Krieg gegen Russland: Ehemalige Geheimdienstler warnen Merkel vor falschen „Beweisen“
                                                                                
		
		
	
	
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Alarmiert durch die anti-russische Stimmung, die das offizielle  Washington in diesen Tagen prägt – und das Gespenst eines neuen Kalten  Krieges – haben ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter am 30. August den  ungewöhnlichen Schritt unternommen. Sie haben eine 
Mitteilung an die Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt. Darin  ziehen sie die Verlässlichkeit von Behauptungen der ukrainischen und  der amerikanischen Regierung über eine russische „Invasion“ in Zweifel.  Die OSZE hat erst am Montag festgestellt, dass sie über 
keine Hinweise einer Truppenpräsenz der Russen in der Ukraine verfüge.
 Die investigative US-Website 
Consortiumnews.com veröffentlichte den Originaltext. Die Seite wird vom amerikanischen 
Investigativ-Journalisten Robert Parry  betrieben. Er hatte für die Nachrichtenagentur Associated Press unter  anderem die Iran-Kontra-Affäre behandelt. Die Deutschen Wirtschafts  Nachrichten dokumentieren den Text im Wortlaut (Übersetzung DWN).
 DENKSCHRIFT FÜR: Angela Merkel, Bundeskanzlerin von Deutschland
 VON: Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)
 THEMA: Ukraine und Nato
 Wir, die Unterzeichner, sind ehemalige langjährige Mitarbeiter von  US-Geheimdiensten. Wir unternehmen den ungewöhnlichen Schritt, diesen  offenen Brief an Sie zu schreiben, um sicherzustellen, dass Sie die  Gelegenheit haben, sich vor dem Nato-Gipfel am 4. bis 5. September über  unsere Ansichten zu informieren.
 Sie müssen zum Beispiel wissen, dass Anschuldigungen einer größeren  russischen „Invasion“ der Ukraine anscheinend nicht von verlässlichen  Geheimdienstinformationen gestützt werden. Stattdessen scheinen die  „Geheimdienstinformationen“ von derselben zweifelhaften, politisch  „festgesetzten“ Art zu ein, die vor zwölf Jahren genutzt wurde, um den  US-geführten Angriff auf den Irak zu „rechtfertigen“.
 Wir haben damals keine glaubwürdigen Beweise für  Massenvernichtungswaffen im Irak gesehen; wir sehen jetzt keine  glaubwürdigen Beweise für eine russische Invasion. Vor zwölf Jahren  weigerte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem die  Fadenscheinigkeit der Beweise über irakische Massenvernichtungswaffen  bewusst war, sich an dem Angriff auf den Irak zu beteiligen. Unserer  Ansicht nach sollten Sie angemessen misstrauisch sein gegenüber den  Anschuldigungen des US-Außenministeriums und von Nato-Beamten, die eine  russische Invasion der Ukraine behaupten.
 Am 29. August bemühte sich Präsident Barack Obama, die Rhethorik  seiner eigenen hochrangigen Diplomaten und der Medien abzukühlen, als er  die jüngsten Aktivitäten in der Ukraine öffentlich beschrieb als „eine  Fortsetzung dessen, was nun bereits seit Monaten geschieht … es ist  nicht wirklich eine Veränderung“.
 Doch Obama hat nur schwache Kontrolle über die Entscheider in seiner  Regierung – die leider nicht viel Geschichtsverständnis haben, die wenig  über den Krieg wissen und die das Verfolgen einer Strategie mit  anti-russischen Beleidigungen ersetzen. Vor einem Jahr brachten  militaristische Beamte des US-Außenministeriums und ihre Freunde in den  Medien Präsident Obama beinahe dazu, einen größeren Angriff auf Syrien  zu starten, der sich einmal mehr auf „Geheimdienstinformationen“  stützte, die im besten Falle zweifelhaft waren.
 Hauptsächlich wegen der wachsenden Bedeutung von und des  offensichtlichen Vertrauens auf Geheimdienstinformationen, die wir für  fadenscheinig halten, denken wir, die Wahrscheinlichkeit, dass die  bewaffneten Auseinandersetzungen über die Grenzen der Ukraine hinaus  eskalieren, ist in den letzten Tagen deutlich gewachsen. Was noch  wichtiger ist: Wir glauben, dass diese Wahrscheinlichkeit vermieden  werden kann. Dies hängt davon ab, wie viel Urteilsfähigkeit Sie und  andere europäische Führer zum Nato-Gipfel in der kommenden Woche  mitbringen.
 
