Die schleichende Normalisierung des Extremen
Die Republik steht an einem Kipppunkt. 26 Prozent fĂŒr die AfD sind mehr als eine statistische Anomalie â sie sind das Symptom einer fundamentalen Verschiebung, deren Tragweite wir möglicherweise erst begreifen werden, wenn es zu spĂ€t ist. Was sich hier manifestiert, ist nicht einfach Protestverhalten oder temporĂ€re Unzufriedenheit. Es ist die systematische Erosion demokratischer Grundfesten durch eine Bewegung, die gelernt hat, die SchwĂ€chen des Systems fĂŒr ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Mechanismen dieser Machtverschiebung sind perfide in ihrer SubtilitĂ€t. Begriffe wie âRemigrationâ, âUmvolkungâ oder âAltparteienâ haben sich wie ein Virus in den alltĂ€glichen Sprachgebrauch eingeschlichen. Selbst Menschen, die sich als Demokraten verstehen, verwenden mittlerweile unbewusst Vokabular, das noch vor wenigen Jahren eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wurde. Die semantische Verschiebung ist kein Zufall â sie ist Strategie. Wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert das Denken. Wer das Denken kontrolliert, kontrolliert irgendwann die Politik.
Der transatlantische Resonanzraum verstĂ€rkt diese Entwicklung. Trump hat vorgemacht, wie man demokratische Institutionen von innen zerstört, wĂ€hrend man sich gleichzeitig als deren Retter inszeniert. Seine RĂŒckkehr ins WeiĂe Haus sendet ein fatales Signal an all jene, die von autoritĂ€rer Macht trĂ€umen. Wenn Merz tatsĂ€chlich schon von seinem eigenen Kanzleramt trĂ€umt, komplett mit rotem Knopf fĂŒr die Bratwurstbestellung, dann mag das als Satire durchgehen â doch die Sehnsucht nach dem starken Mann, nach klaren VerhĂ€ltnissen, nach einem, der âdurchgreiftâ, ist lĂ€ngst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Die Komplizenschaft des Establishments
Die bittere Wahrheit ist: Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung agiert wie der beste Wahlkampfhelfer der AfD. Nach dem Scheitern der Ampel hatte die groĂe Koalition die historische Chance, StabilitĂ€t und Vertrauen zurĂŒckzugewinnen. Stattdessen erleben wir eine mĂŒde Neuauflage der GroKo, die schon in ihrer letzten Inkarnation unter Merkel die Menschen in die Arme der Populisten trieb. Merz, der sich als Erneuerer inszenieren wollte, und die SPD, die eigentlich in die Opposition gehört hĂ€tte, klammern sich aneinander wie Ertrinkende â und ziehen sich dabei gegenseitig unter Wasser. Das DĂ©jĂ -vu ist deprimierend: Die gleichen ritualisierten Streitigkeiten, die gleiche Mutlosigkeit, die gleiche UnfĂ€higkeit, ĂŒber den eigenen Schatten zu springen. Die SPD blockiert sich selber gegen jeden Reformversuch, der ihre Klientel beruhigen könnte, und, der eigen Job ist ja nicht das schlechteste PlĂ€tzchen in heutiger Zeit, die Union jede Politik, die nach sozialem Ausgleich riecht. Was bleibt, ist der kleinste gemeinsame Nenner, sie nerven einen nur noch â und der Fakt ist zur QualitĂ€t der Politik mal nicht mikroskopisch klein. Und in diesem Vakuum gedeihen die Rechtspopulisten prĂ€chtig. Sie mĂŒssen keine Lösungen anbieten, es reicht, auf das Versagen der anderen zu zeigen â und die GroKo 2.0 liefert tĂ€glich neue Belege fĂŒr die These vom âParteienkartellâ. Sie mĂŒssen keine komplexen ZusammenhĂ€nge erklĂ€ren, es genĂŒgt, Schuldige zu benennen. Die Migranten, die EU, die âAltparteienâ â das Arsenal der Feindbilder ist unerschöpflich und beliebig austauschbar.
Die groĂen Weichenstellungen â Digitalisierung, Bildungsreform, Infrastrukturmodernisierung â bleiben weiterhin aus, wĂ€hrend man sich in der gegenseitigen Blockade einrichtet. Aber, hey, die Regierung schiebt jetzt auch Nachts die Menschen ab, und wenn Du Deinen Rollstuhl mitnehmen willst...
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