10.01.2005
Menschenrechtsgericht verurteilt Türkei wegen Misshandlungen
Beamten hatten festgenommene Frau sexuell belästigt
Straßburg - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei abermals in zwei Fällen wegen Misshandlung und schlampiger Ermittlungen verurteilt. Die Straßburger Richter gaben am Dienstag einer jungen Frau und einem Anwalt Recht, denen die Türkei dem Urteil zufolge jeweils 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen muss.
Die heute 32-jährige Frau war im Mai 1997 gemeinsam mit ihrem Mann wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit zu einer marxistisch-leninistischen Partei festgenommen wurde. Während des mehrtägigen Polizeigewahrsams wurde sie nach eigenem Bekunden von mehreren Polizisten geschlagen sowie vor den Augen ihres Mannes nackt ausgezogen und sexuell belästigt. Ein Arzt stellte anschließend Blutergüsse an Hals und Rücken fest.
Freispruch
Die türkische Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen die Polizisten ein, die aber mangels Beweisen freigesprochen wurden. Sie sagten aus, die Frau habe sich bei der Festnahme gewehrt und sei dabei verletzt worden. Der Straßburger Gerichtshof wertete dies als wenig plausibel. Da die Justiz keine triftigen Erklärungen für die Verletzungen vorgelegt habe, sei der türkische Staat für die Misshandlungen verantwortlich.
Der 37 Jahre alte Anwalt, Mitglied einer Menschenrechtsvereinigung, war im September 1995 krankenhausreif geprügelt worden, als Polizisten gewaltsam eine Demonstration vor einem Gefängnis auflösten. Er erlitt mehrere Knochenbrüche und wurde zwei Wochen krankgeschrieben. Auch in diesem Fall wurden die Polizisten freigesprochen.
Die Straßburger Richter rügten auch die mangelhaften Ermittlungen. Im Fall der jungen Frau sei die Justiz dem Vorwurf der sexuellen Belästigung nicht nachgegangen, obwohl die Frau mehr als drei Tage lang an einem geheimen Ort ausschließlich von männlichen Polizisten verhört worden sei. Im zweiten Fall sei nicht genug unternommen worden, um die Schuldigen zu identifizieren.
Der türkische Justizminister Cemil Cicek hatte die Staatsanwälte laut Medienberichten in der vergangenen Woche zu sorgfältigeren Ermittlungen ermahnt. Cicek bezog sich demnach auf die vielen Verurteilungen der Türkei zu hohen Geldstrafen wegen schlampiger Ermittlungen durch den Straßburger Gerichtshof. Dem Fernsehsender NTV zufolge deutete der Minister an, dass die Geldsummen künftig bei den zuständigen Staatsanwälten eingetrieben werden könnten.
derstandard.at