@Maradona:
Stichwort "real": Die wichtigste Erkenntnis ist, die man sich vor Augen halten sollte ist, dass die Kosovo-Frage keine rein albanisch-serbische mehr ist, sondern in erster Linie eine deutsch/französisch/amerikanisch-serbische. Dass der albanische Teil Kosovo nicht wieder unter die direkte Verwaltung Serbiens geraten soll, darin sind sich die genannten westlichen Staaten einig. Das wichtigste Argument ist, dass jeder neue Krieg mit neuen Wiederaufbau-Geldern und Flüchtlingsströmen direkte Auswirkungen auf Europa hätte. In anderen Worten: Durch den von uns zu erwartenden Widerstand gegen eine gewaltsame Reintegration Kosovos in die serbische Verwaltung können wir Kosovo-Albaner also genau das von vornherein verhindern. Aber unter welchen
Bedingungen Serbien uns dann formal oder quasi-formal anerkannt, darauf haben wir viel weniger Einfluss als Frankreich, Deutschland und die USA.
Kosovo ist darüber hinaus eine Art "Stachel im Fleisch" gegen Serbien, nicht weil es Serbien direkt bedrohen kann, aber weil jede Aktion der kosovarischen Polizei oder irgendwann gar der kosovarischen Armee nördlich des Ibar zu großer Empörung in Serbien führen würde und ein Präsident in Belgrad, dem man vorwirft dem nicht Einhalt zu gebieten, schnell vom Thron gejagt werden könnte. Und solange die KFOR das indirekt zulässt, kann die serbische Armee nicht einfach dort einmarschieren. Als ein Nicht-NATO-Staat mit guten Beziehungen zu Russland behalten die EU und die USA Serbien stets im Auge und für sich Instrumente in der Hand haben, um Serbiens Verhalten beeinflussen zu können. Unsere kosovarische Polizei ist ein solches Instrument.
Wo du recht hast: Wenn du den Bezug Kosovo-BiH herstellst, nennst du das Kind beim Namen. Und zwar deshalb, weil die Kosovo-Politik Belgrads
mindestens seit Ivica Dačić als Ministerpräsident, primär vom Motto geleitet war "
Serbiens zukünftige Grenzen sind noch zu bestimmen". Man wollte die serbisch besiedelten Gebiete nördlich des Ibar abgetreten bekommen und Kosovo dann in die UNO einziehen zu lassen, um damit die Botschaft in die Welt zu setzen: "
Doch, Grenzneuziehungen nach ethnischen Linien können im Balkan Probleme lösen." - Und genau das hätte die Abspaltung der Republika Srpska wahrscheinlicher gemacht bzw. die bosnischen Serben hätte mit einer realistischen Abspaltungs-Option ein stärkeres Druckmittel gegen die Bosniaken und die anderen "Einiges-BiH"-Befürworter bekommen.
Unter der Trump-Administration mit Richard Grenell als Verhandlungsführer, als Hashim Thaçi sich auf eine, wie er es nannte, "Grenzkorrektur" einlassen wollte, schien das für Belgrad schon zum Greifen nahe. Die große Frage ist, was Thaçi dabei in den Kopf ging: War er aufgrund des großen US-Einflusses auf Kosovo und speziell auf seine Partei einfach dazu gezwungen mitzumachen? Hatte er Angst, dass die Alternative zu neuer Grenzziehung eine Art Republika Srpska in Kosovo werden würde? Oder wollte er einfach die Botschaft in Richtung EU setzen: "
Denkt gar nicht erst an eine Republika Srpska in Kosovo als Komrpomisslösung, sonst schließen wir mit Belgrad - ohne euch einzubinden - einfach eine neue Grenze. Das will Serbien sowieso viel eher.".
Darüber kann man letztlich nur spekulieren. Fakt ist: Donald Trump selbst rückte noch während seiner Amtszeit von diesem Ansatz ab, nachdem er John Bolton als nationalen Sicherheitsberater entließ und nannte eine serbisch-kosovarische Grenzverändeurng eine dumme Idee von Bolton. Da fragt man sich schon irgendwie, wieso du als Präsident deinem Berater nicht schon viel früher widersprochen hast, sondern erst nachdem du ihn entlassen hast. Wie dem auch sei: Die Grenzverschiebung war seitdem vom Tisch und sie ist es auch für Biden. Für Berlin war sie immer schon eine sehr gefährliche Idee. Sie könnte separatistische Bestrebungen nicht nur in BiH, sondern potentiell auch in Nordmazedonien und Montenegro vom Zaun brechen samt entsprechender Bürgerkriege.
Die Republika Srpska, von der ich das Gefühl nicht loswerde, dass sie Beziehungen zu Moskau pflegt, die nicht einmal Belgrad völlig kontrollieren kann, war und ist dem Westen in Dorn im Auge. Mal abgesehen davon, dass auch ohne großen ausländischen Einfluss ein neuer Bürgerkrieg in BiH entstehen kann. Aber wenn Russland für den Westen neue Probleme schaffen will (wie etwa in Syrien oder Libyen), um damit den westlichen Fokus auf Osteuropa herauszulösen und westliche Kräfte woanders zu binden, dann ist die Republika Srpska nicht mehr bloß ein nerviges Problem, sondern ein brandgefährliches Pulverfass vor der Haustür der EU.
Dein Vorschlag, einfach Kosovo und die RS einfach als Staaten in die UNO aufzunehmen klingt daher verlockend. Aber das Risiko wäre sehr hoch: Was tun die Bosniaken, die Foča und Srebrenica nicht vergessen haben und in der RS immerhin 14% der Bevölkerung bilden? Was ist, wenn die bosnischen Kroaten jetzt auch eine Abspaltung fordern? Was machen dann die Albaner in Nordmazedonien und potentiell sogar ein Teil der Serben in Montenegro?