Wie steht es mit der angeblichen "Privatsache" Religion im weltlichen Staat der angeblich säkularisierten westlichen Gesellschaften? Einfache Formeln können das Verhältnis nicht erfassen. Die Frage lautet, ob christliche Ethik einen legitimen Ort im säkularen Staat hat; ob sie Einfluss nehmen darf und soll auf dessen Gestaltung und Politik.
- Ein paar aktuelle Streiflichter auf unser Thema: Zur Feier des Tages der Deutschen Einheit findet ein ökumenischer Gottesdienst statt;
- eine evangelische Bischöfin und ein katholischer Bischof predigen vor der versammelten politischen Prominenz.
- Der Bundesminister für Verteidigung dankt den Kirchen für den Dienst der Militärseelsorge.
- In Frankreich wird Präsident Nicolas Sarkozy von den einen kritisiert, von anderen verteidigt, weil er den Papst offiziell empfangen hat.
- In Spanien protestieren Bischöfe mit Millionen Katholiken gegen ein liberales Abtreibungsgesetz und gegen die Einführung der "Homoehe".
- Die feierliche Amtseinführung des neuen Präsidenten der USA wird eingeleitet und beendet durch Gebete zweier Pastoren;
- Barack Obama leistet den Eid auf die Verfassung, indem er eine Hand auf die Bibel legt.
- Der Verfassungskonvent der Europäischen Union lehnt die Aufnahme eines "Gottesbezugs" in den Verfassungsvertrag ab.
Das Problem mit der Verknüpfung Demokratie und Kirchenglaubene ist, dass es nicht funktionieren kann, sich die Rosinen oder das Genehme (Toleranz, Nächstenliebe, Gleichheit aller Menschen, Arbeitsethik) aus dem Gesamtsystem (zB der christlichen Lehre) herauszupicken und das Unangenehme, wie zB. den Schöpfungsbericht, zu negieren.
Wenn man das Christentum als persönlichen Glauben von den biblischen Texten lösen will, wird das nicht gut gehen. Ein “Zentrum des Glaubens in der Person Christi” ohne die biblischen Texte geht nicht. Es sind nämlich NUR diese Texte, die uns überhaupt eine Person und deren Worte, Taten und Handlungsmaximen beschreiben.
Das bedeutet, dass das Bild und die Vorstellung von der Person Jesus im menschlichen Bewusstsein für immer und unkorrigierbar durch die Berichte der vier “kanonischen” Evangelien festgelegt ist.
Als nächstes gilt es zu unterscheiden zwischen der instituionalisierten Religion und dem Verständnis von Christsein.
Dieses System steht , in seiner Ausprägung, im Widerspruch zu der undogmatischen, den “Geist” über den “Buchstaben” stellenden Lehre Jesu.
Eine “Kirche” im institutionalisierten Sinne kennt Jesus nicht.
Sein “Leib” existiert außerhalb jeglicher Sozialstrukturen und außerhalb kontrollierbarer Vorschriften. Er beruht einzig auf einer individuellen Beziehung jedes Gläubigen zu diesem Jesus . Dazu passt die Aussage Jesu “Mein Reich ist nicht von dieser Welt”
Alle Institutionen sind Ersatzvehikel, ohne die es nicht geht, die aber ganz sicher nicht “das Eigentliche” darstellen.
Insofern lässt sich die Person und der Glaube unmöglich von der schriftlichen Darstellung trennen, es lässt sich auch dieses gesamte Schriftwerk “Bibel” in seinen Grundaussagen und seinen stringenten inneren Bezügen und Zusammenhängen nicht umdeuten. Es umdeuten oder Texte selektieren zu wollen, bedeutet, es abzulehnen.
Das sollte jeder Fundamentalismus-Kritiker dreimal lesen und auch begreifen.
Biblischer Fundamentalismus ist ja eben gerade *pazifistisch, *geschlechterneutral, *gewaltablehnend, *legalistisch, *wissenschaftsfreundlich, *tolerant, *demokratieermöglichend, *bildungs- und leistungsfördernd etc.
Und dasselbe gilt für den Islam.