„Russland den Russen“: 380 Festnahmen bei Krawallen in Moskau
Eine „Bürgerversammlung“ in Moskau ist am Sonntag zu einer fremdenfeindlichen Hetzjagd eskaliert. Ein Großaufgebot an Polizei nahm in den Abendstunden 380 Randalierer fest.
Auslöser für die Massenunruhen war der
Mord an dem Moskauer Jegor Schtscherbakow in der Nacht auf den 10. Oktober: Auf dem gemeinsamen Nachhauseweg wurde Schtscherbakows Freundin von einem Mann angestänkert. Als der Moskauer den Belästiger abwehren wollte, zückte dieser ein Messer und stach den 25-Jährigen vor den Augen seiner Freundin nieder. Auf Überwachungskamera-Bildern ist zu erkennen, dass der Angreifer offenbar aus dem Kaukasus oder Zentralasien stammt. Der Täter floh nach der tödlichen Attacke.
"Rache für Jegor!"
Bereits am Samstagabend hatten sich rund 40 Bewohner des Bezirks Birjuljowo im Süden von Moskau am Ort des Verbrechens versammelt und forderten die restlose Aufklärung des Falles, aber auch die Schließung eines Gemüsegroßmarktes (dem Arbeitsplatz von zahlreichen Migranten aus den möglichen Herkunftsländern des Mordverdächtigen, Red.) und eine Verschärfung der Migrationsgesetze. Um 22:30 löste sich die Versammlung auf. Für den nächsten Tag 16:00 Ortszeit wurde ein nächstes Treffen einberufen.
Der „Volksmarsch“ am Sonntag artete in Gewalt aus. Randalierer schlugen Scheiben eines Einkaufszentrums ein. Die Sonderheit OMON musste einrücken, es kam zu sieben Festnahmen.
Den Polizisten (zu diesem Zeitpunkt waren etwa 200 Beamte im Einsatz) sei es gelungen, ein „Pogrom“ in dem zweistöckigen Kaufhaus zu verhindern, sagte ein Polizeisprecher. Der Gefangenentransporter, in dem sich die Verhafteten befanden, wurde von der Menge unter Rufen „Lasst sie raus!“ und "Russland den Russen" eingekreist. Das Innenministerium schickte Verstärkung nach Birjuljowo. Laut einem Polizisten wurden Flaschen und ganze Mülleimer auf die Beamten geworfen.
Nach Polizeiangaben hatte sich die Teilnehmerzahl an der „Volksversammlung“ auf 300 bis 350 Menschen gesteigert. Augenzeugen sprechen von bis zu 1000 Teilnehmern, die sich auf dem Weg zu dem von Gastarbeitern betriebenen Gemüsemarkt Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.
Gegen 21 Uhr war das Polizeiaufgebot in ganz Moskau verstärkt worden, insbesondere auch auf dem Manege-Platz, wo es im Dezember 2010 nach dem Tod eines Fußballfans zu Massenkrawallen gekommen war.
380 verhaftet, Polizisten verletzt
„Es gab Versuche, den Gemüsemarkt zu stürmen, aber die Rechtsschutzorgane tun alles, um die öffentliche Ordnung zu schützen“, so der Dmitri Galotschkin, der als Vertreter der Gesellschaftskammer zu der Aktion im Süden von Moskau geschickt worden war.
Die Unruhen dauerten einem RIA-Novosti-Korrespondenten zufolge bis in die Nachtstunden. Um etwa halb zwei Uhr morgens waren „die meisten Teilnehmer der Aktion in West-Birjuljowo nach Hause gegangen“, hieß es. Insgesamt wurden 380 Personen festgenommen – vorläufig als Zeugen in dem eröffneten Strafverfahren wegen Rowdytums, teilte das russische Innenministerium mit.
Während der Ausschreitungen wurden sechs Polizeibeamte verletzt, zwei davon mussten im Krankenhaus behandelt werden, erfuhr RIA Novosti am Montagmorgen beim Pressedienst der Innenbehörde. Wie der Pressesprecher weiter mitteilte, waren insgesamt 1090 Polizeibeamte in Birjuljowo und Umgebung im Einsatz.
Der Chef der hauptstädtischen Innenbehörde, Anatoli Jakunin, gab die Bildung einer Sonderermittlungsgruppe in dem Mordfall an. Auf den flüchtigen Mörder wurde eine Million Rubel (über 23 000 Euro) ausgesetzt. Um 22 Uhr teilte Jakunin mit, man habe einen Verdächtigen „im Visier“, der kein Russe sei.
Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin kündigte eine gründliche Untersuchung des Mordes an. Die Schuldigen an den Unruhen erwarte ihre gesetzliche Strafe, teilte seine Pressesprecherin mit.
Twitter läuft heiß
Die Krawalle in „#Birjuljowo“ schafften es am Sonntagabend in die weltweiten Twitter-Trends.
Wie Gesellschaftskammer-Mitglied Gatlotschkin zu RIA Novosti sagte, war zu den Unruhen auch über die sozialen Netzwerke aufgerufen worden.
„Über die sozialen Netzwerke wie Twitter kommen Aufrufe, dass die Leute den Gemüsemarkt stürmen und alles kleinschlagen sollen. Die Anzahl der Menschen auf der spontanen Demonstration nimmt momentan ab. Die, die noch hier sind, sind die am stärksten extremistisch gestimmten Bürger“, sagte Galotschkin am späten Sonntagabend. Ihm zufolge nahmen an der Demonstration „hauptsächlich junge Leute“ teil, aber auch Frauen und Kinder.
Aktion scharf gegen "Illegale"
Innenminister Wladimir Kolokolzew betonte, dass er bereits vor dem Vorfall angeordnet habe, die Gemüsemärkte Moskaus – nach seinen Worten ein „ständiger Spannungsherd“ – zu überprüfen. Auch der Markt in Birjuljowo sei darunter gewesen.
Georgi Smolejewski, der Leiter des südlichen Moskauer Verwaltungsbezirks, versprach nach einem Treffen mit einer Initiativgruppe von Anrainern, der Kampf gegen die illegale Migration werde verschärft. Zu diesem Zweck solle ein spezieller „Operativstab“ gebildet werden, dem neben Polizei und Mitarbeitern der Migrationsbehörde FMS eine Volksabteilung mit freiwilligen Helfern angehören.
„Die Aufgabe des Stabs ist harter Widerstand gegen die illegale Migration mit Hilfe von Razzien, Patrouillen und der Aufspürung von Wohnungen, die an Illegale vermietet werden“, teilte der Pressedienst des Verwaltungsbezirks mit.
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