Ein glanzvolles Comeback konnte der alte Doppeladler feiern. Dieses in Europa einst weit verbreitete doppelköpfige Wappentier hatte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts allein auf den Flaggen Albaniens und der Mönchsrepublik Athos überdauert. In den neunziger Jahren wurde er nicht nur in Russland, sondern auch in der neu gegründeten Bundesrepublik Jugoslawien als Staatswappen rehabilitiert. Das ursprünglich aus dem Orient stammende Motiv, wo man es bereits seit ungefähr 1000 vor Christus sowohl als Ornament wie auch als heraldisches Symbol kannte, war im Byzantinischen Reich lange Zeit als ornamentaler Schmuck auf Textilien und Reliefdarstellungen verwendet worden, bevor es in der Spätphase des Reiches zu einem Symbol des Kaisers wurde. Von Byzanz aus hatte er auch in den Balkanländern Verbreitung gefunden, wo wir ihn zu Beginn des 13. Jahrhunderts erstmals auf den Fresko-Darstellungen serbischer Könige finden. Auch hier anfangs nur als Ornament benutzt, entwickelte er sich im 14. und 15. Jahrhundert ebenfalls zu einem häufig verwendeten Herrscheremblem auf Münzen und Siegeln, vor allem in Serbien, aber auch in anderen Ländern.
1450 setzte der albanische Fürst Gjergj Kastriota, besser unter dem Namen Skanderbeg bekannt, den Doppeladler auf sein Siegel. Dieses Familienwappen wurde im 19. Jahrhundert von der albanischen Nationalbewegung zu neuem Leben erweckt. 1913, nach der Gründung des albanischen Staates, liess sich der doppelköpfige Vogel dann auf der Flagge des Landes nieder und wurde später auch zum nationalen Symbol der Albaner in Kosovo und Mazedonien. Zu seinem heraldischen Gegenspieler sollte dann in den neunziger Jahren, Ironie der Geschichte, sein weisser Artgenosse avancieren, der nun wieder als Wappentier Jugoslawiens bzw. Serbiens diente. Nach dem Ende des mittelalterlichen serbischen Königreichs hatte er in Montenegro die osmanischen Zeiten überdauert, als Emblem der Fürstbischöfe und später auch der weltlichen Fürsten des Landes. Als 1838 das autonome Fürstentum Serbien errichtet wurde, griff man auch dort auf den Doppeladler als staatliches und herrscherliches Symbol zurück und behielt es nach der Gründung Jugoslawiens 1918 bei, bis ihn Tito nach dem Zweiten Weltkrieg in den - nur vorläufigen, wie sich erweisen sollte - Ruhestand versetzte.
Der Anstoss, Ende des 15. Jahrhunderts in Moskau den Doppeladler als herrscherliches Symbol zu übernehmen, war allerdings nicht von Byzanz ausgegangen, sondern von den Habsburgern. Der ungewöhnliche Vogel hatte im Mittelalter auch im Westen Europas Verbreitung gefunden. Bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts, zu Zeiten des Staufers Friedrich II., ist er im Königreich Sizilien auf den Insignien staatlicher Macht anzutreffen. Im 14. Jahrhundert begegnet er uns auf Münzen aus Köln, Trier, Mainz und der Pfalz. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation galt er, endgültig seit 1433, als Wappen des Kaisers. Seine beiden Köpfe sah man als Symbol der Königs- und der Kaiserwürde. Nicht die Heirat des Moskauer Grossfürsten Iwan III. mit einer Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, sondern die diplomatischen Kontakte mit den Habsburgern gaben den Moskowitern den Anlass, den Doppeladler zu übernehmen, auch wenn die grafische Gestaltung sich dann mehr am byzantinischen Vorbild orientierte. Zusammen mit dem älteren Symbol der Moskauer Herrschaft, St. Georg dem Drachentöter, der bald auf den Brustschild des Doppeladlers verbannt wurde, blieb dieses Emblem bis zur Revolution 1917 das Staatswappen Russlands.
Und ewig wachen die Adler ( NZZ Online)