https://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article161275213/Literatur-ist-eine-Haltung.html
Literatur ist eine Haltung
Wie einst unter den Sowjets: Prominente Schriftsteller verlassen das russische PEN-Zentrum und stellen sich gegen ihren Verband
Russische Intellektuelle, die in der Sowjetunion gelebt haben, wissen noch sehr gut, wie Kulturschaffende und ihre Organisationen von der Regierung missbraucht und zensiert wurden. Die Hetze gegen Boris Pasternak gehört zu den schändlichsten Kapiteln in der Geschichte des sowjetischen Schriftstellerverbands.
Nachdem dem Autor des Romans „Doktor Schiwago“ der Nobelpreis verliehen wurde, war er aus dem Verband ausgeschlossen worden. Sowjetische Schriftsteller beschimpften ihn als Verräter und forderten seine Ausweisung aus der Heimat. Erinnerungen werden wach: Ein politischer Skandal spaltet das russische PEN-Zentrum. Eigentlich hat sich die Autorenvereinigung den Zielen des internationalen Dachverbands verschrieben: jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung entgegenzutreten und sich für verfolgte Schriftsteller einzusetzen. Prominente Autoren erklärten bereits, dass der russische Klub gegen die Prinzipien handle und verließen die Organisation.
Die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch warf dem russischen PEN vor, „die Stiefel der Machthaber zu lecken“ und reichte ihren Austritt ein. „In den Perestroika-Jahren waren wir stolz auf unseren PEN, jetzt schämen wir uns. So kriecherisch verhielten sich russische Schriftsteller nur zur Stalin-Zeit.“ In ihrer Nobelpreisrede hatte Alexijewitsch gesagt: „Die Zeiten sind so, dass wir das Böse nicht besiegen können, wir sind machtlos dem roten Menschen gegenüber. Aber auch er kann die Zeit nicht anhalten.“ Putin werde gehen, die Schande aber werde bleiben.
Inzwischen sind mehr als 30 Autoren aus dem Verband ausgetreten. Darunter der Schriftsteller Wladimir Sorokin, der Dichter Lew Rubinstein und der in Russland populäre Kriminalromancier Boris Akunin. Die Spannungen gab es bereits seit Langem, endgültig brach der Skandal im vergangenen Dezember aus. Mehr als 80 Mitglieder des russischen PEN unterschrieben einen offenen Brief an den russischen Präsidenten mit der Bitte, den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow zu begnadigen. Senzow war kurz nach der Krim-Annexion in seiner Heimatstadt Simferopol festgenommen und 2015 zu 20 Jahren Haft wegen „Terrorismus“ verurteilt worden. Die PEN-Führung beschloss jedoch, sich von der Erklärung seiner Mitglieder zu distanzieren.
Der PEN veröffentlichte eine Erklärung, die auch aus der Feder eines Funktionärs des sowjetischen Schriftstellerverbands hätte stammen können. Das PEN-Zentrum sei über das Schicksal von Senzow besorgt und bitte um mildere Haftbedingungen. Um eine Begnadigung bat es nicht. „Gleichzeitig erklärt das russische PEN-Zentrum: Wir wollen und werden nicht nur die Auserwählten verteidigen, nicht nur jene, auf die uns russische und ausländische destruktive Kräfte versuchen, aufmerksam zu machen.“
Sergej Parchomenko, ein Journalist und Verleger, kritisierte die Erklärung in einem Blog auf der Seite des Radiosenders Echo Moskau. Daraufhin wurde er aus dem Verband ausgeschlossen. Parchomenko habe versucht, die Organisation von Innen heraus zu zerstören und „in eine oppositionelle politische Partei zu verwandeln“. Im Protokoll der Sitzung des PEN-Exekutivkomitees ist von seiner „provokativen Tätigkeit“ die Rede. Der Moskauer Autorenklub reagierte seinerseits auf die Kritik mit einer erstaunlichen Erklärung: „Herr Parchomenko und seine Unterstützer, die jetzt den russischen PEN verlassen, sind der Meinung, dass die jetzige russische Führung der einzige Grund für das ganze Unglück in Russland und der Ukraine ist.“
Und die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch? Sie sei nie Mitglied im russischen PEN gewesen, behauptete die Führung prompt. Daraufhin veröffentlichte Parchomenko Links zu den archivierten Webseiten des russischen PEN, aus denen hervorgeht, dass Alexijewitsch dort mehrmals in der Mitgliederliste aufgeführt wurde. Inzwischen ist ihr Name aus den Listen von 2014 und 2015 verschwunden.
