von Serdar Somuncu
Das Attentat von Paris mutiert zur medialen Unterhaltung, als Ausgleich zwischen unserer Angst und unserer Neugier. Das ist vielleicht menschlich – aber definitiv absurd. Ein Kommentar.
Es tut mir leid: Ich habe keine Meinung zu den Attentaten von Paris. Ich weiß nicht, wer die Täter, waren, ich kenne ihre Motive nicht und ich weiß auch nicht, wie es weiter geht. Ich bin einfach nur schockiert und sprachlos. Ist das ok?
Ich ändere auch nicht mein Facebook-Profilbild und erfinde keinen Hashtag für Twitter. Ich beteilige mich einfach nicht an dem Krieg danach; an der Hysterie und der Spirale, die sich nach solchen Ereignissen mittlerweile wie programmiert immer schneller und immer höher schraubt. Neue Bombenwarnung, nächste Festnahme, erste Erkenntnisse, weniger Einwanderung, bessere Kontrollen.
Terrorismusexperten schwafeln, innenpolitische Sprecher kriechen aus ihren Löchern und schwadronieren, Augenzeugen berichten, Straßenmusiker illustrieren. Der große Tross der Katastrophentouristen hat wieder mal Halt gemacht in meinem Kopf. Und eigentlich sagen sie alle das Gleiche. Wie immer. Und alle beteiligen sich daran, so als wäre es zum ersten und letzten Mal passiert. Wie immer.
Fast so, als würde sich die Internetmeute darüber freuen, dass es endlich wieder etwas gibt – außer Bilder vom Abendessen oder der schönen Aussicht am Strand – das es sich zu posten lohnt.
Ich habe nichts gegen Solidarität und auch nicht gegen Mitgefühl. Aber ich habe etwas gegen Heuchelei. Ich frage mich, warum die Facebook-Bilder nicht im Millisekundentakt geändert werden und was es bedeutet, dass man erst eine Parole braucht, um eine Haltung zu entwickeln.
Ich frage mich, warum die Fernsehsender erst jetzt stündlich ihre Brennpunkte senden und nicht täglich, wenn Kinder an Hunger sterben. Ich frage mich, ob es ein Interesse daran gibt, das diffuse Bedrohungsszenario zu schüren um das spontane Interesse am Leben zu halten. Ich versuche das Leid der Menschen aufzuwiegen. Ich suche den Unterschied zwischen dem Unmittelbaren und dem Unsichtbaren.
Und während auf der einen Seite schon neue Anlässe für unsere Panik entstehen, eine Meldung die andere jagt und die Lage sich scheinbar unaufhaltsam zuspitzt, habe ich die Eindrücke noch gar nicht verarbeitet.
Ich habe keine Meinung. Sie bildet sich noch. Ich sehe die Bilder, die geheim gefilmten und die offiziellen, ich sehe die besorgten Gesichter der Vorortreporter vor den Blaulichtern im Fußballstadion und höre die ernsten Rückfragen der Moderatoren im Studio und sie verlagern sich in meine Träume. Der Horror geht weiter. So unempfindlich ich für das Erleben in der virtuellen Welt geworden bin, so irreal erscheint mir jetzt die Grausamkeit der Wirklichkeit. Und ich kann sie nicht mehr von der Fiktion unterscheiden.
Die Evakuierung des Stadions sieht aus wie in einem Katastrophenfilm, die Schüsse der Attentäter im Konzertsaal klingen wie aus einem Videospiel. Die Interviews mit den Verletzten sehen aus wie Bonusmaterial. Und auch die Fragen, die ich mir stelle, sind absurd. Warum, wenn die Attentäter Angst und Schrecken verbreiten wollten, haben sie nicht auch den Hintereingang versperrt? Nicht auszumalen, was dann passiert wäre.
Dann klicke ich zu iTunes und höre mir an, wie die „Eagles of Death Metal“ klingen. Nicht schlecht. Das neue Album steht auf Platz 1, die Terroristen haben dafür unbewusst Werbung gemacht. Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich auf „Jetzt kaufen“ klicke, weil mir die Musik gefällt?
Das Schlimme ist: Ich kann weder anklagen noch in Schutz nehmen. Wir sind alle mitbeteiligt an dieser Sache. Wir schalten ein. Wir scrollen die Timeline rauf und runter. Wir äußern unsere Meinung und wir springen von einem zum nächsten Thema, wenn unser Interesse an diesem Shockstorm erschöpft ist.
Vielleicht sollte man darüber nachdenken, einen Filter in unser Empfinden einzubauen. Einen der uns dazu zwingt, die inflationäre Flut an Meldungen zu reduzieren auf das Wesentliche. Auf Menschlichkeit, Anteilnahme, Innehalten und Nachdenklichkeit.
Aber was würde das bringen? Wären wir dann nicht ebenso einem Übermaß an Schreckensmeldungen ausgesetzt, das uns in den Wahnsinn treibt und unser Denken lähmt? Nur eben intensiver. Die Katastrophe mutiert zur Unterhaltung und sie tariert zugleich das Ungleichgewicht zwischen unser Angst und unser Neugier aus.
Die Welt ist grausam. Und erst wenn das Grausamste in unserer nächsten Umgebung passiert, nehmen wir es wahr. Vielleicht ist das auch menschlich, aber es ist auf jeden Fall absurd. Und so wird man mit jedem Ereignis unempfindlicher und unsere Aufmerksamkeit vergänglicher. Es entsteht eine Währung der Gleichgültigkeit. Einhundert tote Afrikaner im Schlauchboot sind gleich ein toter Europäer, geteilt durch zwei Attentate in einem Jahr, macht fünf Minuten echt betroffen! Grauenhaft. Schnell wegschalten – oder Augen zu?
