1. Die Kroaten wollen kein neues YU.
2. Die Slowenen wollen kein neues YU.
3. Die Kosovaren wollen kein neues YU.
4. Die Mazedonier wollen kein neues YU.
5. Die Montenegriner wollen kein neues YU.
Weisste wieso? Weil sich diese Staaten zum Westen orientieren. Weil es ihnen einzeln besser geht, weil es ihnen in der EU besser gehen wird. Ausserdem, wenn auch Serbien, neben den anderen YU-Staaten in der EU sein wird, braucht ihr eh kein YU mehr. Oder erwarstest Du, dass sich dann Kroatien, Slowenien und Mazedonien einfach von der EU loslösen werden, um sich an einem neuen YU anzuschliessen, das genau so schlecht funktionieren wird wie vorher, weil einfach die falschen Leute an der Macht sind und die Bevölkerung fast Ultranationalisten wählt. Du weisst wohl was ich meine...
Von Wolf Oschlies
EM 06-07 · 30.06.2007
as EM hat in seiner letzten Ausgabe eine faktenreiche Reportage über den „unsterblichen tito“ veröffentlicht – Momentaufnahmen der unendlichen Geschichte von titos Nachruhm, der in ganz Ex-Jugoslawien strahlt. So etwas mit aufmerksam-amüsiertem Reporterblick einzufangen, ist verdienstvoll und angemessen. Aber es ist nur ein Teil des Phänomens tito, das tiefer geht. Was da in Montenegro und anderswo abläuft, ist ja nicht nur ein (jugo)nostalgisches Spielchen mit alten Symbolen, Liedern, Sprachkonventionen – es ist ein seit nunmehr 17 Jahren andauerndes Referendum, das tito immer souveräner gewinnt.
Das gilt sogar bei den erfolgsverwöhnten Slowenen. Sie haben bis vor wenigen Jahren in Umfragen zu über 80 Prozent bekundet, ihr Leben in tito-Jugoslawien seit „(sehr) gut“ gewesen und sie hätten „(sehr) gute“ Erinnerungen an jene Zeit. Damit haben die post-jugoslawischen Politiker eine heimliche, aber immer präsente „Messlatte“ ihres Wirkens und ihrer Erfolge im Rücken, mit der sie leben müssen, es zu großen Teilen aber nur mit Schwierigkeiten können.
„tito – der Hochstapler“
Wenn sie es nicht können, bleibt ihnen nur die Verteufelung titos in jeder Hinsicht. Wer sich einen Mantel anziehen möchte, der ihm um etliche Nummern zu groß ist, muss sich gewaltig aufblähen, um hinein zu passen. Das erklärt dann auch den kindischen Mummenschanz der Kriegsverbrecher-Präsidenten Tudjman (Kroatien) und Milošević (Serbien), die tito in allem zu imitieren trachteten – weiße Uniformen, Orden, Luxuswagen, Ferieninsel, Kuba-Zigarren, US-Whisky etc. -, damit aber nur die eigene Lächerlichkeit demonstrierten.
Tudjman und Milošević sind tot, lebendig sind die kleinen Quakfrösche mit ihren misstönenden Litaneien. In Serbien wurde im August 2003 das Buch „tito – Der Hochstapler“ veröffentlicht, das ein serbischer Provinzrichter verfasst hatte. In diesem „beweist“ der Autor, dass 1. tito nicht tito war, sondern ein Halbbruder von ihm, dass 2. tito eingangs des Ersten Weltkriegs an einer Habsburgischen Spionageschule ausgebildet wurde und dass 3. einer seiner Schulkameraden Adolf Hitler war.
Bekanntlich hat Hitler bereits 1913 Österreich verlassen und den Krieg in der bayerischen Armee verbracht. Aber solche geschichtsnotorischen Tatsachen interessieren balkanische Märchentanten nicht. Für sie war „der sogenannte tito“ ein k.u.k.-Spion, ein Freimaurer, ein Geheimagent des Vatikans etc.
In Serbien wurde das Buch „Hochstapler“ als Schmutz und Schund verboten, worauf 2004 in Kroatien eine neue Ausgabe erschien. Natürlich haben kroatische Chauvinisten das Machwerk begeistert begrüßt, aber das hat wenig zu sagen: Auch in Kroatien wie überall in Ex-Jugoslawien erreicht die tito-Nostalgie Jahr für Jahr neue Höchstmarken. Auch wenn die Werte in Kroatien bescheidener ausfallen.
tito „komm zurück, sofort“
Vom nicht-jugoslawischen Ausland gar nicht zu reden! Ende Juni 2007 endete in Hamburg die Ära von Gordana Vnuk. Die Kroatin hatte sechs Jahre lang das alternative „Kampnagel-Theater“ geleitet und ihren Abschied mit der zweistündigen Revue „tito, gewisse Diagramme der Sehnsucht“ begangen, eingebettet in ein mehrtägiges Festival „tito – Der dritte Weg“ und inszeniert als Sample von tito-Darstellungen, mit denen Frau Vnuk zuvor schon in der halben Welt gastiert hatte. Dass die furiose Show zeitgleich zum EU-Gipfel lief, war ein wohlüberlegter Regieeinfall, der die allgemeine Begeisterung nur steigerte.
