Serben im KosovoAbhängig von Belgrad
Auf großer politischer Ebene wird versucht, eine Lösung im Serbien-Kosovo-Streit zu finden. Doch welche Folgen hat der Ärger eigentlich für die Menschen vor Ort?
Von Clemens Verenkotte, ARD-Studio Wien
Auf dem Hof der Familie Jovanovic. Es ist schon dunkel. Die Hunde schlagen beim Besuch an. Zarko Jovanovic steht vor dem Haus, hier beginnt der Rundgang. Als erstes kommen die Gewächshäuser, in denen 40.000 Paprika-Pflanzen gedeihen. Jovanovic lebt hier in einer kleinen Enklave rund zehn Kilometer südwestlich von Pristina mit seiner Frau und den Kindern. In der großen Wohnküche bietet er Kaffee und Saft an und kommt dann auf sein Dorf zu sprechen: Früher sei es ein ausschließlich serbisches Dorf gewesen, jetzt sei das Verhältnis schon 60 Prozent Serben zu 40 Prozent Kosovo-Albaner.
"Viele Menschen haben ihre Grundstücke verkauft, und das beeinflusst natürlich auch ein bisschen die Sicherheitslage", sagt Jovanovic. Warum in seinem Dorf die Anzahl der serbischen Bevölkerung zurückgeht? Jovanovic braucht für eine Antwort darauf nicht lange nachzudenken: "Weil sie sich nicht sicher fühlen, weil es keine Arbeit gibt - wegen der schlechten Situation", berichtet er. Je mehr alte Dorfbewohner weggingen, desto mehr würden sich auch die anderen überlegen zu gehen. "Das ist eine Kettenreaktion", sagt Jovanovic.
Rente kommt aus Belgrad
Rund 130.000 Serben leben im Kosovo. Die meisten von ihnen wohnen im Norden des Landes - rund um die de facto geteilte Stadt Mitrovica. Die übrigen Serben leben versprengt über das ganze Landesgebiet in kleinen Ortschaften und Dörfern. Die Kinder werden morgens mit einem Schulbus zu serbischen Schulen gefahren, in denen die serbischen Bildungspläne gelten. Die Krankenversicherung Serbiens gilt für die serbischen Einwohner im Kosovo, die Rentenzahlungen kommen aus Belgrad.
In jeder Hinsicht seien die Serben im Kosovo von Belgrad abhängig, sagt die serbische Menschenrechtsaktivistin Sonja Biserko, die langjährige Chefin des Helsinki-Komitees in Belgrad. "Sie leben wirklich am Existenzminimum." Die Jobs, die die Serben im Kosovo hätten, hätten meistens etwas mit den lokalen Gemeinden zu tun. Gleiches gelte für das das Bildungs- und Gesundheitssystem, das von Belgrad bezahlt würde. Das sei der Grund, warum Serben im Kosovo blieben.
Kein Frust auf Albaner
Dennoch: Eine Arbeit zu finden, sei für sie schwierig. "Die meisten arbeiten nicht und leben von Sozialhilfe", berichtet Biserko. Die Schuld dafür sähen die Serben aber nicht im Kern bei den Albanern, sondern bei Verantwortlichen in Nord-Mitrovica und Belgrad - weil diese manipulierten. "Es ist eine Art Mafia-Bande, die alle lukrativen Jobs abgreifen", sagt Biserko. Es gebe nicht viele Investitionen, von keiner Seite. "Und diejenigen Serben, die Geld haben, bringen das Geld in der Regel nach Serbien, weil sie nicht wissen, wie ihre Zukunft da unten sein wird."
Am Küchentisch der Familie Jovanovic sitzt auch Vladimir Zivkovic, ein Freund. Die Lage für sie sei wirklich schwierig, sagt Zivkovic. Er arbeitet in Pristina für eine internationale Nichtregierungsorganisation. Niemand wisse, was sie machen sollten: Bleiben oder auswandern?
Die Debatte über einen möglichen Gebietsaustausch zwischen Serbien und Kosovo, von dem seit Monaten die Rede ist, verfolgen die Männer mit gemischten Gefühlen. Entscheidend sei doch, dass die wirtschaftliche Lage besser werde, sagt Gast Zivkovic. Der Rest sei ihm eher egal. "Ich verstehe es wirklich nicht und das interessiert mich auch nicht sehr, welche Art von Grenzen es geben wird. Ich interessiere mich nur für meine wirtschaftliche Lage, wie die meisten Menschen", sagt er.
Wenn man ein gutes Leben habe, alle im Kosovo keine Probleme hätten, alle sich sicher fühlten und sich keine Sorgen machen müssten über ihr Leben - auch mit Blick auf die Kinder: "Wer kümmert sich dann darum, wie die Grenzen und andere Dinge aussehen?", fragt Zivkovic.
https://www.tagesschau.de/kosovo-serben-103.html