"Sie sehen ja, dass die russische Armee hier ist"
Sind die beiden von der Ukraine gefangenen Russen Soldaten oder Freiwillige? Für die Ukraine ein Beweis, für Moskau superpeinlich
Mitglieder der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine haben mit den beiden Personen gesprochen, die von ukrainischen Behörden als reguläre russische Soldaten bezeichnet warden. Sie waren am 16. Mai an der Frontlinie bei Shchastya, 20 km nördlich von Lugansk, festgenommen worden. Nach Angaben der OSZE hätten sie berichtet, sie seien bewaffnet auf einer Erkundungsmission gewesen, hätten aber die Anweisung gehabt, nicht zu schießen. Sie seien beschossen, dabei verletzt und dann gefangen genommen worden. Einer der beiden habe gesagt, er habe von seiner Militäreinheit den Befehl erhalten, in die Ukraine zu gehen. Nach drei Monaten hätte er ausgewechselt werden sollen. Beide erklärten, sie wären schon mehrere Male in der Ukraine im "Einsatz" gewesen. Einer der beiden habe wiederholt gesagt, dass in der Ukraine keine russischen Truppen an Kämpfen beteiligt seien.
Für Kiew sind die beiden Männer der Beweis, dass reguläre russische Soldaten, in diesem Fall Angehörige einer Elite-Einheit, im Donbass die Separatisten unterstützen. Die beiden Gefangenen
sollen bestätigt haben, der russischen Geheimdiensteinheit Spetsnaz anzugehören und in Lugansk neue Ausweise und Kleidung erhalten zu haben.
Ein
Verhör wurde gefilmt und von ukrainischen Medien
veröffentlicht. Allerdings geht auch hier hervor, dass einer der beiden, Jewgeni Jerofejew, auch hier noch abstreitet, ein aktiver russischer Soldat zu sein. Gefangene sollten eigentlich nicht den Medien vorgeführt werden, das gilt als eine Verletzung der Menschenrechte. Als dies letztes Jahr die Separatisten mit den OSZE-Militärbeobachtern gemacht hatten, war der Aufschrei groß, in diesem Fall war die Reaktion in den westlichen Medien verhalten oder sie blieb ganz aus.
Es gibt auch immer wieder Berichte von Beerdigungen und Gräbern russischer Soldaten, die angeblich im Donbass getötet wurden und im Auftrag der Armee und gegen Geld dort eingesetzt waren. Die Anwesenheit russischer Soldaten würde für Kiew die seit langem erhobene Behauptung bestätigen, die der ukrainische Präsident in Riga eben wiederholt hat, dass es einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine gebe. Damit will man die auch militärische Unterstützung des Westens sichern. Selbst die Nato wirft Moskau aber nicht explizit vor, im Krieg gegen die Ukraine zu stehen, sondern nur, die Separatisten mit Waffen und Kämpfern zu unterstützen.
Gestern hat der ukrainische Geheimdienst SBU Namen und Bilder von russischen Soldaten auf
Twitter veröffentlicht, die derselben Einheit wie die Gefangenen angehören und nachweisbar im Donbass eingesetzt gewesen sein sollen. So soll auch
Yekaterina Aleksandrov, die Frau des gefangenen Alexander Alexandrov, für ihren Einsatz bei der Militäreinheit 21208 mit einem Auto belohnt worden sein.
Moskau hatte dies stets geleugnet und Beweise verlangt. In diesem Fall erkennt Moskau sogar an, dass es sich um russische Soldaten handelt, allerdings angeblich um ehemalige. Zum Zeitpunkt der Festnahme seien die beiden keine aktiven russischen Soldaten gewesen,
behauptete Igor Konashenkov, der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Zunächst hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag
erklärt, es gäbe im Donbass keine russischen Soldaten, es habe auch nie welche gegeben. Am Dienstag räumte das russische Verteidigungsministerium ein, es handele sich um die russischen Bürger Alexander Alexandrow und Jewgeni Jerofejew, die aber die russischen Streitkräfte verlassen hätten. In russischen Medien gelten sie als Mitglieder der Separatistenmilizen der "Volksrepublik Lugansk". Der OSZE-Bericht wird dabei aufgegriffen, nach dem einer der Gefangenen erklärt habe, es gebe keine russischen Soldaten in Donbass, um so die offizielle Linie zu verstärken:
"Bei Lugansk inhaftierter Russe: Keine russischen Truppen im Donbass". Angeblich hat der Vater von Jewgeni Jerofejew gesagt, sein Sohn habe den Armeedienst im Frühjahr 2015 verlassen.