„titoville-com“ – Zufall oder Absicht, dass die Adresse von „tito’s Home Page“ wie ein verschämter Willkommensgruß an den toten Marschall anmutet? Jedenfalls klingt, was der junge slowenische Musiker Matjaž Srebotnjak da 1993 ins Internet stellte, wie eine Realitätsbeschreibung: Josip Broz, genannt tito – geboren am 7. Mai 1892 in dem kroatischen Weindorf Kumrovec, gestorben 4. Mai 1980 im Militärkrankenhaus von Ljubljana – lebt! Er lebt auf (mindestens) 14 Schildern von Straßen, Brücken, Schulen in der makedonischen Hauptstadt Skopje. Er lebt in immer neuen Umfragen, die in allen ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten wachsende Sympathiewerte ausweisen. Er lebt in Filmdrehbüchern, auf Bühnen, in Radioprogrammen, Büchern, Liedern, Witzen (da besonders) – in der Erinnerung jener Ungezählten, die das heutige zerfallene, ökonomisch darbende Ex-Jugoslawien mit dem tito-Jugoslawien vergleichen, das von Ost und West umworben und mit Krediten verwöhnt wurde. Dass auf titos Jugoslawien Oswald Spenglers böses Diktum über das Zwischenkriegs-Deutschland passte, „Bewegung der Arbeitslosen unter Führung der Arbeitsscheuen“ – wer will das heute noch wissen?
Graswuchs zwischen titos Marmorplatten und draußen zerfiel Jugoslawien
Auf keinem Belgrader Stadtplan ist Kuca Cveca verzeichnet, das „Blumenhaus“. Es wurde 1974 als eine Mischung aus Tropengarten und exklusivem Debattierclub erbaut. Am 8. Mai 1980 wurde tito hier bestattet. Er erhielt das „großartigste Begräbnis der bisherigen Menschheitsgeschichte“, wie der Belgrader „Danas“ pünktlich zum 25. Todestag meinte: Spitzenpolitiker aus 127 Staaten gaben ihm das letzte Geleit, unter ihnen vier Könige, 31 Staatspräsidenten, 22 Premiers, 47 Außenminister etc., dazu Prominente, deren Namen längst im Pantheon der Weltpolitik stehen – Indira Ghandi, Margaret Thatcher, Willy Brandt, Prinz Philipp, Bruno Kreisky und zahllose mehr. Gespräche, Kontakte, Vereinbarungen – das „Blumenhaus“ war kurzzeitig Nabel der Welt und Brücke zwischen den Blöcken.
Danach wurde es ruhiger und die ganzen 1990-er Jahre über verödete titos Grabmal – keine Ehrenwache, wenige Besucher, etwa titos Witwe Jovanka, die an jedem 4. Mai mit Blumen kam, Graswuchs zwischen den Marmorplatten. Draußen zerfiel Jugoslawien, aber in allen Nachfolgestaaten wurden die schönsten Hommages für tito inszeniert. In Serbien landete Goran Marković 1992 mit „tito und ich“ einen bis heute anhaltenden Filmhit: Der kleine Zoran, hinreißend gespielt von Dimitrije Vojnov, gewinnt 1954 einen Wettbewerb um das schönste tito-Gedicht. Er darf an einem Marsch in „titos Heimat“ teilnehmen, wird von einem stets auf weißem Schimmel heranreitenden tito aus den verrücktesten Kalamitäten gerettet und gesteht am Schluß: „tito, ich habe Papa und Mama lieber als dich, auch den Genossen Johnny Weißmüller in der Rolle des Tarzan“.
1994 drehte Želimir Žilnik (der im Juni 2007 auch bei dem Hamburger tito-Festival zugegen war) seine witzige Montage: „tito abermals unter den Serben“. Und 1999 zog der kroatische Kinoveteran Vinko Brešan mit dem Film „Marschall“ (nicht „Marschall titos Geist“) nach: Ein Gruppe ideologischer Hardliner inszeniert auf einer Adria-Insel einen Steinzeit-Kommunismus. Angeführt wird sie von einem Mann in Marschalluniform und mit tönenden Reden, der sich am Ende als ein aus der Irrenanstalt geflohener Patient entpuppt. In Slowenien hatte zuvor der Schauspieler Ivan Godnić einen jahrelangen Erfolg mit seiner Livesendung „Kličemo duhove“ (Geisteranrufung), die über Radio Kranj lief: Hörer stellten auf slowenisch Fragen, die Godnić beantwortete – in titos kroatischem Dialekt, mit dessen wunderbar imitierter Stimme und in jener legendären Drastik, zu der „Stari“ (der Alte) immer fähig war: „Du Rindvieh! Für dich habe ich im Knast gehangen, während du deine Alte gebumst hast!“ Die Techniker im Studio lachten sich scheckig, die Hörer vergaßen, dass tito schon zwölf oder mehr Jahre tot war und fielen ins Serbokroatische: „tito vrati se, odmah, prvim autobusom“ (tito, komm sofort zurück, mit dem ersten Autobus).