Kriminalitäts-Trends: So (un)sicher ist Wien
Die Kripo Wien setzt im Corona- und Wahljahr Schwerpunkte: Es gelte das Entstehen von öffentlichen „Unsicherheitsräumen“ schon im Ansatz zu unterbinden. Und die ausufernde Internetkriminalität zu bekämpfen.
Eine junge Frau, ihr angsterfülltes, ja panisches Gesicht – hinter ihr: ein schwarz vermummter Mann mit einem langen Messer in der Hand. So sieht ein aktuelles Wahlplakat der FPÖ aus. Es vermittelt: Frauen seien auf Wiens Straßen in Lebensgefahr.
Die anderen Parteien setzen im Wahlkampf kaum auf das Thema „Sicherheit“. Braucht es das auch nicht? Ist Wien nicht nur die lebenswerteste (siehe Mercer-Studie), sondern auch die sicherste Stadt der Welt? Dieses Extrem trifft wohl nicht zu. Doch es liegt auf der Hand, dass eine als besonders lebenswert wahrgenommene Stadt nicht zugleich eine Zone überbordender Kriminalität sein kann.
Direkte statistische Städte-Vergleiche sind schwierig. Dies bestätigt sowohl das Bundeskriminalamt als auch die Wiener Landespolizeidirektion. Denn jedes Land erfasst Kriminalität anders. Was in Österreich eine Verwaltungsrechts-Übertretung ist (Beispiel: Schwarzfahren), kann anderswo ein Straftatbestand sein und daher in die Kriminalstatistik wandern.
Walter Fuchs, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, hat ein Arbeitspapier zur öffentlichen Sicherheit in Wien geschrieben. Er sieht Wien als sichere Stadt. Ein Indikator sei die Mordrate. Diese liege im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt.
Aber natürlich ist Kriminalität in einer Großstadt immer eine Herausforderung. Zum Beispiel für Isabelle H. Die 24-jährige Wienerin will Polizistin werden. Ihre Dienstprüfung steht kurz bevor. „Polizistin zu werden – das war schon ein Kindheitswunsch von mir.“ Denn: „Ich will Menschen in Ausnahmesituationen unterstützen und habe auch Interesse daran, mit dem Recht zu arbeiten.“
Wie oft Letzteres gebrochen wird, zeigen die Daten. Hier die für ganz Österreich: Laut Kriminalstatistik ist die Zahl der Anzeigen im Vorjahr im Vergleich zu 2018 um 3,4 Prozent gestiegen. Sie lag bei 488.912 (2018: 472.981). Auch mehr Verdächtige wurden ausgeforscht: 304.422 Personen. Das ist der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre.
Mehr ausländische Verdächtige
122.067 ausländische Verdächtige wurden im Vorjahr gezählt. Das macht 40,1 Prozent. Vor zehn Jahren betrug der Anteil „nur“ 34,5 Prozent. Fremde Verdächtige kommen am ehesten aus Rumänien, Deutschland, Serbien, der Türkei und Afghanistan.
Apropos: Hinsichtlich des Delikts Vergewaltigung hat die Flüchtlingskrise von 2015 offenbar Spuren hinterlassen. Im Jahr danach (2016) zeigte sich: Die Zahl der ermittelten Verdächtigen (manche waren mutmaßliche Mehrfachtäter) stieg von 688 auf 782. Darunter waren 339 tatverdächtige Nichtösterreicher. Und davon wiederum 64 Afghanen (Quellen: Sicherheitsbericht und Institut für Konfliktforschung). Unter letzteren befanden sich 54 Asylwerber (ca. 35.000 Afghanen waren damals im Land). Im Vergleich mit anderen Asylwerber-Nationen war diese Verdächtigen-Gruppe die stärkste. Auf die damals fast so zahlreich anwesenden Syrer entfielen lediglich 17 Tatverdächtige, auf die Deutschen (ca. 180.000 waren im Land) nur elf. Voriges Jahr entfielen auf Afghanen 59 Vergewaltigungs-Anzeigen.
Sieht man sich Deliktsgruppen bundesweit an, lässt sich für das Vorjahr sagen: Bei den Gewaltdelikten verzeichnete die Polizei 2019 einen Anstieg – mit 73.079 Anzeigen (ein Plus von 5,3 Prozent). Die Zahl der Morde stieg von 60 (2018) auf 65. Die Internetkriminalität war und ist stark im Steigen. Die Eigentumskriminalität (Beispiel: Einbrüche) sank deutlich. Ein Trend, der sich heuer durch den Lockdown noch verstärkte. Auffällig: 2019 stieg der Trickbetrug um 52,5 Prozent auf 4464 Anzeigen an – wegen des „Polizisten-Tricks“: Täter geben sich als Polizisten aus, gaukeln den meist älteren Opfern vor, dass Gefahr drohe, danach holen die Täter Wertgegenstände aus der Wohnung der Opfer ab.
Nun zu Wien: 35,5 Prozent der Kriminalität fand 2019 hier statt. Die Zahl der Anzeigen stieg leicht. Im Zehnjahresvergleich zeigte sich aber ein deutlicher Rückgang. Verändert hat sich der Anteil der nicht-österreichischen Verdächtigen. Waren es 2010 noch 30.006 Fremde, so wurden 2019 schon 45.366 verzeichnet, ein Anstieg um 51,2 Prozent. Bei der Gewaltkriminalität insgesamt gab es Plus von 3,8 Prozent. Es gab zuletzt 23 Morde. So starben zwölf Frauen und elf Männer – ein Minus von 26 Prozent. 323 Anzeigen wegen Vergewaltigung wurden im Vorjahr erstattet (2018: 305). Auch die Raub-Zahl ging nach oben. Die Internet-Kriminalität – sowohl Angriffe auf Datensysteme als auch Betrugsdelikte (etwa betrügerische Bestellungen von Waren) – stieg stark.
Wo Wien am kriminellsten ist
Worauf konzentriert sich die Polizei im Wahljahr? Kriminalamts-Leiter Josef Kerbl: 2020 sei wegen Corona zwar ein „Sonderjahr“ („Kriminalitätsrate rückläufig“), aber: „Ständiger Schwerpunkt“ sei die Bekämpfung der Kriminalität auf offener Straße. „Wir müssen Hotspots im Ansatz erkennen. Unsicherheitsräume dürfen nicht entstehen.“ Auch Cyberkriminalität werde verstärkt bekämpft. Ebenso wichtig: der Kampf gegen Trickdiebstähle (falsche Polizisten). Hier gelte es, Senioren präventiv vor der Gefahr zu warnen.
Und wo genau ist Wien eigentlich am kriminellsten? Dazu gibt das erwähnte Arbeitspapier von Walter Fuchs Auskunft: „Die Verteilung der absoluten Zahlen an angezeigten Straftaten spiegelt immer auch die Größe der jeweiligen Bezirksbevölkerung wider. So wurde etwa 2016 am häufigsten Favoriten als Tatort registriert. In diesem Bezirk wohnen jedoch auch am meisten Menschen.“ Stelle man aber die Anzeigen-Zahlen in Relation zur jeweiligen Bezirksbevölkerung, „so ist deutlich erkennbar, dass sich das Kriminalitätsgeschehen im Zentrum konzentriert“; konkret auf den 1., den 6., den 7. und den 8. Bezirk. So gibt es etwa besonders viele Diebstähle in der Mariahilfer Straße.
Die Kripo Wien setzt im Corona- und Wahljahr Schwerpunkte: Es gelte das Entstehen von öffentlichen „Unsicherheitsräumen“ schon im Ansatz zu unterbinden. Und die ausufernde Internetkriminalität zu...
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