Neues GesetzTürkei will mehr Kontrolle sozialer Medien
Stand: 28.07.2020 01:43 Uhr
In der Türkei sollen internationale soziale Medien wie Facebook und Twitter künftig stärker kontrolliert werden. Dabei soll es vor allem um Beschimpfungen im Netz gehen. Kritiker wittern den Versuch weiterer Zensur.
Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul
Das türkische Parlament will ab heute über neue Regelungen für soziale Medien beraten. Am Ende steht eine Abstimmung darüber, ob das Mediengesetz erweitert wird. Internationale Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube sollen Niederlassungen in der Türkei mit einem haftbaren Vertreter eröffnen. Man wolle so Beleidigungen und Belästigungen im Netz beenden, heißt es aus Ankara. Kritiker befürchten, dass Informationen im Netz durch die neuen Regelungen noch stärker zensiert werden.
Die Intention der neuen Regelungen klingt gut. Die Türkei will ihre Bürger davor beschützen, dass andere Nutzer sie im Netz beschimpfen, beleidigen oder belästigen. Dazu hat sie diesmal vor allem internationale Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube im Auge. Die AKP-Abgeordnete Özlem Zengin hat die Regelungen letzte Woche vorgestellt und kritisiert auch, dass die Plattformen bei steuerrechtlichen Fragen nicht greifbar sind:
"Wollen sie in unserem Land weiter agieren, müssen sie sich unsren Gesetzen fügen und sowohl finanziell als auch organisatorisch, inhaltlich und rechtlich haften. Dabei ist das wichtigste, einen Ansprechpartner zu haben, der beispielsweise auch steuerrechtlich greifbar ist."
Plattformen sollen Niederlassungen in der Türkei gründen
Ankara will Plattformen mit mehr als einer Million Nutzen am Tag dazu zwingen, Niederlassungen in der Türkei zu gründen. Auch andere Länder, wie Deutschland würden gerade ähnliche Regelungen einführen oder schon eingeführt haben, meint Zengin:
"Noch gibt es bei der rechtlichen Grundlage und Bestimmungen für soziale Medien keine international festgelegten Standards. Die Türkei wird auf diesem Gebiet vielleicht sogar eine Art Vorreiterin sein und dazu beitragen, dass sich international eine gängige Rechtsprechung etabliert."
Innerhalb von 48 Stunden sollen die Plattformen reagieren müssen, wenn sich beispielweise jemand beschwert, seine Persönlichkeitsrechte seien verletzt worden oder ein Richter anordnet, bestimmte Inhalte zu löschen.
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"Sobald die rechtliche Grundlage geschaffen ist, müssen sich solche Unternehmen auf Zugangssperren und juristische und finanzielle Maßnahmen einstellen. Die Türkei ist schließlich keine Bananenrepublik."
Internetprovider sollen innerhalb von vier Stunden die Bandbreite entsprechender Seiten drosseln - um bis zu 95 Prozent. Damit sind sie praktisch kaum noch nutzbar. Erdogan ist wütend. Vor kurzem hatten Nutzer seine Tochter und ihren Mann, Finanzminister Albayrak, im Netz beleidigt.
"Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was jetzt meiner Familie passiert ist, allen 83 Millionen Bürgern der Republik Türkei auch passieren kann. Internetnutzer sind nicht von strafrechtlichen Maßnahmen ausgenommen."
Im Zuge der Ermittlungen zu den Urhebern der Beleidigungen wurden mehrere Verdächtige festgenommen und verhört.
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Erol Önderoglu ist der Vertreter von "Reporter ohne Grenzen" in der Türkei. Er versucht zu erklären:
"Es geht darum zu verhindern, dass die angekratzte Reputation von Präsident Erdogan noch mehr beschädigt wird, dass Kritik aus dem Ausland die Köpfe der türkischen Bürger nicht noch mehr verwirrt, und dass sich die Öffentlichkeit nicht über unabhängige Berichte aus dem Ausland informiert."
In der Türkei sind Facebook & Co. noch deutlich beliebter als in Deutschland. Für regierungskritische Medien ist das oft die einzige Möglichkeit ihre Artikel zu veröffentlichen. Önderoglu sagt, "Reporter ohne Grenze" haben grundsätzlich nichts dagegen, wenn soziale Netzwerke Niederlassungen in der Türkei eröffnen sollen. Aber er warnt:
"Die Regierung wird durch den neuen Gesetzentwurf Inhalte gerichtlich oder per Kommunikationsbehörde zensieren können, und zwar mit der Begründung, sie würden die nationale Sicherheit bedrohen oder das Ansehen des Landes gefährden. Das bedeutet, dass die Regierung unabhängige ausländische Medien der Kontrolle ihrer eigenen Gerichte unterwerfen will."
Gesetz hat gute Chancen
Nutzerdaten sollen angeblich in der Türkei gespeichert werden. Damit hätten die Behörden leichter Zugriff. Der letzte geschützte Raum für kritische Journalisten werde geschlossen, so Gegner der Regelungen.
Die Chancen, dass Erweiterungen des Internetgesetzes von 2007 im Parlament durchgehen, sind groß. Erdoagns AKP hat zusammen mit der kleinen nationalistischen MHP die Mehrheit.
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