Türkeis Militär bringt Erdogan in Zugzwang
Mit seiner Forderung, im Kampf gegen die PKK in den Nordirak einzumarschieren, sorgte der türkische Generalstabschef für Aufregung - mit staatspolitischem Kalkül: Er setzt den islamisch geprägten Ministerpräsidenten Erdogan unter Druck, der sich möglicherweise zum Staatschef wählen lassen will.
ANZEIGE
Istanbul - Wird die türkische Armee in den Nordirak einmarschieren? Bislang berichteten lediglich gut unterrichtete Kreise über solche Pläne. Doch seit gestern haben solche Überlegungen einen offiziellen Charakter: Auf einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz erklärte der Chef der türkischen Streitkräfte, Generalstabschef Yasar Büyükanit, militärisch sei es sinnvoll und geboten, die Camps der kurdischen separatistischen "Terrororganisation der PKK" im Nordirak anzugreifen.
Generalstabschef Büyükanit: Entschiedener Gegner von Erdogan
Großbildansicht
AP
Generalstabschef Büyükanit: Entschiedener Gegner von Erdogan
Als Grund nannte er Geheimdienst-Erkenntnisse, nach denen die PKK im Mai, wenn nach der Schneeschmelze die Pässe in den Bergen zwischen dem Nordirak und dem Südosten der Türkei wieder frei sind, eine große Offensive mit Attentaten und Angriffen auf die türkischen Sicherheitskräfte plane. Aus militärischer Sicht gebe es keinen Zweifel, dass es sinnvoll sei, die PKK anzugreifen, bevor diese selbst zu einem Angriff in der Lage sei. Ob dies auch politisch opportun sei, müsse das Parlament entscheiden, sagte Büyükanit. Die Armee sei aber jederzeit zu einer Offensive in der Lage.
Der Auftritt des Generalstabschefs, von dem schon lange bekannt ist, dass er seine Truppen lieber heute als morgen gegen die PKK im Nordirak losschicken würde, diente aber einem ganz anderen Zweck, als diese Meinung nun noch einmal öffentlich zu wiederholen. Büyükanit suchte eine Gelegenheit, zu einem anderen Problem Stellung zu nehmen, das den Militärs noch mehr auf den Nägeln brennt als die PKK: In den kommenden vier Wochen wird in der Türkei ein neuer Präsident gewählt. Die Befürchtung des Militärs - wie vieler anderer Laizisten im Lande auch - ist, dass der islamisch geprägte Ministerpräsident Tayyip Erdogan als Präsidentschaftskandidat antritt und spätestens im dritten oder vierten Wahlgang mit der Mehrheit, die seine Partei im Parlament besitzt, gewählt wird. Die islamisch grundierte AKP würde dann nicht nur die Regierung stellen - es wird erwartet, dass der jetzige Außenminister Abdullah Gül als Regierungschef nachrückt, falls Erdogan Präsident wird - sondern könnte über den Präsidenten dann auch alle anderen Schlüsselstellungen des Staates besetzen.
Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik gäbe es dann einen Präsidenten, der nicht aus der kemalistisch-laizistischen Tradition der Republik kommt, sondern Befürchtungen aufkommen lässt, er könnte mit Hilfe seiner Regierungspartei die strikte Trennung von Staat und Religion zumindest partiell wieder rückgängig machen. Die bevorstehende Wahl des Staatspräsidenten im Parlament wird deshalb in weiten Teilen der türkischen Bevölkerung als eine Wahl begriffen, die die bisherigen Grundlagen des Landes in Frage stellen könnte.
Deshalb war in den vergangenen Wochen immer wieder mehr oder weniger offen darüber diskutiert worden, ob die Armee als Hüter der laizistischen Republik es hinnehmen würde, wenn Erdogan sich wählen lässt. Angeheizt wurde die Debatte durch eine Enthüllungsgeschichte des Nachrichtenmagazins "Nokta", das vergangene Woche Auszüge aus einem Tagebuch des früheren Oberkommandierenden der Marine aus dem Jahr 2004 dokumentierte, in denen offen über Planungen für einen Putsch gegen die gerade inthronisierte Regierung Erdogan berichtet wurde.
Der mittlerweile pensionierte Admiral Özden Örnek dementierte zwar, dass das ihm zugeschriebene Tagebuch echt sei, erst vor wenigen Tagen nährte der damalige Generalstabschef Hilmi Özkök aber die gegenteilige Spekulation. Büyükanit nutzte deshalb seinen Auftritt vor allem dafür, die Putsch-Spekulationen zurückzuweisen, machte aber gleichzeitig deutlich, dass die Armee die Wahl eines Präsidenten erwarte, "für den die Grundsätze der Republik nicht nur Lippenbekenntnisse sind, sondern der sich auch mit seinen Taten dafür einsetzt". Da der Präsident formal auch Oberbefehlshaber des Militärs ist, habe die Armee natürlich ein besonderes Interesse daran, wer das höchste Amt im Staate innehat. Die Entscheidung darüber, so Büyükanit, liege aber natürlich beim Parlament.
Büyükanit, der dem Ministerpräsidenten in aufrichtiger Ablehnung verbunden ist, hat Tayyip Erdogan, der am Sonntag zur Eröffnung der Hannover Messe nach Deutschland kommt, in den derzeit beiden entscheidenden Fragen des Landes den Ball damit zurückgespielt. Man solle aufhören die Armee als Putschisten darzustellen, es werde keinen Putsch zur Verhinderung eines Präsidenten geben. Allerdings erwartet die Armee im Gegenzug von der Politik die Wahrung der Grundlagen der Republik. Am liebsten wäre dem Militär, Erdogan würde sich nicht zum Präsidenten wählen lassen und stattdessen einen Kompromisskandidaten vorschicken.
Auch einen Einmarsch in den Nordirak wird es nur auf Anordnung des Parlaments geben. Damit würde das Parlament aber auch die Verantwortung für alles übernehmen, was passiert, wenn die Armee an einem Einmarsch gehindert wird. Im Moment scheint eine Militärintervention im Nordirak allerdings ziemlich unwahrscheinlich, weil kaum vorstellbar ist, dass Erdogan just zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen, die bis zum 16. Mai abgeschlossen sein müssen, einem Einmarsch im Nordirak zustimmen wird.
Erdogan: Bestehe nicht auf Kandidatur
Sollte die Warnung des Generalstabschefs allerdings Realität werden und die PKK tatsächlich erneut massiv aus dem Nordirak heraus in der Türkei angreifen, könnte sich das jedoch schnell ändern. Denn in der Türkei fragen sich nicht nur im Militär zunehmend mehr Leute, warum es den USA erlaubt gewesen sein soll, im Irak einzumarschieren, warum es Israel erlaubt war, als Reaktion auf Angriffe der Hisbollah den halben Libanon in Schutt und Asche zu legen und warum es nur der Türkei verboten sein soll, sich gegen Angriffe der PKK aus dem Nordirak heraus zu wehren. Dass ein Angriff dort auf die PKK auch keine Lösung der Kurdenfrage in der Türkei ist und der Konflikt im eigenen Land dadurch nur noch mehr angeheizt würde, wird dabei immer mehr verdrängt.
Erdogan bemüht sich derweil um Deeskalation: "Ich bestehe nicht auf dem (Präsidenten-) Palast, ich bestehe nicht darauf, Präsident zu werden", zitierte ihn heute die Zeitung "Radikal". Büyükanit sei von Journalisten provoziert worden, habe darauf aber vernünftige, positive Antworten gegeben.