Die Türkei orientiert sich nach Osten
Die Türkei orientiert sich nach Osten
Mit der Ernüchterung in EU-Fragen sucht Ankara neue Allianzen
"Europa verliert die Türkei", titelte das US-Nachrichtenmagazin Newsweek Ende letzten Jahres. Wer diese Schlagzeile für überzogen hielt, braucht sich nur die außenpolitischen Termine der türkischen Regierung in dieser Woche anzuschauen, um sich eines Besseren belehren zu lassen.
In ganzseitigen Anzeigen in allen großen türkischen Zeitungen begrüßt da die "Kuwait Turkish Participation Bank" den Besuch des Premierministers Sheikh Naser Mahammad Al Sabah in Ankara. Während am Tag zuvor Außenminister Abdullah Gül sich bei einem Besuch in Berlin beim amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, noch einmal persönlich beklagte, dass die Türkei zum 50-Jahr-Jubiläum der EU nicht eingeladen worden war, diskutierte Ministerpräsident Tayyip Erdogan am gleichen Tag in Damaskus mit Syriens Staatschef Bashar Assad über mögliche Gespräche mit Israel, der Situation im Libanon und einer neuen Gaspipline, die von Ägypten über Syrien in die Türkei führen soll.
Seit die EU der Türkei die kalte Schulter zeigt, sucht und findet die Regierung von Ministerpräsident Erdogan ihre außenpolitischen Erfolgsfotos für den Wahlkampf - die Wahlbewegung für das Amt des Staatspräsidenten beginnt am 16. April - im Osten statt im Westen - beispielsweise beim Arabergipfel in Riad, als die 22 arabischen Staaten auf Drängen des saudischen Königs ihr Friedensangebot an Israel erneuerten. Mit dabei waren UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, EU-Troubleshooter Javiar Solana und, als einziger nicht arabischer Regierungschef, Tayyip Erdogan.
Die vermehrten Auftritte und intensivierten Kontakte der türkischen Regierung mit ihren östlichen Nachbarn sind zwar nicht das Ergebnis einer offiziell erklärten Abkehr von Europa, sondern eher die logische Konsequenz aus dem Stillstand im Verhältnis mit der EU. Dabei spielen sowohl politische wie ökonomische Gründe eine Rolle. Zum einen ist die türkische Führung mittlerweile überzeugt, dass für die Zukunft der Türkei die Frage, ob der Irak auseinanderbricht oder nicht, in den kommenden Jahren wichtiger ist, als das ständige Hin und Her mit der EU. Und zweitens kommt der größte Teil frischen ausländischen Kapitals seit Jahren aus der Golfregion.
Dass die türkische Börse in den letzten vier Jahren ihren Wert fast verdoppelt hat, geht im wesentlichen auf Geld aus der Golfregion zurück. Erst vor zwei Wochen ersteigerte der Kronprinz von Dubai, Mohammed Ibn Raschid al Maktun, in einem spektakulären Bieterprozess für 800 Millionen Dollar eines der begehrtesten Baugrundstücke im Istanbuler Finanzdistrikt und wird dort nun die "Dubai-Towers", die gewaltigsten Wolkenkratzer der Bosporus-Metropole, bauen lassen.
Die neue Hinwendung nach Osten kann allerdings auch für Europa überaus nützlich sein, vorausgesetzt, die EU beginnt demnächst, außenpolitisch zu denken. Da Erdogan, im Gegensatz zu den meisten EU-Regierungschefs im Nahen Osten, mit allen im Gespräch ist, rückt die Türkei immer häufiger in eine Vermittlungsrolle. Erdogan rief auf Bitten Tony Blairs den iranischen Präsidenten direkt an, um zur Lösung der Soldatenkrise zu helfen.
Wenn Assad den Israelis eine Nachricht zukommen lassen will, schaltet er immer häufiger die türkische Regierung ein. Und während die EU immer noch darüber diskutiert, mit welchen Mitgliedern der neuen palästinensischen Regierung sie demnächst wieder reden will, kommt der neue und alte Palästinenserpremier Ismail Haniyeh in den nächsten Tagen nach Ankara. Israel grummelt zwar, doch letztlich sind sowohl die israelische Regierung als auch die EU höchst interessiert zu hören, was Haniyeh in Ankara zu erzählen hat.
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