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Gegen den Beitritt
Die Türkei wäre das ärmste und größte EU-Land
(80) Von Jacques Schuster 30. März 2010, 06:50 Uhr
Eine EU-Zugehörigkeit der Türkei würde Europa zerstören – so die Meinung von Jacques Schuster. Für WELT ONLINE erklärt er die möglichen Auswirkungen auf die EU-Länder. Trotz der Modernisierungsfortschritte der Türkei, bleibt das Land "ein bedauernswert unterentwickelter Schlucker".
Foto: dpa/DPA
Autor Jacques Schuster befürchtet beim Eintritt der Türkei in die EU eine türkische Masseneinwanderung
Es ist merkwürdig, in welch akademischer Abgeklärtheit über den Beitritt der Türkei in die Europäische Union gesprochen wird. Fast scheint es, als bewürbe sich ein muslimisches Luxemburg bei der europäischen Weltmacht um die Mitgliedschaft im Klub der Großen.
Dabei ist es umgekehrt: Eine Riese begehrt Aufnahme im Verein alternder Zwerge! Oder anders formuliert: Wer die EU zerstören will, der soll die Aufnahme der Türkei nur weiter betreiben.
Sechs Gründe, warum wir dies mit Leidenschaft verhindern sollten:
Wäre die Türkei schon heute EU-Mitglied, wäre sie bereits jetzt mit rund 76 Millionen Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten Staaten der Gemeinschaft. Zwischen 2000 und 2007 wuchs die Bevölkerung der EU um kümmerliche 2,6, die der Türkei dagegen um gut neun Prozent. Geht es so weiter, wird die Türkei in der Mitte des Jahrhunderts mehr Einwohner als Frankreich und Deutschland zusammen haben. Damit wäre das EU-Mitglied Türkei auch das politisch einflussreichste Land innerhalb der Europäischen Union. Schlimmer noch:
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Die Türkei wäre nicht nur das größte Mitgliedsland des europäischen Klubs, sie wäre auch das ärmste. Betrachtet man die Statistiken, so hat es Ankara in den vergangenen Jahren zwar geschafft, sich zu modernisieren, im europäischen Vergleich bleibt das Land am Bosporus aber auf unabsehbare Zeit ein bedauernswert unterentwickelter Schlucker.
Experten haben errechnet, dass der Beitritt der Türkei weitaus teurer wäre als die Aufnahme aller zehn Staaten zusammen, die 2004 in den Klub eintraten. Nimmt man an, dass Ankara genauso behandelt werden würde wie jene zehn, hätte es Anspruch auf über 45 Milliarden Euro! Könnten wir das zahlen? Wohl kaum. Wahrscheinlich würde diese Summe allerdings zu den geringeren Sorgen der alteingesessenen EU-Mitglieder gehören.
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Sie hätten andere Sorgen, angesichts der drohenden Völkerwanderung. In der Europäischen Union herrscht das Prinzip der Freizügigkeit. Jeder darf dort hinziehen, wo es ihm behagt. Das würde auch für die Türken gelten. Experten fürchten, dass bis zu drei Millionen Türken gen Nordwesten zögen.
Bereits jetzt leben etwa 15 Millionen Moslems in der EU, allein in Deutschland 2,5 Millionen Türken. Von einigen Ausnahmen abgesehen, ist ihre Integration gescheitert. Eine türkische Masseneinwanderung würde diesen Misstand nur noch vertiefen. Am Ende würden die Europäer nicht die Türken assimilieren, sondern die Türken die Europäer.
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So wäre auch der Unionsgedanken am Ende. In dem Versuch, Europa aus den Trümmern des Weltkrieges zu führen und zu einen, lag stets auch die Idee „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“ zu schaffen, wie es Winston Churchill in seiner Züricher Rede 1946 formulierte. Ein Beleg dafür ist die Umbenennung der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ in „Europäische Gemeinschaft“ und dann in „Europäische Union“.
Will man den Unionscharakter bewahren, die Union gar vertiefen, ist ein europäisches Wir-Gefühl vonnöten. Ein EU-Beitritt der Türkei brächte das Gegenteil des Gewünschten. Deshalb sind übrigens auch die Briten für den Beitritt Ankaras. Sie hoffen, die Europäische Union mit Hilfe der Türkei in eine Freihandelszone zu verwandeln.
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Bleibt das häufig gehörte strategische Argument. Die Befürworter eines EU-Beitritts Ankaras betonen: Ein EU-Mitglied Türkei würde als Modell eines verwestlichten, wohlhabenden islamischen Staat auf die muslimische Welt ausstrahlen.Dieses Argument ist jedoch nicht schlüssig. In der arabisch-muslimischen Welt war Ankara etwa so beliebt wie die Japaner in Korea. Bis heute haben die Araber den türkischen Kolonialherren nicht vergessen. Die Türkei ist keine Brücke zwischen Orient und Okzident.
Sie würde uns sogar zahlreiche strategische Probleme bringen, für die es aufgrund ihrer Geografie gar nichts kann. Will die Europäische Union tatsächliche eine gemeinsame Grenze mit Syrien, Irak und Iran? Will sie in einen Kurden-, einen Armenierkonflikt gezogen werden? Wie gingen Berlin, Paris und Brüssel mit den Turkvölkern in Russland, Afghanistan und dem Iran
Themenfelder, die zeigen, was wir uns mit einem türkischen EU-Mitglied aufhalsen würden. Und keiner frage, was Ankara täte, wenn es abgelehnt werden würde. Schon jetzt bastelt die Regierung eifrig an außenpolitischen Alternativen.