[h=1]Kultur- und Bildungspolitik, Medien[/h]
Stand: März 2014
[h=2]Bildungssystem[/h]Die türkische Bevölkerung ist sehr jung - etwa 25 Prozent sind im schulpflichtigen Alter. Deshalb hat der Bildungssektor große Bedeutung für die weitere Entwicklung des Landes. Im Schuljahr 2012/13 wurden 16,2 Millionen Schülerinnen und Schüler in 56.574 Grund- und weiterführenden Schulen unterrichtet. Zum Vergleich: Bei einer um 10 Millionen größeren Bevölkerung werden an deutschen allgemeinbildenden Schulen nur knapp 9 Millionen Schüler unterrichtet.
Die AKP-Regierung unternimmt seit ihrem Amtsantritt im November 2002 umfangreiche Bemühungen zur Reform des zentralistischen und auf veralteten Methoden und Strukturen beruhenden Bildungswesens. Nach der Bildungsreform im Jahre 2004 (Erhöhung der Schulpflichtzeit an den Gymnasien von 3 auf 4 Jahre), wurde im Zuge des letzten tiefgreifenden Bildungsreformgesetzes vom April 2012 die Schulpflicht von acht auf zwölf Schuljahre angehoben. Das Einschulungsalter wurde auf 5 Jahre herabgesetzt. Der Schulbesuch gliedert sich in je 4 Jahre Grundschule, Mittelschule und Oberschule (bisher: 8 Jahre durchgehende Grundschule). Ab dem 5. Schuljahr ist auch ein Wechsel in eine religiöse Imam-Hatip-Schule möglich (bisher: Wechsel erst nach der 8. Klasse). Der Besuch der Oberschule ist auch im Wege von Fernunterricht möglich.
Im Zuge der Reform ist es seit diesem Schuljahr erstmalig in der Geschichte der Türkei auch möglich, Sprachunterricht in den regionalen Muttersprachen Kurdisch (Kurmandschi und Zaza) und Tscherkessisch mit 2 Wochenstunden als Wahlpflichtfach an allgemeinbildenden staatlichen Mittelschulen und Imam-Hatip-Mittelschulen zu wählen. Lehrmaterial für diese Sprachen/Dialekte wurden vom Ministerium für Nationale Erziehung erarbeitet.
Der verpflichtende Fremdsprachenunterricht wird nun schon ab der 2. Klasse mit jeweils 2, ab der Mittelstufe mit 4 Wochenstunden angeboten (vorher: insgesamt erst ab der 4.
Klasse). Bereits im Jahre 2005 wurde an ca. 500 Gymnasien die zweite Pflichtfremdsprache wieder eingeführt. Im Schuljahr 2009/2010 waren es bereits ca. 800 Gymnasien, bis 2012 sollte die Zahl auf ca. 1.500 erhöht werden. Aktuell liegt die Zahl nach Angaben des Erziehungsministeriums bei 1.354. Dies hat insbesondere die Stellung des Deutschunterrichts an türkischen Schulen gestärkt. Im Bereich der zweiten Fremdsprache rangiert Deutsch in der Türkei mit ca. 90% deutlich an erster Stelle. Der Bedarf insbesondere an Deutschlehrern steigt dadurch weiter an. In der Türkei sind ca. 90 von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) vermittelte Lehrer tätig.
Im Jahr 2014 steht dem Erziehungsministerium ein Budget von rund 57,7 Mrd. TL (ca. 19,4 Mrd. Euro) zur Verfügung. Bei ihren Bemühungen zur Reform des zentralistischen und auf eher starren und hierarchischen Strukturen basierenden Bildungswesens wird die Regierung von der EU und UNICEF unterstützt – wobei letztere vor allem auch ein Interesse daran haben, Chancengleichheit für alle Einkommensschichten und vor allem für Mädchen zu erreichen.
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Hochschulen[/h]Der türkische Hochschulrat (YÖK) koordiniert Finanzen, Inhalte und Personalplanungen der Hochschulen. Er betreibt mit Nachdruck die Internationalisierung der türkischen Wissenschaft. Der Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes mit weitreichenden Änderungen u.a. für den Zuständigkeitsbereich des türkischen Hochschulrates durchläuft zurzeit einen gesellschaftlichen und politischen Abstimmungsprozess.
Wegen des Fehlens eines dualen Ausbildungssystems und aufgrund der demographischen Entwicklung besteht in der Türkei seit jeher ein starker Andrang an den Universitäten. Insgesamt studieren im Studienjahr 2013/2014 rund 5,5 Mio. (davon 2,5 Mio. im Fernstudium) an 104 staatlichen Universitäten und 72 staatlich anerkannten privaten Stiftungsuniversitäten. Es gibt 141.674 Tausend Hochschulbeschäftigte.
