Kultur und Islam
Wenn in der Gegenwart von technischem und kulturellem Fortschritt die Rede ist, so wird im gleichen Atemzug Amerika, Europa oder Ostasien genannt. Die islamische Welt ist auf den Feldern der Geistes- und Naturwissenschaften eindeutig unterräpräsentiert. Das war nicht immer so. Im Gegenteil: Als sich Europa gerade mühsam seinen Weg aus selbstverschuldeter Barbarei gebahnt hatte, stand im islamischen Einflußbereich die Kultur bereits in prachtvoller Blüte.
Im 5. Jahrhundert überrannten aus den dunklen Wäldern Germaniens stammenden Völker das Weströmische Reich. Eine europäische Hochkultur versank in Schutt und Asche, ihre Infrastruktur wurde von den Siegern kurz und klein geschlagen. Ähnlich ungebildet und barbarisch drangen die Araber aus Steppen und Wüsten in die fruchtbaren, hochziviliserten Ländereien Ostroms und Persiens vor. Sie allerdings schonten das Vorgefundene und knüpften mit Hilfe einheimischer Wissenschaftler, Künster, Handwerker und Bauleute erfolgreich an dieses Erbe an.
Wissenschaften ...
Während das Erbe der Antike, die Leistungen der griechischen Philosophen, Naturwissenschaftler und Ärzte in Europa fast in Vergessenheit geriet, fand es eine neue Heimat an arabisch-islamischen Lehrstätten. So gelangte die Philosophiedes Aristoteles oder die Astronomie des Ptolemäus über den Umweg des seinerzeit islamischen Spaniens ab dem 11. Jahrhundert zurück nach Europa.
In der Arithmetik führten die Araber die aus Indien stammenden „arabischen“ Zahlen ein, Europa übernahm diese ebenso wie die Algebra, ebenfalls ein griechisches Erbe.
Die Geografie blühte durch die Eroberungszüge, vor allem aber durch die intensiven Handelsbeziehungen nach Ostasien, Indien und tief ins südliche Afrika, welche zahlreiche neuen Erkenntnisse brachten. Ibn Fadhlan reiste um das 1. Jahrtausend bis ins Reich der Wolga-Bulgaren, Ibn Battuta im 14. Jahrhundert nach China, West- und Zentralafrika. Maßstäbe setzte die Weltkarte des al-Idrisi, welche Mitte des 12. Jahrhunderts im Auftrag des normannischsizialianischen Königs Roger II. entstand. Dank des Hunain ibn Ishak aus dem 9. Jahrhundert sind uns viele Werke des Hippokrates und Galen erhalten geblieben. Hervorragende eigene Leistungen in der Medizin erbrachten auch im Westen berühmt gewordenen Mediziner wie Ibn Sina (Avicenna), Ibn Ruschd (Averroes) und al-Ghazali, welche alle im 11. und 12. Jahrhundert wirkten.
... und Künste
Architektur und Kalligrafie erreichten in der Blütezeit der Kalifate von Damaskus und Bagdad ihren Höhepunkt. Die Araber, zumeist Nomanden und Bauern, stützten sich dabei auf Künstler und Handwerker aus den unterworfenen Gebieten, vor allem Griechen und Perser. Diese schufen aus dem byzantinischen und persischen Stil heraus eine originäre islamische Bauweise. Häufig wird von einem „kanonischen Bilderverbot“ im Islam gesprochen, welches aber in solcher Eindeutigkeit nicht existiert. Allerdings gibt
Buchari wieder, das der Engel Gabriel dem Propheten offenbart habe, kein Engel betrete ein Haus, in dem sich ein Bild oder ein Hund befinde. Mohammed selbst habe die Zerstörung der Wandbilder in der Kaaba angeordnet, allerdings eine Malerei, die Maria und Jesus zeigte, bestehen lassen. Da die ursprüngliche Kaaba 683 niederbrannte, lässt sich dies nicht mehr nachprüfen. Im schiitischen Iran, bei den Türken und im Mogul-Reich jedenfalls entstanden in späteren Zeiten wunderbare Miniaturen, welche auch Menschen abbildeten.
Grösstenteils freilich ist die islamische Kunst frei von menschlichen Abbildungen. Dafür entstand eine prächtige Art von Kalligrafie an den Gebäuden, meist in Form farbig glasierter Kacheln. Für die Sakralbauten, aber auch Paläste und überdachte Basare sind freitragende Kuppel üblich, die sich eindeutig an spätrömischen und byzantinischen Vorbildern orientieren. Romanisch ist die Führung der Bogen an Toren und Fenstern, einen völlig eigenen, oft regional inspirierten Stil lassen die Minarette der Moscheen erkennen. Buntheit und Detailverliebtheit, oft auch streng geometrische Ordnung sind Merkmale islamischer Architektur.
Der Untergang des Kalifats von Bagdad im
Mongolensturm des 13. Jahrhunderts beendete die Glanzzeit islamischer Wissenschaft und Kunst abrupt. Auch wenn
Osmanen,
Safawiden und
Moguln durchaus noch zahlreiche prachtvolle Beispiele gerade auf dem Gebiet des Bauwesens lieferten, konnte nie wieder an die vergangene Periode angeknüpft werden. Bis zur Gegenwart sind es vor allem die „Ungläubigen“, welche die Felder des technischen Fortschritts und auch der Künste beherrschen.