In der "Volksrepublik Donezk" wird die Behauptung
geäußert, dass die Russen auf dem Territorium der "Volksrepublik Lugansk" gefangen genommen worden sein sollen - und das nicht von ukrainischen Soldaten, sondern von einer "georgischen Spezialeinheit", gibt Sputnik den "Vize-Generalstabschef der Donezker Volkswehr", Eduard Bassurin, wider. Die Georgier würden auf dem Lugansker Gebiet operieren. Bassurin stellt auch die These auf, dass die ukrainischen Geheimdienste die Gefangenen zwingen wollen, sich als Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes GRU zu erkennen zu geben. Die ukrainische Darstellung der Gefangennahme findet sich
hier.
Kiew sucht offenbar mit den beiden Gefangenen eine schon lange gehegte Absicht zu realisieren, diese als Unterstützer der "Volksrepubliken" zu Terroristen zu erklären und anzuklagen. Der Krieg gegen die Separatisten wurde schon von Beginn als "Antiterroroperation" bezeichnet, ukrainische Regierungsangehörige sprachen auch gerne von den Separatisten, mitunter auch von allen Menschen im Donbass, als Terroristen. Es gab immer wieder Versuche, bei den westlichen Ländern und auch bei den Vereinten Nationen durchzusetzen, dass die "Volksrepubliken" und damit alle Personen, die an diesen beteiligt sind, als Terroristen deklariert werden, bislang freilich ohne Erfolg. An den beiden russischen Gefangenen könnte man versuchen, ein Exempel zu statuieren, der ukrainische Geheimdienst SBU
klagt sie daher "terroristischer Aktivitäten" an. Ein Gericht in Kiew hat
beschlossen, dass sie erst einmal bis 19. Juli in Haft bleiben sollen.
Jetzt haben die beiden Gefangenen der regierungskritischen russischen Zeitung Novaya Gazeta ein
Interview gegeben und zugestimmt, dass das Gespräch aufgenommen wird, erklärt der Reporter. Beide sagten im Gespräch, sie würden erwarten, dass der russische Botschafter sie besucht. Auch wenn sie nicht als Soldaten gelten würden, seien sie doch russische Bürger. Sie seien enttäuscht, dass die russische Seite sich noch nicht gemeldet hat. Kreml-Sprecher Peskow
sagte gestern, man würde weiter versuchen, die beiden Soldaten aus der Gefangenschaft zu holen. Er suggerierte, die ukrainische Seite habe bislang eine einen Besuch russischer Diplomaten verhindert, um schließlich erneut zu erklären, es seien niemals russische Truppen im Donbass gewesen.
Alexander Alexandrov sagte, er habe den Befehl erhalten, in den Donbass zu gehen, um dort einen normalen militärischen Aufklärungsauftrag zu erfüllen. Er sei kein Terrorist und habe auch nichts mit Sabotage zu tun gehabt. Er könne nicht verstehen, warum man dies in Russland abstreite. Entsetzt war er, als der Reporter ihm erzählte, dass seine Frau im russischen Staatssender Rossiya24 erklärte haben soll, dass er im Dezember 2014 aus dem Militärdienst entlassen worden sei und sie nicht wisse, wo er sich befindet. Er konnte nicht glauben, dass seine Frau das gesagt haben soll. Er selbst beschreibt sich als aktiven Soldaten, er habe den Militärdienst nicht verlassen. Auf die Frage, was er dazu sagen würde, wenn die russische Regierung behauptet, die russische Armee sei nicht im Donbass, antwortete er: "Sie sehen ja, dass sie hier ist. Das Problem ist, dass es nicht gut ist, das zuzugeben."
