Kimyager schrieb:
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Nicht wenige Armenier haben die Gunst der Stunde (Zerfall des Osmanischen Reiches) genutzt und mit den Russen gemeinsame Sache gemacht.
Die Engländer schürten damals überall Aufstände und zwar mit Waffen.
Und ein zerfallender Staat, wo es an allen Ecken brennt, hat bestimmt keine Zeit und Organisation, solche Aufstände unter Kontrolle zu bringen.
Es soll zwar keine Entschuldigung sein, aber so ist es nun mal überall auf der Welt.
Und hier noch ein guter ARtikel in der SZ von heute.
Dolchstoß gegen Demokratie
Türkischer Minister verhindert Konferenz zu Mord an Armeniern
Selbst die Reporterin des Staatsradios TRT erfuhr die Blamage erst am Ort. Statt quirliger Konferenzatmosphäre fand sie gähnend leere Gänge. Bis zum heutigen Freitag wollten in Istanbul 60 türkische Akademiker auf zehn Podien drei Tage lang zeigen, dass es in ihrem Land zur Armenier-Frage Ansichten gibt, die von der offiziellen Staatslinie abweichen. Sie wollten herausfinden, "was die Welt weiß, wir aber nicht wissen". Aber die renommierte staatliche Bosporus-Universität hat die Premiere in letzter Minute auf ungewisse Zeit "verschoben". Vorausgegangen war ein beispielloser Auftritt von Justizminister Cemil Cicek im Parlament.
Cicek, der auch Regierungssprecher ist sagte, manche meinten, in der Türkei "gebe es keine Freiheit. Doch es gibt die Freiheit, das Volk von hinten zu erdolchen und Lügen zu erzählen". Dies war auf die Konferenz-Macher von drei angesehenen Universitäten (Bosporus, Bilgi, Sabanci) gemünzt. "Verrat" und "Propaganda gegen die Nation" hielt Cicek ihnen vor. EU-Diplomaten in Ankara reagierten entsetzt. Einer meinte, "das war das Schlimmste, was ich in drei Jahren gehört habe". Der Literaturwissenschaftler Murat Belge, einer der Kongress-Initiatoren, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Türkei muss sich entscheiden, ob sie die alte bleibt oder sich ändert. Leider zeigt dies die Kräfte der alten Türkei."
Erst jüngst hatte Premier Tayyip Erdogan zugesagt, eine international besetzte Kommission werde die Massenmorde an den Armeniern 1915/16 untersuchen -- offenbar ein leeres Versprechen. Die türkische Empörung immerhin zeigt, dass sich Intellektuelle und Medien auch vom Justizminister nicht mehr den Mund verbieten lassen. Viele Professoren verurteilten den "Anschlag" auf die akademische Freiheit. "Es entsteht der Eindruck, dass die türkische politische Kultur ins Totalitäre abrutscht", warnte die Zeitung Sabah. "Die Türkei hat sich selbst in den Fuß geschossen", sagte Zaman-Kolumnist Sahin Alpay. "Null Toleranz für die Freiheit" titelte die liberale Radikal und verwies dazu auf eine aktuelle Entscheidung des Kassationsgerichts, das die linke Erziehungsgewerkschaft Egitim Sen schließen will, weil sie sich für Schulunterricht in Kurdisch ausspricht.
Hrant Dink, ein prominenter türkischer Armenier, hatte zuvor öffentlich frohlockt, die Konferenz werde "ein unglaublicher Gewinn" sein, weil sie "der ganzen Welt zeigt, dass es bei uns freie Historiker gibt". Enttäuscht sagte Dink nun, "die Türkei ist nicht demokratisch genug, die armenische Frage zu diskutieren". Der türkische Tumult kommt zum unpassenden Zeitpunkt. Am Sonntag entscheidet Frankreich -- wo es eine große armenische Diaspora gibt -- über die EU-Verfassung, wobei Gegner argumentieren, ein Nein könne einen EU-Beitritt der Türkei aufhalten. Deutschland, bisher stärkster Befürworter der EU-Verankerung Ankaras, steht vor einer Neuwahl. Die favorisierten Unionsparteien wollen die Türkei nicht in der EU.
Das gefällt Nationalisten in der Türkei. "Patrioten"-Vereine protestierten vor der Bosporus-Universität und forderten die endgültige Absage der geplatzten Konferenz. Mitorganisator Belge hat noch nicht aufgegeben. "Wir diskutieren, ob sie später stattfindet." Das könnte zu einer demokratischen Nagelprobe für Ankara werden. Christiane Schlötzer
(SZ vom 27.5.2005)