Drohungen gegen Fatih Akin
Ultrarechte Türken gegen Armenien-Film
Als der Filmemacher Fatih Akin der in Istanbul herausgegebenen türkisch-armenischen Wochenzeitschrift «Agos» im Juli ein Interview gab, meldete sich die Turkish Turan Association, eine ultranationalistische Gruppierung, im Magazin «Ötüken» unmissverständlich zu Wort: «Wir bedrohen hiermit öffentlich die Zeitschrift Agos, die armenischen Faschisten und die sogenannten Intellektuellen.» Sie wendeten sich damit gegen Akins neuen Film «The Cut», der in gut zwei Wochen seine Premiere auf dem Filmfestival Venedig feiern wird. Dieser sei nur «ein erster Schritt einer ganzen Abfolge, um der Türkei die Lüge vom armenischen Genozid aufzudrängen»;
Akin beschrieben sie als «kurdischen Filmemacher, der bekannt ist für seine engen Beziehungen zur PKK», ein Umstand, der dem Hamburger Deutschtürken selber unbekannt sein dürfte.
Der Spielfilm erzählt die Geschichte von Nazaret Manugian, der die Massaker von 1915 um Haaresbreite überlebt, erfährt, dass seine kleinen Zwillingstöchter noch am Leben sind, und zu einer Odyssee aufbricht, die ihn von Mardin im türkischen Südosten nach Kuba und schliesslich North Dakota führt. Ein aufwendiges, prominent besetztes Projekt, dennoch konnte man im Vorfeld wenig über den Film erfahren.
Die Geheimhaltung des Inhalts ist vor allem in historischem Kontext zu sehen: Seit Jahrzehnten versucht der türkische Staat, der den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennt, Alternativen zu seiner offiziellen Geschichtsschreibung zu unterbinden, wittert überall eine «armenische Lobby», scheut sich aber selber nicht, diplomatischen Druck auszuüben, um internationale Filmprojekte über die historischen Ereignisse zu verhindern. Bekannteste Beispiele sind etwa die jahrzehntelange Verhinderung einer Verfilmung von Franz Werfels Widerstandsroman «Die 40 Tage des Musa Dagh» von 1933, das Aufführungsverbot für Elia Kazans Auswandererepos «America, America» (1963) oder der Tumult um die geplante Aufführung von Atom Egoyans «Ararat» (2002) auf dem Istanbuler Filmfestival.
Tatsächlich aber ist in der türkischen Zivilgesellschaft ein Prozess der Geschichtsaufarbeitung im Gange. Akademische Werke zum Thema führen offen den Terminus Völkermord im Titel, Fethiye Cetins Erinnerungen «Die Grossmutter» (2004) über eine verschwiegene Leidensgeschichte lösten eine Flut von Bekenntnisschreiben und Leserbriefen aus. Derzeit befassen sich immer mehr Dokumentarfilme mit den Folgen der Vernichtung armenischer Kultur in der Türkei.
Nachdem die Älteren aus Angst geschwiegen haben, setzt nun, in der dritten und vierten Generation, ein Wunsch nach Aufarbeitung ein. Mit ausgelöst wurde diese Rückbesinnung durch die Ermordung des populären «Agos»-Herausgebers Hrant Dink am 19. Januar 2007 auf offener Strasse. Akin hatte bereits 2009 einen Film über Dink geplant, davon aber Abstand genommen, als sich kein türkischer Schauspieler für die Rolle des Journalisten und Pazifisten fand. Dem neuen Film des 40-Jährigen steht die handfeste Drohung der Nationalisten gegenüber: «Dieser Film wird in keinem einzigen türkischen Kino gezeigt werden. Wir verfolgen die Entwicklung mit unseren weissen Kappen.» Der mutmassliche Mörder Dinks, Ogün Samast, hatte während der Tat eine weisse Mütze getragen. Das ist ernst zu nehmen und eine Herausforderung für die türkische Filmszene und die Politik.
Ersten veröffentlichten Szenen nach zu urteilen, handelt es sich bei «The Cut» um ein Meisterwerk, mit dem Akin noch einmal neue Wege geht: In klassischem 35-mm- und Cinemascope-Breitwand-Format gedreht, rückt die anatolische Tragödie sinnstiftend in eine Nähe zum Italowestern.
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