Erfahrungen mit der Unwahrheit
 Hoffentlich haben Ihre Berater Sie an die Erfahrungen mit der  Glaubwürdigkeit von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erinnert.  Es scheint uns, dass Rasmussens Reden noch immer von Washington  geschrieben werden. Das war mehr als deutlich an dem Tag vor der  US-geführten Invasion des Irak. Damals sagte er als dänischer Premier  seinem Parlament: „Irak hat Massenvernichtungswaffen. Das ist nicht nur  etwas, das wir nur glauben. Wir wissen es.“
 Fotos können so viel wert sein wie tausend Worte; sie können aber  auch irreführen. Wir haben beträchtliche Erfahrungen im Sammeln,  Analysieren und Berichten über alle Sorten von Satelliten- und andern  Bildern sowie über andere Sorten von Geheimdienstinformationen. Es  reicht wohl zu sagen, dass die von der Nato am 28. August  veröffentlichten Bilder eine sehr dünne Basis liefern, um Russland die  Invasion der Ukraine vorzuwerfen. Leider zeigen sie eine starke  Ähnlichkeit mit den Bildern, die Colin Powell den Vereinten Nationen am  5. Februar 2003 zeigte, die ebenfalls nichts beweisen konnten.
 An demselben Tag warnten wir Präsident Bush, dass unsere früheren  Kollegen Analysten „zunehmend verzweifelt über die Politisierung von  Geheimdienstinformationen“ waren, und sagten ihm ganz offen, dass  „Powells Präsentation [dem Ziel] nicht einmal nahe kommt“, einen Krieg  zu rechtfertigen. Wir drängten Präsident Bush, „die Diskussion zu  erweitern … über den Kreis jener Berater hinaus, die klar zu einem Krieg  entschlossen waren, für den wir keinen überzeugenden Grund sahen und  von dem wir glaubten, dass die unbeabsichtigten Folgen wahrscheinlich  katastrophal sein werden“.
 Schauen Sie sich den Irak heute an. Schlimmer als katastrophal.
 Obwohl Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt bisher  beachtliche Zurückhaltung gezeigt hat, müssen wir uns daran erinnern,  dass auch Russland die Schock-Methode beherrscht. Wenn es die geringste  Chance dafür gibt, dass wegen der Ukraine so etwas irgendwann auf Europa  zukommt, dann müssen nüchterne Führer dies unserer Ansicht nach sehr  vorsichtig durchdenken.
 Wenn die Fotos, welche die Nato und die USA veröffentlicht haben den  besten verfügbaren „Beweis“ einer Invasion durch Russland darstellen,  dann wächst unser Verdacht, dass große Anstrengungen unternommen werden,  um die Argumente dafür zu stärken, dass der Nato-Gipfel Handlungen  zustimmt, die Russland mit Sicherheit als eine Provokation betrachten  wird. Caveat emptor ist ein Ausdruck, mit dem Sie sicherlich vertraut  sind. Es genügt wohl zu ergänzen, dass man sehr vorsichtig sein sollte  im Hinblick darauf, was Rasmussen oder sogar US-Außenminister John Kerry  durchsetzen wollen.
 Wir vertrauen darauf, dass Ihre Berater Sie seit Anfang 2014 über die  Krise in der Ukraine auf dem Laufenden gehalten haben und darüber, dass  die Möglichkeit, dass die Ukraine ein Nato-Mitglied wird, dem Kreml ein  Dorn im Auge ist. Laut einer (von WikiLeaks veröffentlichten)  Mitteilung vom 1. Februar 2008 von der US-Botschaft in Moskau an  Außenministerin Condoleeza Rice wurde US-Botschafter William Burns von  Außenminister Sergej Lawrow einbestellt, der Russlands starken  Widerspruch gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine erklärte.
 Lawrow warnte eindringlich vor „Ängsten, dass das Thema das Land  möglicherweise in zwei Teile spalten könnte, was zu Gewalt oder, wie  einige sagen, sogar zu einem Bürgerkrieg führen könnte, der Russland  dazu zwingen würde zu entscheiden, ob es eingreifen soll“. Burns gab  dieser Mitteilung den ungewöhnlichen Titel „NJET HEISST NJET: RUSSLANDS  ROTE LINIEN FÜR EINE NATO-ERWEITERUNG“ und schickte sie mit der  Priorität DRINGEND nach Washington. Zwei Monate später auf ihrem Gipfel  in Budapest verabschiedeten die Nato-Führer eine formale Erklärung:  „Georgien und die Ukraine werden in der Nato sein.“
 Am 29. August nutzte der ukrainische Premier Arsenij Jazenjuk seine  Facebook-Seite, um zu behaupten, dass mit der Zustimmung des Parlaments,  die er beantragt hatte, der Weg zur Nato-Mitgliedschaft offen ist.  Jazenjuk war natürlich Washingtons Favorit, als er nach dem  Staatsstreich in Kiew am 22. Februar Premierminister wurde.
 „Jaz ist der Mann“, sagte die stellvertretende US-Außenministerin  Victoria Nuland einige Wochen vor dem Staatsstreich in einem  abgefangenen Telefongespräch mit dem US-Botschafter in der Ukraine  Geoffrea Pyatt. Sie erinnern sich vielleicht daran, das ist dasselbe  Gespräch, in dem Nuland sagte: „Fuck the EU.“
 
