Israel, Gaza und die moralischen Wertungen
In der Auseinandersetzung um das Thema Palästina scheinen sich seit dem 7. Oktober 2023 manche Positionen verdreht zu haben. Israel hat Unterstützer, die es früher so nicht gekannt hatte. Und das Vorgehen der Regierungskoalition von Premier Benjamin Netanjahu als Reaktion auf das Massaker der Hamas brachte eine neue Mobilisierung in der Pro-Palästinenser-Frage. Alle Haltungen zu Israel und Gaza werden mit Argumenten der Moral unterlegt. Selten aber, so findet jedenfalls die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz, mit dem Moment von Empathie und Mitgefühl.
Das neue Buch von Illouz zu den Reaktionen auf den 7. Oktober liegt seit dem Vorjahr auf Französisch vor. Nun ist es auf Deutsch erschienen, just zu einer Zeit, da US-Präsident Donald Trump den Friedensdeal zu Gaza ausgerufen hat. Geht man nach Illouz, dann verdeckt die Auseinandersetzung um Gaza tiefer liegende antisemitische Tendenzen, die sich just in den Geisteswissenschaften breitgemacht hätten.
Anlass, Ursachen und Wirkungen kommen in der sehr auf den Augenblick bezogenen Gegenwart leicht durcheinander. Und nicht jede Ursache legitimiert auch jede Reaktion. Der französisch-isrealischen Soziologin Illouz, im marrokanischen Fez geboren, in Europa und den USA universitär sozialisiert und schließlich auch in Israel heimisch geworden, ist das heikle Terrain ihres Untersuchungsgegenstandes bewusst. Der 7. Oktober 2023 und die ersten 24 Stunden der Reaktionen haben gegenüber ihrem eigenen Fachbereich skeptisch gemacht. Warum, so fragt sich Illouz, ist das Mitgefühl mit Israel nach dem Überfall der Hamas in vielen Kreisen so zurückhaltend geblieben? Warum jubelten manche in progressiven akademischen Kreisen zu den Taten der Hamas?
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