Guten Morgen,
es kommt nicht oft vor, dass ich mich kurz vor Mitternacht noch einmal aus dem Bett schäle, eine Skihose anziehe, eine Thermoskanne einpacke, ins eiskalte Auto steige und dann ans andere Ende Wiens, in die Simmeringer Zinnergasse 29A, fahre.
Doch gestern Nacht hatte ich das Gefühl, dass etwas sehr Einschneidendes passieren wird; ein paar Telefonate mit Polizisten, Abgeordneten und Hofräten hatten es angedeutet. Und so kam es auch: mit martialischer Geste inszenierten Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und sein Kabinett ganz bewusst die Abschiebung von zwei Kindern, Tina und Lea, 12 und 5 Jahre alt, aus Wien in ihre angebliche "Heimat" Georgien. Es ist in Wahrheit ein Land, das sie fast ausschließlich aus Erzählungen der Eltern kennen.
Die Aktion begann gegen zwei Uhr Früh. In der Zinnergasse, wo einst das legendäre Flüchtlingsquartier Macondo war, befindet sich das Schubhaftgefängnis für Familien. Dort waren die Kinder und ihre Mutter, die seit 12 Jahren mit allen Mitteln versucht, in Österreich zu bleiben, untergebracht. Sie lebt hier illegal und weiß seit langem, dass sie fort muss. Doch sie widersetzte sich – bis die Fremdenpolizei sie, aber auch die kleinen Kinder für die Abschiebung festgenommen hatte.
Hier beginnt das Drama. Während die Mutter mit allen Tricks versuchte, in Wien Fuß zu fassen, schlug vor allem auch die ältere Tochter hier ihre Wurzeln, so wie einst Arigona Zogaj, das Mädchen aus dem Kosovo. Das Fremdenrecht kennt hier keine Gnade, Kinder haften für ihre Eltern. Es nützte auch nichts, dass die Schulkameraden demonstrierten. Und so saßen die Kinder um zwei Uhr nachts in einem blauen Polizeibus, begleitet von einem Konvoi weiterer Polizei-VW-Busse. Um zwei Uhr nachts. Kinder.
SchülerInnen, StudentInnen, Eltern, Abgeordnete von SPÖ, Neos und Grünen standen nun in eisiger Kälte vor dem Gefängnis und trauten ihren Augen nicht. Die Polizei hatte für die nächtliche Aktion nicht nur bellende Hunde mitgebracht ("Die brauchen auch frische Luft", sagte ein Beamter), sondern auch die mit schwarzen Sturmhauben maskierte WEGA trat auf den Plan, also jene Anti-Terroreinheit, die einst den Terroristen Kujtim F. erschossen hatte.
Die Hunde und die Maskierten trieben sich dann rund um die Polizeiautos mit den Kindern herum, die verschreckt hinausblickten. Die DemonstrantInnen und ihre aus Sperrmüll gebauten Barrikaden auf den Zufahrtswegen wurden schließlich um fünf Uhr früh in wenigen Minuten weggeschliffen, ein Beamter rief den versammelten Abgeordneten und Studierenden noch polemisch zu: "Jetzt könnts' ihr noch einmal winken!" Ein Polizist sagte vorher zu mir: "Und jetzt verschwind mit Deiner Heislpapierzeitung!"
Ich habe viele Szenen des Abends mit dem Handy dokumentiert, wir haben ein kleines Video daraus gemacht, damit Sie einen Eindruck gewinnen können, wie das Fremdenrecht in Österreich vollstreckt wird. "Shame on you! Shame on you!", riefen die DemonstrantInnen. Ich denke, sie meinten damit den Innenminister persönlich. Er hatte seinem Regierungskollegen Werner Kogler noch wenige Stunden zuvor zugesichert, die Abschiebungen "zu prüfen". Rudolf Anschober sagte daher 12 Stunden vor den Abschiebungen, diese würden nicht stattfinden. Nun stand er gelackmeiert da.
Die ÖVP hat ihren Regierungspartner brüskiert. Sogar der Bundespräsident rückte gestern aus, um die Abschiebung zu verurteilen. Allerdings einen Tag zu spät.
Die Grünen realisieren, dass sie mit ihrer leisen und konstruktiven Art bei Sebastian Kurz nicht gehört werden, im Gegenteil. Die Grünen haben nun zwei Möglichkeiten, wenn sie keinen Basisaufstand erleben wollen: sie können ihre wichtigen Themen eskalieren und den Regierungsfrieden stören. Oder sie können die Regierung nach Ostern platzen lassen. Meine Prognose: Wir werden noch heuer wählen.
Kurz wird als Sieger vom Platz gehen. |