Ein Drittel der WM-Stadien wird nicht fertig
Dass die Fußball-Weltmeisterschaft im Gastgeberland Brasilien schon herbeigesehnt wird, kann niemand ernsthaft behaupten
Brasilien und Fußball, das gehört zusammen. Eine bessere Kombination kann es gar nicht geben, dachte sich Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. 2007 kämpfte der Staatspräsident und holte unter dem Jubel der Brasilianer die WM ins Land. Stolz präsentierte er seinen Plan und machte gleich zwölf Städte zu Austragungsorten. "Wir werden die beste WM aller Zeiten ausrichten", versprach der Fußballnarr.
In den Jahren seither produzierte Brasilien jedoch eher Negativschlagzeilen: Verzögerungen beim Bau der Stadien, Tote auf WM-Baustellen, Korruption und immer wieder Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Wahre Begeisterung über den Megaevent mochte bei vielen Brasilianern nicht aufkommen. Nur ganz langsam erwacht auch in Brasilien das Fußballfieber.
Beten für die Seleção
Von Laternenmasten, an denen vor wenigen Wochen noch Protestplakate gegen den "Copa" klebten, flattern jetzt Wimpelketten. Fahnen in den Landesfarben Grün und Gelb schmücken selbst die kleinste Hütte. Die Carioca von Rio de Janeiro haben sogar den Asphalt mit Fußballmotiven verschönert. Der Einzelhandel freut sich: Der Absatz von Flachbildschirmen stieg um 30 Prozent. Über die zahlreichen evangelikalen TV-Kanäle werden Gottesdienste für einen Sieg der Seleção, der brasilianischen Nationalmannschaft, übertragen.
Dennoch mag der Funke nicht bei jedem überspringen. Nach einer aktuellen Umfrage unterstützen nur noch 48 Prozent der Brasilianer die WM.
Viel katastrophaler hätte der Wert in der Heimat von Pelé, Ronaldo oder Neymar nicht ausfallen können. Präsidentin Dilma Rousseff beschwört deshalb täglich die "Spiele der Leidenschaft".
"Alle anderen Länder sollen gern Weltmeister werden, aber nicht Brasilien." Derart verbitterte Kommentare sind zu hören. Denn triumphiert die Seleção, hätte ja die Politik mit ihrem Größenwahn recht behalten. Im Stadtviertel Gloria haben Bewohner ihren Protest auf die Häuserwände gesprüht. Zu sehen ist das WM-Maskottchen Fuleco, wie es Geld hortet. "2014 - das Jahr der Revolte" steht daneben.
Nach den gewalttätigen Protesten beim Confederations Cup vor einem Jahr versprach Rousseff den Demonstranten, dass "kein Centavo aus dem Staatshaushalt in den Stadionbau" fließt. Schon damals war klar, dass diese Aussage keinen Bestand hat. Inzwischen korrigierte sich die Präsidentin auch öffentlich und macht die Fifa für die ausufernden Kosten mitverantwortlich. Der Fußballweltverband habe versichert, dass der Bau der Stadien durch private Investoren finanziert werde, sagte sie. Doch nicht einmal "ein halbes Stadion" hätte man mit dem Geld fertigstellen können. Deshalb habe die Regierung Kredite vergeben und die meisten Kosten selbst übernommen.
Als Brasilien die WM holte, waren noch 2,5 Milliarden Reais (1,04 Milliarden Dollar) für den Stadionbau veranschlagt. Schon drei Jahre später hatten sich die Kosten auf 5,4 Milliarden Reais (2,25 Milliarden Dollar) mehr als verdoppelt. Inzwischen hofft Brasilien, dass die Grenze von acht Milliarden Reais (3,3 Milliarden Dollar) nicht überschritten wird. Damit ist Brasilien jetzt schon Weltmeister - der Kosten. Und das, obwohl von den zwölf Stadien vier zur WM nicht vollständig fertiggestellt sein werden.
Betrogen und beraubt
Der Ex-Fußballstar und Abgeordnete Romário sagt, dass 90 Prozent der Ausgaben für die WM von den Brasilianern bezahlt worden seien. "Das Volk wird betrogen und beraubt."
"Die Probleme Brasiliens werden nicht in 30 Tagen vergessen sein", sagt Marcos Fernandes, Volkswirt an der Wirtschaftsuniversität Getúlio Vargas. Deshalb werde es natürlich Demonstrationen geben. In den Großstädten São Paulo und Rio ist die Protestbewegung gut organisiert. Ein Großaufgebot von Polizei und Militär soll die Spiele schützen, auch vor den eigenen Leuten. "Wir lassen uns damit die WM nicht verseuchen", sagt Rousseff.
Fast täglich kommt es in den WM-Austragungsorten außerdem zu Streiks. In São Paulo verlangen die Mitarbeiter der U-Bahn 16 Prozent mehr Gehalt, der Ausstand dauerte am Freitag an, auf den Autobahnen bildeten sich Staus von mehr als 200 Kilometern Länge. In Salvador de Bahia streiken Busfahrer und Polizisten. Die Gewerkschaften setzen sich damit über ein Gesetz hinweg, das Arbeitsniederlegungen während der WM verbietet. Rousseff will hart durchgreifen und die Streikführer vor Gericht bringen.
Denn für die Präsidentin steht einiges auf dem Spiel. 2007 bei der umjubelten Vergabe der WM lag das Wirtschaftswachstum bei 6,1 Prozent. Inzwischen ist die Volkswirtschaft Schlusslicht der BRIC-Länder. Weniger als zwei Prozent Wachstum werden für dieses Jahr erwartet. Die Inflation kletterte auf rund 6,4 Prozent.
Und im Oktober stellt sich Rousseff zur Wiederwahl. Noch liegt sie in den Umfragen vor ihrem konservativen Herausforderer Aécio Neves. Doch das kann sich schnell ändern. Wahlumfragen werden in Brasilien von Emotionen getragen. Ex-Präsident Lula da Silva verbittet sich daher alle Vergleiche mit dem unseligen Jahr 1950, als Brasilien als WM-Gastgeber von Uruguay im Finale besiegt wurde. "2014 ist nicht 1950", sagt Lula tapfer.(Susann Kreutzmann, DER STANDARD, 7.6.2014)
Zahlen abseits des Bezahlens
- Bis zu zehn Milliarden Euro soll die WM in Brasilien samt Infrastruktur umgerechnet kosten. Mehr als 85 Prozent gehen zulasten der Steuerzahler. Sportliche Zahlen lassen sich leichter verifizieren.
- Bosnien-Herzegowina ist bei der WM in Brasilien der einzige Neuling.
- 5 Mal war Brasilien bisher Weltmeister - 1958, 1962, 1970, 1994, 2002.
- 6 Mal wurden Gastgeber Weltmeister - Uruguay 1930, Italien 1934, England 1966, Deutschland 1974, Argentinien 1978, Frankreich 1998.
- 20 Mal und daher als einziges Land bisher immer schmückte Brasilien die WM.
- 25 Schiedsrichter sind bei der WM im Einsatz.
- 82 der 736 Spieler, die an der WM in Brasilien teilnehmen, sind nicht in dem Land geboren, für das sie antreten.
- 437 Gramm schwer ist der offizielle WM-Ball "Brazuca".
- 820 Spiele fanden in der WM-Quali statt.
Ein Drittel der WM-Stadien wird nicht fertig - WM 2014: Umfeld - derStandard.at ? Sport