerdings noch nicht völlig klar, was…
Um den entscheidenden Moment (und dieser Moment ist in wirklich historischen Sinne entscheidend) in der sehr interessanten Pressekonferenz zum Abschluss von Kerrys Besuch in Sotschi zu verstehen, müssen wir erst einmal eine kürzlich erfolgte Äußerung Poroschenkos aufgreifen und einige Details der Ereignisse vor Ort hinzufügen.
Bei der Premiere eines Films über die Kämpfe am Flughafen am 11.5. äusserte sich Poroschenko wie folgt: „
Ich habe keine Zweifel – wir werden den Flughafen befreien, denn das ist unser Land. Und wir werden den Flughafen wieder aufbauen. Und wir werden dort die Überreste der Armierungen und des Betons unter Glas nehmen und darauf schreiben: „Heil Cyborgs!“ Damit für Jahrhunderte die Erinnerung an eure heroischen Taten in den Generationen der Ukrainer lebt und euer Heldenmut Generationen der Verteidiger der Ukraine lehrt.“
Gut, der Schokokönig sagt viel, wenn der Tag lang ist, und oft sind seine Äußerungen peinlich bis ins Schmerzhafte. Diese Aussage wurde allerdings nicht ohne Grund von vielen als Ankündigung eines erneuten Angriffs auf den Flughafen gelesen, da sie von Berichten flankiert war, die von verstärktem Transport schwerer Waffen zur Front hin berichteten (z.B. ein Dutzend Raketenwerfer aus Richtung Dnjepropetrowsk), und sich seit Anfang April die erst sporadischen Mörserbeschüsse inzwischen wieder auf den Einsatz von Grad-Raketenwerfern und regelmäßige Gefechte an größeren Teilen der Frontlinie ausgeweitet haben (also nicht nur Schirokino, sondern ebenso Peski/Spartak/Makejewka und die Umgebung von Gorlowka). Diesen Entwicklungen entsprechen die Äußerungen auf Seiten Noworossijas, so etwa von Sachartschenko am 9.Mai (das Datum kann man unschwer an der Uniform erkennen):
Während beide Seiten in der Ukraine gewissermaßen nur auf das Startsignal zu warten scheinen und sich die Lage Tag für Tag einer volle Wiederaufnahme der Kampfhandlungen annähert (in einer so kontinuierlichen Eskalation, dass es schwer sein dürfte, ein klares Datum festzulegen, an dem Zustand A in Zustand B übergegangen ist), bewegten sich zwei Reisende nach Russland.
Zuerst Frau Merkel, deren schamlose Äußerungen in Moskau keinem in dieser Republik entgangen sein dürften. Man sollte vielleicht noch als dekoratives Detail hinzufügen, dass nicht nur Merkel das Wort „verbrecherisch“ in den politischen Diskurs eingeführt hat, sondern auch Jazenjuk, genau einen Tag zuvor. Wir müssen uns nicht mit der Frage befassen, wer hier wie verbrecherisch ist, oder von Glashäusern und Steinen reden;
wichtig an diesem Augenblick ist einzig, dass Merkel in Moskau, nach einem Gespräch mit Putin, weiter eskaliert hat, und zwar mit einer Formulierung, die sich auf die Rechtfertigung eines sichtbaren Eingreifens hinbewegt (lasst euch nur einmal durch den Kopf gehen, wann sonst von „verbrecherischer Politik“ die Rede war).
Und hier wird es lustig. Nach Merkels Besuch fuhr Kerry nach Sotschi. Und das passiert auf der Pressekonferenz nach den Gesprächen (aus gutem Grund hier übersetzt von der Seite des State Department):
„
Frage (übersetzt):
Jetzt die Frage der russischen Massenmedien. (Unverständlich) TV-Kanal Rossija. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich bei der Frage der Minsker Vereinbarungen bleiben. Herr Kerry, Sie haben mehrmals gesagt, die Minsker Vereinbarungen seien der beste Weg, bei der Lösung des ukrainischen Konflikts voranzukommen. Was können Sie zu dem Sagen, was Poroschenko sagte, als er zu Vertretern der Kiewer Armee sprach, als er sagte, sie werden den Donezker Flughafen zurückgewinnen?
Und meine nächste Frage geht an Herrn Lawrow. Wir alle wissen, dass die USA wirklich sehr gut im Stande sind, die gegenwärtigen Kiewer Machthaber zu beinflussen. Könnten Sie das bitte weiter ausführen? Wie, denken Sie, können die USA die Kiewer Machthaber beeinflussen, um die Krise in der Ukraine zu lösen? Danke.
Außenminister Kerry:
Nun, vielen Dank. Ich hatte nicht die Gelegenheit – ich habe die Rede nicht gelesen, ich habe den Zusammenhang nicht gesehen. Ich habe nur heute im Verlauf des Tages davon gehört. Aber wenn Präsident Poroschenko tatsächlich befürwortet, sich gewaltsam darum zu bemühen, dann würden wir ihn deutlich auffordern, zweimal darüber nachzudenken, sich nicht mit dieser Art von Aktivität einzusetzen, das würde Minsk in ernste Gefahr bringen. Und wir wären sehr, sehr besorgt, was die Konsequenzen dieser Art Handlung zu diesem Zeitpunkt sein könnten.