Das Timing der russischen „Invasion“
 Die gängige Darstellung, die Kiew vor nur wenigen Wochen  unterstützte, war, dass ukrainische Truppen bei den Kämpfen gegen die  föderalistischen Gegner des Staatsstreichs im Südosten der Ukraine die  Oberhand gewonnen hätten. Die Kämpfe wurden überwiegend als eine  Aufwisch-Operation dargestellt. Aber das Bild der Offensive kam fast  ausschließlich von offiziellen Regierungskreisen in Kiew. Es gab wenige  Berichte, die von vor Ort im Südosten der Ukraine kamen. Es gab jedoch  einen Bericht, der den ukrainischen Präsident Petro Poroschenko zitiert  und durch den die Verlässlichkeit der Darstellung der Regierung in  Zweifel gezogen wurde.
 Laut dem „Pressedienst des Präsidenten der Ukraine“ vom 18. August  forderte Poroschenko eine „Neugruppierung der ukrainischen  Militäreinheiten, die an der Operation im Osten des Landes beteiligt  sind. … Wir benötigen heute die Neuordnung der Truppen, die unser  Territorium verteidigen und die Armee-Offensive fortsetzen werden“, so  Poroschenko, der hinzufügt: „Wir müssen unter den neuen Umständen eine  neue Militäroperation prüfen.“
 Wenn „neue Umstände“ heißt, dass die ukrainischen Regierungstruppen  erfolgreich vorankommen, warum sollte es notwendig sein, die Truppen  „neu zu gruppieren“, „neu zu ordnen“? Zu etwa diesem Zeitpunkt begannen  Quellen vor Ort über eine Reihe von erfolgreichen Angriffen der  föderalistischen Gegner des Staatsstreichs gegen die Regierungstruppen  zu berichten. Laut diesen Quellen war es die Regierungsarmee, die  begann, schwere Verluste zu verzeichnen und Boden zu verlieren, vor  allem wegen Unvermögens und einer schwachen Führung.
 Zehn Tage später, als sie eingekreist wurden und/oder sich  zurückzogen, fand man dafür eine vorgefertigte Ausrede in der  „russischen Invasion“. Genau zu diesem Zeitpunkt wurden die  verschwommenen Fotos von der Nato veröffentlicht und Reporter wie  Michael Gordon von der New York Times wurden losgelassen, um zu  verbreiten, „die Russen kommen“. (Michael Gordon war einer der  ungeheuerlichsten Propagandisten für den Irak-Krieg.)
 
Keine Invasion – Aber reichlich andere russische Unterstützung
 Die föderalistischen Gegner des Staatsstreichs in der südöstlichen  Ukraine haben beachtliche Unterstützung vor Ort, zum Teil als Folge der  Artillerie-Angriffe durch Regierungstruppen auf größere Wohnzentren. Und  wir glauben, dass russische Unterstützung wahrscheinlich über die  Grenze eingedrungen ist und maßgeblich hervorragende  Geheimdienstinformationen vom Schlachtfeld beinhaltet. Doch es ist zu  diesem Zeitpunkt alles andere als klar, dass diese Unterstützung Panzer  und Artillerie umfasst – vor allem weil die Föderalisten besser geführt  worden sind und überraschend erfolgreich darin waren, die  Regierungstruppen zu binden.
 Zugleich haben wir wenig Zweifel daran, dass wenn die Föderalisten sie brauchen, russische Panzer kommen werden.
 Genau aus diesem Grund erfordert die Situation eine gemeinsame  Anstrengung für einen Waffenstillstand, was, wie Sie wissen, Kiew bisher  verzögert hat. Was sollte zu diesem Zeitpunkt geschehen? Unserer  Ansicht nach muss man Poroschenko und Jazenjuk offen sagen, dass eine  Nato-Mitgliedschaft nicht infrage kommt – und dass die Nato nicht  vorhat, einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen – und vor  allem nicht, um die Pöbel-Armee der Ukraine zu unterstützen. Anderen  Nato-Mitgliedstaaten muss man dasselbe sagen.
 Für den Lenkungsausschuss, Veteran Intelligence Professionals for Sanity
 William Binney, ehemaliger Technischer Direktor, World Geopolitical  & Military Analysis, NSA; Mitgründer, SIGINT Automation Research  Center (i.R.)
 David MacMichael, National Intelligence Council (i.R.)
 Ray McGovern, ehemaliger US Army infantry/intelligence officer & CIA analyst (i.R.)
 Elizabeth Murray, Deputy National Intelligence Officer for Middle East (i.R .)
 Todd E. Pierce, MAJ, US Army Judge Advocate (i.R.)
 Coleen Rowley, Division Counsel & Special Agent, FBI (i.R.)
 Ann Wright, Col., US Army (i.R.); Foreign Service Officer (zurückgetreten)
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