Literatur ist eine Haltung
Wie einst unter den Sowjets: Prominente Schriftsteller verlassen das russische PEN-Zentrum und stellen sich gegen ihren Verband
Russische Intellektuelle, die in der Sowjetunion gelebt haben, wissen noch sehr gut, wie Kulturschaffende und ihre Organisationen von der Regierung missbraucht und zensiert wurden. Die Hetze gegen Boris Pasternak gehört zu den schändlichsten Kapiteln in der Geschichte des sowjetischen Schriftstellerverbands.
Nachdem dem Autor des Romans „Doktor Schiwago“ der Nobelpreis verliehen wurde, war er aus dem Verband ausgeschlossen worden. Sowjetische Schriftsteller beschimpften ihn als Verräter und forderten seine Ausweisung aus der Heimat. Erinnerungen werden wach: Ein politischer Skandal spaltet das russische PEN-Zentrum. Eigentlich hat sich die Autorenvereinigung den Zielen des internationalen Dachverbands verschrieben: jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung entgegenzutreten und sich für verfolgte Schriftsteller einzusetzen. Prominente Autoren erklärten bereits, dass der russische Klub gegen die Prinzipien handle und verließen die Organisation.
Die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch warf dem russischen PEN vor, „die Stiefel der Machthaber zu lecken“ und reichte ihren Austritt ein. „In den Perestroika-Jahren waren wir stolz auf unseren PEN, jetzt schämen wir uns. So kriecherisch verhielten sich russische Schriftsteller nur zur Stalin-Zeit.“ In ihrer Nobelpreisrede hatte Alexijewitsch gesagt: „Die Zeiten sind so, dass wir das Böse nicht besiegen können, wir sind machtlos dem roten Menschen gegenüber. Aber auch er kann die Zeit nicht anhalten.“ Putin werde gehen, die Schande aber werde bleiben.
Inzwischen sind mehr als 30 Autoren aus dem Verband ausgetreten. Darunter der Schriftsteller Wladimir Sorokin, der Dichter Lew Rubinstein und der in Russland populäre Kriminalromancier Boris Akunin. Die Spannungen gab es bereits seit Langem, endgültig brach der Skandal im vergangenen Dezember aus. Mehr als 80 Mitglieder des russischen PEN unterschrieben einen offenen Brief an den russischen Präsidenten mit der Bitte, den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow zu begnadigen. Senzow war kurz nach der Krim-Annexion in seiner Heimatstadt Simferopol festgenommen und 2015 zu 20 Jahren Haft wegen „Terrorismus“ verurteilt worden. Die PEN-Führung beschloss jedoch, sich von der Erklärung seiner Mitglieder zu distanzieren.
Der PEN veröffentlichte eine Erklärung, die auch aus der Feder eines Funktionärs des sowjetischen Schriftstellerverbands hätte stammen können. Das PEN-Zentrum sei über das Schicksal von Senzow besorgt und bitte um mildere Haftbedingungen. Um eine Begnadigung bat es nicht. „Gleichzeitig erklärt das russische PEN-Zentrum: Wir wollen und werden nicht nur die Auserwählten verteidigen, nicht nur jene, auf die uns russische und ausländische destruktive Kräfte versuchen, aufmerksam zu machen.“
Sergej Parchomenko, ein Journalist und Verleger, kritisierte die Erklärung in einem Blog auf der Seite des Radiosenders Echo Moskau. Daraufhin wurde er aus dem Verband ausgeschlossen. Parchomenko habe versucht, die Organisation von Innen heraus zu zerstören und „in eine oppositionelle politische Partei zu verwandeln“. Im Protokoll der Sitzung des PEN-Exekutivkomitees ist von seiner „provokativen Tätigkeit“ die Rede. Der Moskauer Autorenklub reagierte seinerseits auf die Kritik mit einer erstaunlichen Erklärung: „Herr Parchomenko und seine Unterstützer, die jetzt den russischen PEN verlassen, sind der Meinung, dass die jetzige russische Führung der einzige Grund für das ganze Unglück in Russland und der Ukraine ist.“
Und die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch? Sie sei nie Mitglied im russischen PEN gewesen, behauptete die Führung prompt. Daraufhin veröffentlichte Parchomenko Links zu den archivierten Webseiten des russischen PEN, aus denen hervorgeht, dass Alexijewitsch dort mehrmals in der Mitgliederliste aufgeführt wurde. Inzwischen ist ihr Name aus den Listen von 2014 und 2015 verschwunden.