Nun, es mag sein, dass er eine langfristige Entwicklung meinte. Er könnte über den Zusammenhang einer endgültigen Lösung oder Beilegung gesprochen haben; die Antwort darauf kenne ich nicht. Aber ich weiss, dass eine Hinwendung zur Gewalt zu dieser Zeit von irgendeiner Seite zu diesem Zeitpunkt sehr zerstörerisch, wenn alle in den Arbeitsgruppen zusammengebracht wurden, die Arbeitsgruppen sich getroffen haben, und die Arbeitsgruppen im Stande sind, zu versuchen, in all diesen Themen einen Weg voran zu finden, über die viele von uns im Verlauf der vergangenen Monate besorgt waren. Meine dringlichste Aufforderung wäre, dass alle die Arbeitsgruppen unterstützen, weiter auf die Minsker Vereinbarungen zu setzen, weiter auf eine politische Lösung zu drängen und jeden davon abzuhalten, sich der Selbsthilfe durch Gewalt zu widmen.
Außenminister Lawrow (übersetzt)
Ich möchte Ihnen sagen, dass ich absolut dem zustimme, was John Kerry – John gerade gesagt hat, dass jeder Versuch, sich wieder in ein Szenario der Gewalt zu begeben, wirklich die Bemühungen untergraben würde, die wir unternommen haben. Ich will noch einmal betonen, dass wir strikt unserem Pfad zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen folgen müssen. Russland und die USA sind sich in der Überzeugung völlig einig, dass wir für ihre volle Umsetzung sorgen müssen. Und heute sind wir übereingekommen, jede Bemühung zu unternehmen, um den Prozess zu intensivieren und so weit möglich zu beschleunigen.
Wir haben auch die genauen Maßnahmen diskutiert, die wir ergreifen können. Aber ich will Ihnen nur sagen, dass verschiedene Länder die Kontakte mit der Kiewer Regierung und den Vertretern der selbsterklärten Republiken Donezk und Lugansk halten. Und wir stimmten zu, mit allen zusammenzutreffen, die die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen beeinflussen können. Wir werden alle Seiten des Konflikts ermutigen, jede Bestimmung der Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Während die Methoden, das sicherzustellen, unterschiedliche sein können, und die Form unserer Zusammenarbeit verschieden sein kann, sind wir uns gänzlich dessen bewusst, welche diplomatischen Mechanismen zur Verfügung stehen, und wir werden sie weiter gebrauchen.“
(Nur zu meiner Entlastung . Kerry spricht wirklich in solchen Schleifen und Wiederholungen, ich versuche, ein englisches Original zu übersetzen, das rhetorisch nicht wirklich auf der Höhe ist)
Was ist hier passiert? Es ist relativ eindeutig. Was immer Herrn Kerry in Sotschi erzählt wurde, hat ihn in leichte Panik versetzt. Seine Reaktion Poroschenko betreffend ließe sich in einem Wort zusammenfassen: „Sitz!“
Ganz nebenbei hat Kerry die USA auf die Minsker Vereinbarungen festgelegt. Diesen Schritt hat er in den vergangenen Monaten immer vermieden.
Allerdings haben die Schlüsselereignisse, die diese Reaktion ausgelöst haben können, bereits einige Tage zuvor stattgefunden. Der Kommentar von Xi Jinping, den wir gestern hier übersetzt haben, dürfte dazugehören. Wie auch die Teilnahme von Vertretern aller drei Teilstreitkräfte der Volksbefreiungsarmee bei der Moskauer Parade. Was sowohl Putins unübersehbar blendende Laune bei Kerrys Eintreffen erklärt wie auch womöglich einige andere eigenartige Ereignisse der letzten Tage.
Denn es ist davon auszugehen, dass der Auftritt Kerrys auf dieser Pressekonferenz der Abschluss und nicht der Beginn der Entwicklung ist. Der Kommentar von Xi Jinping erschien schließlich bereits am 6. Mai. Auch darüber, in welcher Weise die chinesischen Truppen an der Parade am Tag des Sieges teilnehmen werden, dürften die Amerikaner einige Tage zuvor informiert gewesen sein.
Merkel allerdings auch.
Es ist also durchaus denkbar, dass die bizarr wirkenden Manöver aus verschiedensten Enthüllungen zum NSA-Skandal, die zumindest den Eindruck erwecken, als würde Merkel jetzt von amerikanische Seite unter Beschuss genommen, mit dem Auseinanderfallen der deutschen und der amerikanischen Reaktion nach einem Zusammentreffen mit den selben Gesprächspartnern verbunden sind. Gleich, ob Merkel zur Belastung wurde, weil sie so schnell ihren Kurs nicht ändern kann, oder weil sie ihren Kurs nicht ändern will, das sieht auf jeden Fall nach Entsorgungsbemühungen aus.
In Summe würde ich sagen, es ist Zeit für Chips und Bier.
Wenn einer eine Reise tut | The Vineyard Saker ? Deutsche Version