Ich würde auch dieses Buch von einem angesehen Historiker empfehlen. Christopher Clark Die Schlafwandler
Ein anderer Historiker und profunder Kenner des Balkans, leider schon verstorben, Hol Sundhausen (Hat übrigens auch das Buch Geschichte Serbiens geschrieben) im Interview zum Buch:
Aber die Tatsache, dass die Königsmörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden, dass der Chef der „Schwarzen Hand“, Dragutin Dimitrijević (Apis), weiter Karriere machte, dass er ungehindert seinen konspirativen Aktivitäten nachgehen konnte usw., usf. wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse im damaligen Königreich Serbien. Dass Clark die national(istisch)e Befreiungsrhetorik (über die Köpfe der zu „befreienden“ Menschen hinweg), die Brutalität der paramilitärischen Banden in den Balkankriegen, die mangelnde Kooperationsbereitschaft serbischer Behörden bei der Aufklärung der Hintergründe des Attentats von 1914 an den Pranger stellt, ist nachvollziehbar. Dass die nationale Euphorie und Kriegsbegeisterung in Serbien allerdings kein serbisches Phänomen war, hat er an vielen Stellen seines Werkes deutlich gemacht.
Prof. Sundhaussen: Ich habe nicht den Eindruck, dass Clark Österreich-Ungarn verherrlicht, sondern dass seine Darstellung ziemlich realistisch ist. Österreich-Ungarn war ja kein herkömmlicher Staat, sondern eher ein Staatenbund, und es bestanden deutliche Unterschiede zwischen der cisleithanischen (österreichischen) und der transleithanischen (ungarischen) Reichshälfte. In der österreichischen Hälfte gab es in der „nationalen Frage“ ziemlich viel Bewegung, und wir wissen nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben hätte und was passiert wäre, wenn der Thronfolger nicht ermordet worden wäre.
Dass Vielvölkerstaaten „unweigerlich“ dem Untergang geweiht sind, scheint durch die Beispiele Habsburgermonarchie, Osmanisches Reich oder Jugoslawien bestätigt worden zu sein. Doch warum sind diese Staaten untergegangen? Sie sind nicht zuletzt am ethnischen Verständnis von Nation gescheitert. Dieses Verständnis ist aber keineswegs zwangsläufig. Denn dort, wo Nation als Staatsbürgergemeinschaft (und nicht als biologische Volksgemeinschaft) verstanden und akzeptiert wird, können Menschen unterschiedlicher ethnischer Zuordnung durchaus unter einem gemeinsamen staatlichen Dach leben. Die österreichisch-ungarische Herrschaft in Bosnien-Herzegowina zwischen 1878 und 1918 war zeitweilig, und zwar in der „Ära“ von Benjamin Kállay, bestrebt, die drei großen nationalen und religiösen Bevölkerungsgruppen beider Provinzen zu einer Gemeinschaft zu verflechten.
Dieser Versuch ist gescheitert (er hätte den Menschen in Bosnien-Herzegowina viel Leid erspart). Er ist gescheitert, weil v.a. serbische und kroatische Nationalisten diese Bestrebungen massiv torpediert haben. Für serbische Nationalisten waren Bosnien-Herzegowina „serbische Länder“, - eine These, die in jeder Hinsicht absurd ist, für kroatische Nationalisten waren die bosnischen Muslime der „reinste Teil“ ihrer Nation und die beiden Provinzen galten als Teil Kroatiens in „seinen historischen Grenzen“, - eine These, die nicht weniger absurd ist. Und das, was auf Österreich-Ungarn folgte – z.B. der jugoslawische Staat –, war nicht weniger heterogen als die untergegangene Doppelmonarchie, aber in mancher Hinsicht schlechter organisiert als der Vorgängerstaat. Hätte der Hauptattentäter von 1914, Gavrilo Princip, den jugoslawischen Staat noch erlebt und hätte er erlebt, wie die Befreiungsrhetorik mit der Wirklichkeit kollidierte, hätte er seine Tat möglicherweise bereut. Tatsache ist, dass viele Bürger in den vormals habsburgischen Teilen Jugoslawiens (darunter auch Serben!) ihre „Befreiung“ bitter bereuten.
Sie haben keine Berechtigung Anhänge anzusehen. Anhänge sind ausgeblendet.
