Razzia in Bremen: Polizei schließt erstmals IS-Moschee in Deutschland
Von Hubert Gude und Fidelius Schmid
Bremen prescht im Kampf gegen den "Islamischen Staat" vor: Mit großem Polizeiaufgebot wurden eine Moschee und die Haushalte von 16 Privatpersonen durchsucht. Erstmals in Deutschland wurde ein Unterstützerverein der Terrormiliz verboten.
Bremen - Die Polizei kam nach dem Freitagsgebet und passte sich den Gepflogenheiten am Einsatzort an. Als mehr als hundert Bremer Einsatzkräfte zu einer Großrazzia in der Moschee des Kultur- und Familienvereins Masjidu-l-Furqan im Stadtteil Gröpelingen anrückten, gab es eine klare Rollenaufteilung: weibliche Beamte für den Frauen vorbehaltene Räumlichkeiten, männliche für den Rest.
Auch ansonsten achteten die Beamten darauf, trotz ernster Vorwürfe keine religiösen Gefühle zu verletzen: Auf den Einsatz von Hunden wurde verzichtet, sogar Überzieher für ihre Schuhe hatten sie dabei, da in Moscheen normalerweise keine Schuhe getragen werden dürfen.
Unter Beobachtung seit 2007
Die Rücksicht auf die religiösen Bräuche hatte ihren Grund: Erstmals in Deutschland haben die Behörden am Freitag einen Moscheeverein verboten, weil dort Propaganda für die Terrormiliz "
Islamischer Staat" betrieben wurde. Die Behörden wollten dabei vermeiden, dass ihre Aktion als islamfeindlich erscheint.
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer ordnete das Verbot des Vereins an, weil in den Predigten in der Moschee immer wieder der
Dschihad und Dschihadisten verherrlicht worden sein sollen. Außerdem könnte dem Moscheeverein eine wichtige Rolle bei der Ausreise von Kämpfern aus Deutschland zukommen, die sich in Syrien Terrororganisationen wie dem IS oder der Nusra-Front anschließen.
Allein aus dem
Umfeld des salafistischen Kultur- und Familienvereins sind bislang acht Männer, sieben Frauen und elf Kinder in die Krisenregion gereist, um sich radikalen Organisationen anzuschließen. Der Bremer Verfassungsschutz beobachtet den Verein bereits seit 2007. Dieser hatte sich ursprünglich von einem anderen Moscheeverein abgespalten und entwickelte sich nach Einschätzung der Bremer Behörden zunehmend ins radikal-salafistische Spektrum.
550 Personen ausgereist, 180 zurückgekehrt
Radikale Muslime, die aus der Bundesrepublik ausreisen, um sich in
Syrien oder im
Irak dem Dschihad anzuschließen, stehen bei den Sicherheitsbehörden besonders unter Beobachtung. Bislang haben sich rund 550 Personen auf diesen Weg begeben, rund 180 sind wieder zurückgekehrt. Sie könnten, so betonen Vertreter von Verfassungsschutz- und Polizeibehörden, besonders stark radikalisiert und durch die Gewalttaten vor Ort verroht sein. Der Bundesnachrichtendienst (BND) warnte jüngst in einem internen Papier vor Anschlägen von zurückgekehrten IS-Sympathisanten. Allerdings stellen auch jene Dschihadisten, die an der Ausreise in das Kriegsgebiet gehindert wurden, nach Ansicht der Behörden ein Bedrohungspotenzial dar.
In Bremen wurde am Freitag offenbar niemand festgenommen. Allerdings wurden neben den Räumen des Kultur- und Familienvereins auch die Haushalte von 16 Privatpersonen durchsucht. Erst unlängst hatte die Polizei in Hessen bei einer Durchsuchung eines Syrien-Rückkehrers ein Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow gefunden.
Islamischer Staat: Moschee von IS-Anhängern in Bremen geschlossen - SPIEGEL ONLINE
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Radikale Islamisten in Deutschland: 230 Gefährder im Visier
Mehr als 200 Islamisten bedrohen die innere Sicherheit Deutschlands. Sie gelten als fanatisch und extrem gewaltbereit, Einzeltäter sind kaum aufzuhalten. Bei einem Radikalen entdeckte die Polizei zuletzt sogar eine Kalaschnikow.
Sie waren gekommen, um Drogen zu finden. Doch was die Beamten der Kasseler Polizei vor einigen Monaten in der unaufgeräumten Mietwohnung von Walid D., 27, entdeckten, bereitete ihnen weitaus größere Sorgen. Der Extremist
hortete eine Kalaschnikow AK-47 samt Munition, eine Pistole vom Typ Ceska 27, eine schusssichere Weste und eine Fahne der Terrororganisation "
Islamischer Staat" (IS). "Bei uns schrillten sofort die Alarmglocken", so ein Beamter.