Dabei erhalten nur ca. 40 Prozent der türkischen Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung die Möglichkeit, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Die Studiengebühren an den privaten Universitäten betragen zwischen 5.000 und 12.000 US-Dollar pro Jahr. Die staatlichen Universitäten sind finanziell vergleichsweise weniger gut ausgestattet. Der Anteil des BIP, der in Forschung und Entwicklung investiert wird, beträgt etwa ein Prozent. An türkischen Universitäten studieren rund 54.000 Ausländer. Der Anteil der Studierenden aus EU-Mitgliedstaaten nimmt u.a. aufgrund der ERASMUS-Austauschprogramme stetig zu. Gleiches gilt für die USA.
Seit 2004 hat vor allem die gleichberechtigte Teilnahme der Türkei an wichtigen EU-Programmen im Bereich Bildung und Forschung (SOKRATES/ERASMUS und 6. sowie 7. Forschungsrahmenprogramm) zu einer deutlich stärkeren Hinwendung der türkischen Wissenschaft nach Europa geführt. Im ERASMUS-Programm ist Deutschland kontinuierlich das mit Abstand beliebteste Zielland für türkische Studenten und Wissenschaftler.
[h=5]Berufliche Bildung[/h]Jugendliche, die im formellen Bildungsweg berufliche Kenntnisse erwerben wollen, können nach Abschluss der 8. Klasse ein Berufsgymnasium (Meslek Lisesi) besuchen, das neben dem türkischen Gymnasialabschluss eine überwiegend schulische „Berufsausbildung“ anbietet. Die berufsbildenden Schulen liegen in ihrem Ansehen weit hinter den allgemeinbildenden Gymnasien (Lise) und wurden bislang meist nur bei Nichtbestehen der Aufnahmeprüfung für ein allgemeinbildendes Gymnasium gewählt.
Darüber hinaus bestehen in deutlich geringerer Anzahl Berufsschulen, die eine duale Ausbildung (in Anlehnung an das deutsche System) anbieten. Schüler, die eine derartige Ausbildung machen, erhalten ein Drittel des Mindestlohns und sind staatlich sozialversichert. Wirtschaftsverbände und -kammern fordern eine weitergehende Förderung der beruflichen Bildung, um junge Menschen besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts vorzubereiten. Sie initiieren hierzu auch verschiedene Kooperationen mit ausländischen Firmen und Hochschulen.
Neben der schulischen und dualen Ausbildung existiert weiterhin auch die traditionelle –weitgehend außerschulische – Lehrlingsausbildung.
Welche Auswirkungen die Bildungsreform vom Frühjahr 2012 auf die berufliche Ausbildung/Berufsschulen in der Türkei haben wird, ist noch nicht abschließend absehbar. Durch die Verlängerung der Schulpflicht von acht auf zwölf Schuljahre ist die Schülerzahl in den Berufsgymnasien jedoch bereits deutlich angestiegen. Die Zahl der außerschulischen Lehrlingsausbildungen wird voraussichtlich hingegen (weiter) sinken.
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[h=2]Medien[/h]Seit Aufhebung des staatlichen Monopols für Rundfunk und Fernsehen 1993 hat sich eine Vielzahl privater Fernsehsender etabliert, die überwiegend kommerzielle, zum Teil aber auch politische Interessen verfolgen. Die Medienlandschaft ist wirtschaftlich stark konzentriert und mit anderen wirtschaftlichen Interessen – Banken, Stromerzeugung, Mobilfunk – in großen Holdings verbunden (Doğan-Gruppe, Doğus-Gruppe, Çukurova-Gruppe, Çalik-Gruppe). Die mit Abstand größte Mediengruppe ist die Doğan-Medien-Holding (Hürriyet, Milliyet, Kanal D, CNN-Türk u.a.), an der auch die deutsche Axel-Springer AG beteiligt ist.
Die Pressefreiheit ist verfassungsrechtlich zwar verankert. In der Praxis jedoch gibt es immer wieder gravierende Probleme für Berichterstattende: zum einen als Ausfluss der wirtschaftlichen Verflechtungen mit anderen Unternehmensteilen und Interessen innerhalb einer Holding.
Zum anderen auch, weil die Pressefreiheit von Seiten der Politik immer wieder massiv angegriffen wird, und Journalisten sich häufig mit Verfahren – sowohl im Bereich des Straf- als auch des Zivilrechts – konfrontiert sehen. Die EU-Kommission geht in ihrem Fortschrittsbericht vom 16.10.2013 von mehreren Dutzend wegen ihrer Tätigkeit inhaftierten Journalisten aus.
Im Rahmen der Proteste um den Gezi-Park wurde deutlich, dass die Berichterstattung in den sozialen Medien die in der Türkei als unzureichend wahrgenommene „klassische“ Berichterstattung überlagerte und sich damit auch den staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf diese in vielen Fällen entzog. Jüngst hat die Regierung mit der vorläufigen Sperrung des Kurznachrichtendienstes Twitter und der Internetplattform Youtube deutlich gemacht, dass sie auch hier zu Eingriffen bereit ist.
Die EU-Kommission kritisiert in ihrem Fortschrittsbericht 2013 die Einschränkungen der Medienfreiheit als besorgniserregend.