Er wisse nicht, welchen Status er als Gefangener habe, als Kriegsgefangener würde es ihm besser ergehen denn als Söldner oder Bandit. Er sei aber anständig wie ein Kriegsgefangener behandelt und auch beim Verhör keinem Zwang ausgesetzt worden. Er würde gerne nach Hause gehen und wünsche, dass niemand aus Russland mehr hergeschickt wird.
Auch Jewgeni Jerofejew streitet in dem Gespräch ab, aus dem Militärdienst ausgetreten zu sein. Ihre Aufgabe sei es gewesen, die Konfliktparteien zu beobachten. Um zu sehen, wer das Feuer eröffnet. Er habe nicht den Auftrag gehabt, jemanden zu fangen oder zu töten. Er habe auch seine Waffen nur zur Verteidigung verwenden sollen. Er sei keine offizielle Aufgabe gewesen, aber man habe die Verletzungen des Minsker Abkommens beobachten sollen: "Es ist traurig, dass sie das vergessen, verlassen wurden, dass sie uns aufgeben." Da es keinen Krieg gebe, sei er auch kein Kriegsgefangener, aber er hoffe, dass sie ebenso wie viele andere Gefangene auf beiden Seiten ausgetauscht werden.
Auf die Frage, ob die russische Armee im Donbass ist, sagte er diplomatischer: "Tatsache ist, dass sie nicht dort ist. Sie fingen uns zwei, die Beobachter, und sie wollen das als die Invasion der russischen Armee zeigen. Eine Armee bedeutet eine Menge an Ausrüstung, viel Infanterie, Artillerie, Flugzeuge und so. Solche Einheiten gibt es in der LPR und DPR nicht. Sie haben eigene. Jemand will uns nur in einem politischen Spiel benutzen und uns als Aggression und die ganze russische Armee darstellen."
Für ihn handelt es sich um einen Bürgerkrieg. Die Milizen auf beiden Seiten hätten Schlimmes gemacht, sagt er. Auf die Frage, ob Russland am Krieg teilnehme, antwortete er, es sei hineingezogen worden. Aber jetzt gebe es Fortschritte, es würden Reparaturarbeiten in den "Volksrepubliken" ausgeführt, Geschäfte seien wieder eröffnet worden und die Menschen hätten wieder Arbeit: "Ich hoffe, es wird bald alles vorbei sein. Viele Leute sind müde. Ich denke, es ist Zeit, den Kampf zu beenden. Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Krieg."
"Sie sehen ja, dass die russische Armee hier ist" | Telepolis
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Korruption, Krieg, WirtschaftskrisePoroschenko erfüllt Versprechen nicht
"Wir wollten das Beste, aber es kam wie immer", sagte einst der ehemalige russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin. Dies scheint auch für die Ukraine zu gelten. Nach einem Jahr unter Präsident Poroschenko taumelt diese von einer Krise zur anderen.
Inmitten blutiger Kämpfe war es ein ersehntes Signal der Hoffnung in der Ukraine. Bereits in der ersten Runde gewann der Süßwaren-Unternehmer Petro Poroschenko vor einem Jahr, am 25. Mai 2014, die Präsidentenwahl in dem krisengeschüttelten Land. Der Westen unterstützte den neuen Mann von Beginn - demonstrativ reiste etwa Bundespräsident Joachim Gauck zur Vereidigung nach Kiew. Und auch die Wähler bauten nach dem klaren Sieg des proeuropäischen Politikers auf einen Impuls für baldigen Frieden. Zwölf Monate später scheint viel von der Euphorie verflogen. Der Krieg gegen prorussische Separatisten zehrt Europas zweitgrößten Flächenstaat weiter aus.
"Ich bin der Präsident des Friedens - nicht des Krieges", betont Poroschenko immer wieder. Er stehe für "europäische Werte" wie etwa Pressefreiheit. Doch seine Gegner werfen dem 49-Jährigen vor, dünnhäutig geworden zu sein für Kritik. So reagiere der oft in militärischem Tarnfleck auftretende Staatschef barsch, wenn er an seine Wahlversprechen erinnert werde.
