Syrische Rebellengruppen schließen sich "Islamischem Staat" an
Peter Mühlbauer 12.07.2014
Kalifat der Kopfabschneider schmuggelt angeblich Öl ins Ausland
Dem syrischen Journalisten Ammar Abu Shahin zufolge hat sich die geschätzt 1000 Mann starke Dawud-Brigade aus der Provinz Idlib dem Ende Juni von Abu Bakr al-Bagdadi ausgerufenen Kalifat angeschlossen. Danach verstärkt die Rebellengruppe die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) um etwa 10 von der syrischen Armee erbeutete Panzer und ungefähr hundert weitere Fahrzeuge. Angeblich wurde die gesamte Brigade nach dem Anschluss in das IS-Hauptquartier in ar-Raqqa beordert, wo sie weitere Einsatzbefehle abwarten soll.
Auch das Assad-kritische Portal Zaman Alwasl berichtet, dass sich immer mehr Rebellengruppen dem Terrorkalifen unterstellen - darunter die Brigaden Ahl al-Athar, Ibin al-Qa'im und Aisha, die vorher der vom Westen unterstützten "Freien Syrischen Armee" zugerechnet wurden. Dieser Zentralisierungseffekt ist nichts Ungewöhnliches und in der Geschichte häufig zu beobachten: Kleinere Fraktionen schließen sich größeren an, wenn sich herauskristallisiert, dass diese militärisch erfolgreich sein.
Derzeit ist in Syrien und in Irak vor allem Abu Bakr al-Bagdadis "Islamischer Staat" militärisch erfolgreich, weshalb zu erwarten ist dass sich der Gruppe, die mit extrem grausamen Enthauptungsvideos für sich wirbt, weitere Akteure im syrischen Bürgerkrieg anschließen werden. Damit besteht die Gefahr, dass die halbe Milliarde Dollar, die die US-Regierung letzten Monat beim Kongress zur Unterstützung syrischer Rebellen beantragt hat, ganz oder teilweise in den Händen der Kopfabschneider landet.
Die konnten ihre Einkünfte durch neuen Eroberungen ohnehin kräftig steigern: Zu hohen Schutzgeldern von Ladenbesitzern, Lastwagenfahrern und Christen kommen Öleinnahmen hinzu, die den Schätzungen des Iraq Oil Reports nach Millionen in die die Kassen des Kalifats spülen.
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Öl- und Gasvorkommen in Syrien. Karte: Telepolis |
Neben den wichtigsten Ölfeldern in Syrien kontrolliert die Terrorgruppe inzwischen auch Förderstätten in den Hamrinbergen südlich von Kirkuk. Aus ihnen ihnen sprudeln täglich 16.000 bis 20.000 Barrel Rohöl, das sich im Nordirak für etwa 55 US-Dollar pro Barrel verkaufen lässt.
Der Iraq Oil Report geht davon aus, dass das Öl in 160-Barrel-Tanklastzügen in das irakische Kurdengebiet geschmuggelt und dort weiterverkauft wird. Der Preisunterschied zwischen 55 Dollar im Ankauf und deutlich über 100 Dollar auf dem Weltmarkt sorgt angeblich dafür, dass kurdische Behörden auch dann bezahlt wegsehen, wenn sie wissen oder ahnen, dass der Ölschmuggel ihre salafistischen Feinde finanziert. Zudem besetzten kurdische Peschmerga letzte Woche zwei Ölfelder, in denen mit 200.000 bis 400.000 Barrel deutlich mehr gefördert wird als in den benachbarten des Kalifats.
Syrische Rebellengruppen schließen sich "Islamischem Staat" an | Telepolis
Kalifatsterroristen "säubern" Dscharabulus
Peter Mühlbauer 12.07.2014
PYD wirft "einigen stattliche Institutionen" in der Türkei Unterstützung der Salafisten vor
Kurdischen Syrern zufolge verfolgt die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) in der von ihr eroberten Grenzstadt Dscharabulus eine "Säuberungspolitik". Dort ansässige Kurden wurden mit öffentlichen Kreuzigungen so verängstigt, dass viele von ihnen die Stadt verließen. Wer nach einer Weile feststellt, dass er die Gefahr grausamer Körperstrafen der Obdachlosigkeit vorzieht, dem wird von der Terrorgruppe die Rückkehr in das alte Haus oder die alte Wohnung verweigert, solange er kein sunnitischer Araber ist.