Ein anderer Historiker und profunder Kenner des Balkans, leider schon verstorben, Hol Sundhausen (Hat übrigens auch das Buch Geschichte Serbiens geschrieben) im Interview zum Buch:
Aber die Tatsache, dass die Königsmörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden, dass der Chef der „Schwarzen Hand“, Dragutin Dimitrijević (Apis), weiter Karriere machte, dass er ungehindert seinen konspirativen Aktivitäten nachgehen konnte usw., usf. wirft ein bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse im damaligen Königreich Serbien. Dass Clark die national(istisch)e Befreiungsrhetorik (über die Köpfe der zu „befreienden“ Menschen hinweg), die Brutalität der paramilitärischen Banden in den Balkankriegen, die mangelnde Kooperationsbereitschaft serbischer Behörden bei der Aufklärung der Hintergründe des Attentats von 1914 an den Pranger stellt, ist nachvollziehbar. Dass die nationale Euphorie und Kriegsbegeisterung in Serbien allerdings kein serbisches Phänomen war, hat er an vielen Stellen seines Werkes deutlich gemacht.
Prof. Sundhaussen: Ich habe nicht den Eindruck, dass Clark Österreich-Ungarn verherrlicht, sondern dass seine Darstellung ziemlich realistisch ist. Österreich-Ungarn war ja kein herkömmlicher Staat, sondern eher ein Staatenbund, und es bestanden deutliche Unterschiede zwischen der cisleithanischen (österreichischen) und der transleithanischen (ungarischen) Reichshälfte. In der österreichischen Hälfte gab es in der „nationalen Frage“ ziemlich viel Bewegung, und wir wissen nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben hätte und was passiert wäre, wenn der Thronfolger nicht ermordet worden wäre.
Dass Vielvölkerstaaten „unweigerlich“ dem Untergang geweiht sind, scheint durch die Beispiele Habsburgermonarchie, Osmanisches Reich oder Jugoslawien bestätigt worden zu sein. Doch warum sind diese Staaten untergegangen? Sie sind nicht zuletzt am ethnischen Verständnis von Nation gescheitert. Dieses Verständnis ist aber keineswegs zwangsläufig. Denn dort, wo Nation als Staatsbürgergemeinschaft (und nicht als biologische Volksgemeinschaft) verstanden und akzeptiert wird, können Menschen unterschiedlicher ethnischer Zuordnung durchaus unter einem gemeinsamen staatlichen Dach leben. Die österreichisch-ungarische Herrschaft in Bosnien-Herzegowina zwischen 1878 und 1918 war zeitweilig, und zwar in der „Ära“ von Benjamin Kállay, bestrebt, die drei großen nationalen und religiösen Bevölkerungsgruppen beider Provinzen zu einer Gemeinschaft zu verflechten.
Dieser Versuch ist gescheitert (er hätte den Menschen in Bosnien-Herzegowina viel Leid erspart). Er ist gescheitert, weil v.a. serbische und kroatische Nationalisten diese Bestrebungen massiv torpediert haben. Für serbische Nationalisten waren Bosnien-Herzegowina „serbische Länder“, - eine These, die in jeder Hinsicht absurd ist, für kroatische Nationalisten waren die bosnischen Muslime der „reinste Teil“ ihrer Nation und die beiden Provinzen galten als Teil Kroatiens in „seinen historischen Grenzen“, - eine These, die nicht weniger absurd ist. Und das, was auf Österreich-Ungarn folgte – z.B. der jugoslawische Staat –, war nicht weniger heterogen als die untergegangene Doppelmonarchie, aber in mancher Hinsicht schlechter organisiert als der Vorgängerstaat. Hätte der Hauptattentäter von 1914, Gavrilo Princip, den jugoslawischen Staat noch erlebt und hätte er erlebt, wie die Befreiungsrhetorik mit der Wirklichkeit kollidierte, hätte er seine Tat möglicherweise bereut. Tatsache ist, dass viele Bürger in den vormals habsburgischen Teilen Jugoslawiens (darunter auch Serben!) ihre „Befreiung“ bitter bereuten.
Serbien und die Serben in Clarks "Schlafwandler" | L.I.S.A. WISSENSCHAFTSPORTAL GERDA HENKEL STIFTUNG
Das Attentat von Sarajevo 1914 auf den habsburgischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie hat der bosnische Serbe Gavrilo Princip begangen. Der Mord gilt als der entscheidende Funke, der das Pulverfass Europa im Sommer 1914 entzündete. Christopher Clark entwickelt seine...
lisa.gerda-henkel-stiftung.de
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