Dass sich radikale Islamisten wie Walid D., der nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden kurz zuvor von einem Aufenthalt in Syrien zurückgekehrt war, mit Sturmgewehren ausrüsten, gilt erfahrenen Staatsschützern als "Horrorvision". Die Waffen verfügen über eine hohe Feuerkraft und sind sogar der Ausrüstung vieler deutscher Polizei-Spezialeinheiten überlegen.
In Paris bedienten sich die Attentäter nun solcher Gewehre und töteten zwölf Menschen. (Die aktuellen Entwicklungen
finden Sie hier im Newsblog) Die beiden Hauptverdächtigen Said, 34, und Cherif Kouachi, 32, entsprechen zudem offenbar dem "Prototypen der gewaltbereiten Radikalen", vor dem die Behörden auch in Deutschland immer wieder warnen. Sie haben nach Berichten französischer Zeitungen beruflich nie richtig Fuß gefasst, schlingerten durchs Leben, gerieten mit dem Gesetz in Konflikt und suchten schließlich Halt in einer Pseudo-Religiösität, die nur noch Gut oder Böse kannte.
Offenbar versuchte Cherif Kouachi schon vor Jahren, als Dschihadist in den Irak zu reisen, um dort gegen die US-Truppen zu kämpfen. Die Behörden konnten seine Terrortour verhindern und verurteilen ihn zu einer Gefängnisstrafe. Die Zeit hinter Gittern de-radikalisierte ihn aber offenbar nicht.
Einzelne Angreifer sind schwer aufzuspüren
In Deutschland warnen Verfassungsschützer nicht nur vor den aus dem Bürgerkrieg zurückgekehrten Gotteskriegern, sondern auch vor denjenigen, deren Ausreise verhindert werden konnte. "Wir müssen die Islamisten weiter in unseren Fokus nehmen, die im Ausland kämpfen wollen, aber ihr Ziel nicht erreicht haben", so der Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Torsten Voß. Wer entschlossen sei, könnte versuchen, in der Bundesrepublik zuzuschlagen. Das zeigten Beispiele aus dem Ausland.
"Wir haben uns auf eine neue Art von Terrortaten einzustellen, auf Einzeltäter, Kleinstgruppen, die ohne große Planung Schrecklichstes, vielleicht auch spontan tun", so Voß vor wenigen Wochen im
Interview mit SPIEGEL ONLINE. In Australien etwa wollten Islamisten aus ihrer Sicht "Ungläubige" gefangen nehmen und enthaupten. Die nordrhein-westfälischen Dschihadisten um Marco G. planten laut Anklage bereits vor zwei Jahren,
Politiker der rechtsextremen Partei Pro NRW erschießen. Sie wollten demnach rächen, dass die Organisation im NRW-Wahlkampf Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte.
Wie bei den verhinderten Bonner Attentätern gewinnt dem Bundeskriminalamt zufolge die Strategie des "individuellen Dschihads" stetig an Bedeutung. Sogenannte "Lone Offender", also einzelne Angreifer, seien nur schwer aufzuspüren, ihre Taten kaum zu verhindern. In seinem vertraulichen "Gefährdungslagebild Politisch motivierte Kriminalität" warnt das BKA vor dem "hohen Sicherheitsrisiko" der aus Syrien zurückkehrenden Dschihadisten und einer "anhaltenden Bedrohung" durch islamistische Terroristen.
Heimkehrer wenden sich meist erneut der Szene zu
Von den mehr als 500 Gotteskriegern, die aus Deutschland Richtung Syrien gereist sind, kehrten inzwischen etwa 180 in die Bundesrepublik zurück. Einer Studie der Verfassungsschutzämter zufolge wendet sich die Mehrheit der Heimkehrer in Deutschland erneut der extremistischen Szene zu. Offenbar ist das islamistische Milieu sehr geschlossen und schwer aufzubrechen. Schon bei der Radikalisierung von Dschihadisten bleibt der wichtigste Faktor bislang der Freundeskreis der jungen Männer, gefolgt von Moscheen und dem Internet. Für Polizei und Verfassungsschutz bedeutet das, mehr als 230 sogenannte Gefährder dauerhaft "unter Wind zu halten", wie es im Jargon der Beamten heißt. Die Extremisten werden mit größtem Aufwand observiert, ihre Telefone und E-Mail-Konten überwacht. Bei einigen Bundesbehörden fielen daher im vergangenen Jahr Zehntausende Arbeitsstunden alleine für die Beobachtung der Syrien-Rückkehrer an. "Wir tun alles, was möglich ist, um einen Anschlag zu verhindern", der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz,
Hans-Georg Maaßen.
Im Fall des Kasseler Islamisten Walid D. erbrachte die Untersuchung der Kalaschnikow, dass diese defekt war. Ein Teil des Verschlusses fehlte. D. selbst erklärte der Behörden, das Sturmgewehr sei ein Erbstück.
http://www.spiegel.de/politik/deuts...roht-ist-die-innere-sicherheit-a-1011912.html