Das Attentat von Paris mutiert zur medialen Unterhaltung, als Ausgleich zwischen unserer Angst und unserer Neugier. Das ist vielleicht menschlich – aber definitiv absurd. Ein Kommentar.
Es tut mir leid: Ich habe keine Meinung zu den Attentaten von Paris. Ich weiß nicht, wer die Täter, waren, ich kenne ihre Motive nicht und ich weiß auch nicht, wie es weiter geht. Ich bin einfach nur schockiert und sprachlos. Ist das ok?
Ich ändere auch nicht mein Facebook-Profilbild und erfinde keinen Hashtag für Twitter. Ich beteilige mich einfach nicht an dem Krieg danach; an der Hysterie und der Spirale, die sich nach solchen Ereignissen mittlerweile wie programmiert immer schneller und immer höher schraubt. Neue Bombenwarnung, nächste Festnahme, erste Erkenntnisse, weniger Einwanderung, bessere Kontrollen.
Terrorismusexperten schwafeln, innenpolitische Sprecher kriechen aus ihren Löchern und schwadronieren, Augenzeugen berichten, Straßenmusiker illustrieren. Der große Tross der Katastrophentouristen hat wieder mal Halt gemacht in meinem Kopf. Und eigentlich sagen sie alle das Gleiche. Wie immer. Und alle beteiligen sich daran, so als wäre es zum ersten und letzten Mal passiert. Wie immer.
Fast so, als würde sich die Internetmeute darüber freuen, dass es endlich wieder etwas gibt – außer Bilder vom Abendessen oder der schönen Aussicht am Strand – das es sich zu posten lohnt.
Ich habe nichts gegen Solidarität und auch nicht gegen Mitgefühl. Aber ich habe etwas gegen Heuchelei. Ich frage mich, warum die Facebook-Bilder nicht im Millisekundentakt geändert werden und was es bedeutet, dass man erst eine Parole braucht, um eine Haltung zu entwickeln.
Ich frage mich, warum die Fernsehsender erst jetzt stündlich ihre Brennpunkte senden und nicht täglich, wenn Kinder an Hunger sterben. Ich frage mich, ob es ein Interesse daran gibt, das diffuse Bedrohungsszenario zu schüren um das spontane Interesse am Leben zu halten. Ich versuche das Leid der Menschen aufzuwiegen. Ich suche den Unterschied zwischen dem Unmittelbaren und dem Unsichtbaren.
Und während auf der einen Seite schon neue Anlässe für unsere Panik entstehen, eine Meldung die andere jagt und die Lage sich scheinbar unaufhaltsam zuspitzt, habe ich die Eindrücke noch gar nicht verarbeitet.
Ich habe keine Meinung. Sie bildet sich noch. Ich sehe die Bilder, die geheim gefilmten und die offiziellen, ich sehe die besorgten Gesichter der Vorortreporter vor den Blaulichtern im Fußballstadion und höre die ernsten Rückfragen der Moderatoren im Studio und sie verlagern sich in meine Träume. Der Horror geht weiter. So unempfindlich ich für das Erleben in der virtuellen Welt geworden bin, so irreal erscheint mir jetzt die Grausamkeit der Wirklichkeit. Und ich kann sie nicht mehr von der Fiktion unterscheiden.
Die Evakuierung des Stadions sieht aus wie in einem Katastrophenfilm, die Schüsse der Attentäter im Konzertsaal klingen wie aus einem Videospiel. Die Interviews mit den Verletzten sehen aus wie Bonusmaterial. Und auch die Fragen, die ich mir stelle, sind absurd. Warum, wenn die Attentäter Angst und Schrecken verbreiten wollten, haben sie nicht auch den Hintereingang versperrt? Nicht auszumalen, was dann passiert wäre.
Dann klicke ich zu iTunes und höre mir an, wie die „Eagles of Death Metal“ klingen. Nicht schlecht. Das neue Album steht auf Platz 1, die Terroristen haben dafür unbewusst Werbung gemacht. Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich auf „Jetzt kaufen“ klicke, weil mir die Musik gefällt?
Das Schlimme ist: Ich kann weder anklagen noch in Schutz nehmen. Wir sind alle mitbeteiligt an dieser Sache. Wir schalten ein. Wir scrollen die Timeline rauf und runter. Wir äußern unsere Meinung und wir springen von einem zum nächsten Thema, wenn unser Interesse an diesem Shockstorm erschöpft ist.
Vielleicht sollte man darüber nachdenken, einen Filter in unser Empfinden einzubauen. Einen der uns dazu zwingt, die inflationäre Flut an Meldungen zu reduzieren auf das Wesentliche. Auf Menschlichkeit, Anteilnahme, Innehalten und Nachdenklichkeit.
Aber was würde das bringen? Wären wir dann nicht ebenso einem Übermaß an Schreckensmeldungen ausgesetzt, das uns in den Wahnsinn treibt und unser Denken lähmt? Nur eben intensiver. Die Katastrophe mutiert zur Unterhaltung und sie tariert zugleich das Ungleichgewicht zwischen unser Angst und unser Neugier aus.
Die Welt ist grausam. Und erst wenn das Grausamste in unserer nächsten Umgebung passiert, nehmen wir es wahr. Vielleicht ist das auch menschlich, aber es ist auf jeden Fall absurd. Und so wird man mit jedem Ereignis unempfindlicher und unsere Aufmerksamkeit vergänglicher. Es entsteht eine Währung der Gleichgültigkeit. Einhundert tote Afrikaner im Schlauchboot sind gleich ein toter Europäer, geteilt durch zwei Attentate in einem Jahr, macht fünf Minuten echt betroffen! Grauenhaft. Schnell wegschalten – oder Augen zu?