Weder können die Ukrainer - wie Poroschenko angekündigt hatte - visafrei in die EU reisen. Noch ist im Unruhegebiet Ostukraine Frieden in Sicht. Länger als ein Jahr dauert die "Anti-Terror-Operation" gegen Aufständische - und nicht, wie er beim Wahlsieg in Aussicht stellte, "noch ein paar Stunden".
Allerdings hielt Poroschenko sein Versprechen von vorgezogenen Parlamentswahlen im vergangenen Oktober. Die prowestlichen Kräfte siegten klar. Doch es war ein Votum in einem geteilten Land: Die Separatistengebiete Donezk und Luhansk boykottierten die Abstimmung ebenso wie die von Russland einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Poroschenkos härteste Kritiker werfen ihm vor, es fehle weiter an vorzeigbaren Reformen. Die neue prowestliche Koalition aus fünf Parteien ächzt unter internen Querelen, mehrere Hoffnungsträger warfen das Handtuch.
Warnungen vor Staatsbankrott
Zudem warnen Finanzexperten vor einem Staatsbankrott. Das Wirtschaftswachstum sank im ersten Quartal um fast 18 Prozent, der Wert der Landeswährung Griwna halbierte sich. Nachdem der russische Markt nahezu weggebrochen ist, fehlt es an Erlösen aus der Schwerindustrie im Osten.
In weite Ferne gerückt sind die für 2020 angestrebten Voraussetzungen für einen EU-Beitritt. Poroschenko betont immer wieder, dass "auch Rom nicht an einem Tag erbaut" worden sei. Ein Jahr Amtszeit sei zu wenig, um eine seriöse Bilanz zu ziehen.
Doch einige frühere Unterstützer haben sich von Poroschenko abgewandt. Sie werfen dem Präsidenten vor, dass die "europäischen Werte" im politischen Alltag Lippenbekenntnisse seien. So beklagen regierungskritische Medien wie die Zeitung "Westi", der Nachrichtensender 112 oder das Internetportal "Timer" in Odessa erheblichen Druck vonseiten der Behörden.
Posten für Sohn und Freunde
Zudem nähren das Abgeordnetenmandat für Poroschenkos ältesten Sohn Alexej sowie die Vergabe von einflussreichen Posten an loyale Geschäftspartner den Verdacht von Vetternwirtschaft. Poroschenko weist dies mit Nachdruck zurück. "Alles ist transparent", betont das Staatsoberhaupt.
Besonderer Druck kommt aus Russland. Mehrfach hat Moskau Aufklärung gefordert, wie Dutzende Menschen bei den Massenprotesten auf dem Maidan in Kiew Anfang 2014 ums Leben gekommen sind. Auch ein Massaker in Odessa ist weiter ungeklärt. Poroschenko war damals noch nicht im Amt - und er unterstreicht immer wieder: Für den Konflikt im Osten wünscht er sich eine politische Lösung.
Kopfschütteln auch im Westen löst der Präsident mit dem Festhalten an seinem Süßwarenimperium aus. Alles bis auf den Nachrichtensender Fünfter Kanal werde er verkaufen, versprach Poroschenko nach seinem Wahlsieg. Heute wird der "Schoko-Zar" nur ungern darauf angesprochen. Er habe die Firmenleitung abgegeben und ein Investmentunternehmen mit der Suche nach einem Käufer beauftragt, wiederholt er schmallippig.
Für Russland gilt Poroschenko trotz eines zerrütteten bilateralen Verhältnisses als Ansprechpartner in dem Konflikt im Donbass. Und ungeachtet einer wohl eher mageren innenpolitischen Bilanz: Umfragen zeigen, dass Millionen Ukrainer ihn als Symbol für eine Chance auf Stabilität sehen. Zum Härtetest dürfte die Kommunalwahl im Herbst werden, zu der auch Poroschenkos Partei antritt. Die Abstimmung wird damit auch zum Teil ein Votum über den Kurs des Präsidenten.
http://www.n-tv.de/politik/Poroschenko-erfuellt-Versprechen-nicht-article15166601.html