Östlich von Dscharabulus versucht IS derzeit den kurdischen Kanton Kobanê zu erobern. Dem stellvertretenden Kantonsaußenbeauftragten Idris Nassan nach gelang es den Terroristen mit im Irak erbeuteten Panzern und schweren Geschützen die drei knapp 50 Kilometer westlich des Euphrat gelegenen kurdischen Dörfer Zor Mugar, Beyadi und Ziyarete zu erobern. Nun führten sie die Angriffe auf das von den anderen beiden syrischen Kurdenkantonen isolierte Gebiet von der östlich von Kobanê gelegenen Stadt Tel Abyad aus fort und versuchten die Dörfer Evdiko und Ebu Surra zu erobern. Dabei setzten die Salafisten angeblich einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen ein, der bei einer Kontrolle vier kurdische Milizionäre zerriss.
Nassan zufolge erhält sein Kanton nach der Ausrufung der "allgemeinen Mobilmachung" Unterstützung von Kämpfern der türkisch-kurdischen Terrorgruppe PKK. Diesen werde jedoch der Grenzübertritt aus der Türkei deutlich schwerer gemacht als den IS-Terroristen, die seinem Eindruck nach nicht nur völlig unbehelligt die gegenüber von Tel Abyad und Dscharabulus gelegenen (und offiziell geschlossenen) türkischen Grenzübergänge Akçakale und Karkamis für Militärtransporte und Hilfslieferungen aus Katar nutzen können, sondern sogar mit Strom aus der Türkei versorgt werden. Gleiches gelte für den 40 Kilometer westlich von Kobanê gelegenen Grenzübergang Rai. Salih Muslim, der Mitvorsitzende der in den drei syrischen Kurdenkantonen herrschenden PYD, kritisiert ebenfalls, dass "einige stattliche Institutionen" in der Türkei mit IS "kooperieren" und bei Grenzübertritten von Kurden einerseits und Salafisten andererseits mit zweierlei Maß messen. Seine Partei wolle deshalb mit türkischen Behörden in Kontakt treten, um über die Vorgänge zu sprechen.
Der Kurdenkanton Kobanê ist im Westen und im Osten bis hinauf zur türkischen Grenze vom Terrorkalifat (hier grün gefärbt) umgeben. Karte: Telepolis. |
Auch türkische Journalisten wie Fehim Tastekin sehen in IS mittlerweile eine größere Gefahr als im kurdischen Separatismus: Fallen die syrischen Kurdenkantone in die Hand der Salafisten, dann fehlt der PKK zwar ein potenzielles Rückzugsgebiet – aber die Türkei muss auf 450 Kilometern Grenzlänge auf Terroristen achten, die das Land ihrem "Kalifat" vollständig einverleiben wollen und dabei vor keiner Grausamkeit zurückschrecken.
Das Bewusstsein dieser Gefahr sorgte auch mit dafür, dass das türkische Parlament am Donnerstag ein Gesetz verabschiedete, das die Wiedereingliederung ehemaliger PKK-Kämpfer in die Gesellschaft erleichtern und Meinungsverschiedenheiten zwischen Kurden und der Regierung in Ankara auf eine gewaltfreie Grundlage stellen soll. Im letzten Jahr hatte sich die PKK auf einen Waffenstillstand mit der türkischen Regierung geeinigt und ihre bewaffneten Einheiten teilweise in das irakische Kurdengebiet verlagert. Nun könnten viele davon in die drei syrischen Kurdenkantone ziehen, wenn man sie lässt.
Kalifatsterroristen "säubern" Dscharabulus | Telepolis