Von Alptraum zu Alptraum
Das Eingreifen Russlands in den Syrien-Krieg hat die türkische Politik auf diesem Feld so gut wie wirkungslos gemacht, kommentiert Reinhard Baumgarten. Besonders schlimm: Putin flirte mit den syrischen Kurden. Welche Rolle aber kommt auf Deutschland zu, wenn die Türkei und Russland wirklich aufeinanderprallen?
Es hätte alles so gut laufen können – damals vor fünf Jahren, wenn die Russen nicht gewesen wären. Ankara hatte sich früh schon auf ein Ende des Assad-Regimes fest-gelegt und nach Kräften syrische Rebellen unterstützt. Aber Teheran und Moskau wollten den Sturz von Diktator Assad partout verhindern. Teheran hat Assad zunächst mit Geld, dann mit Waffen und schließlich mit Kämpfern geholfen. Moskau hat lange gezögert, bis es schließlich im letzten Herbst eigene Truppen in den syrischen Wahnsinn schickte. Denn die Hilfe aus dem Iran sowie der libanesischen Hizbollah schienen plötzlich nicht mehr auszureichen, um die Assad-Clique an der Macht halten zu können. Wladimir Putins aktives Eingreifen in Syrien war das, was man einen Game-Changer nennen kann.
Politik über Bande
Vor allem für Ankara war und ist das russische Engagement ein kräftiger Schlag ins Kontor. Denn mit einem Mal war klar, dass eine Flugverbotszone über Nordsyrien komplett unmöglich ist; dass es keine 120 km lange und bis zu 20 km tiefe Sicherheitszone an der türkisch-syrischen Grenze geben wird; dass die Unterstützung der Türkei für wie auch immer geartete syrische Rebellen mit russischem Widerstand rechnen muss.
Putins Eingreifen in Syrien hat die Syrien-Politik Erdoğans weitgehend wirkungslos gemacht. Schlimmer noch: Putin flirtet mit den syrischen Kurden. Für Ankara reiht sich Alptraum an Alptraum. Die syrischen Kurden sind eng liiert mit der türkischen PKK. Was, wenn Russland nun auch noch die PKK unterstützen sollte? Auszuschließen ist das nicht, sollten die Spannungen zwischen Ankara und Moskau zunehmen. Und wenn einer weiß, wie man Politik über Bande spielt, wie man Fäden zieht, Systeme und Staaten destabilisiert, dann ist das Wladimir Putin. Und ausgerechnet mit diesem Mann liegt Recep Tayyip Erdoğan über Kreuz. Ausgerechnet diese beiden Herrscher mit ausgeprägt autokratischen Neigungen entscheiden darüber, ob Deutschland demnächst in einen Krieg im Nahen Osten verwickelt wird.
Beide haben bewiesen, wozu sie fähig sind
Deutschland wird als Nato-Mitglied gefordert sein, wenn Türken und Russen ernsthaft aufeinander einschlagen sollten. Diese Gefahr besteht durchaus. Beide Seiten haben schweres Gerät an der türkisch-syrischen Grenze aufgefahren. Die Lage ist besorgniserregend. Wozu Putin fähig ist, hat er unter anderem in der Ukraine bewiesen. Wozu Erdoğan fähig ist, beweist er täglich in Südostanatolien. Dort tobt vielerorts ein Quasi-Bürgerkrieg.
Niemand darf das so nennen, weil es ja offiziell ein Kampf gegen den Terrorismus der PKK ist. Also gegen jene verbotene Gruppierung, mit der türkische Offizielle im Auftrag Erdoğans bis zur Parlamentswahl im Juni vergangenen Jahres noch über Frieden verhandelt haben. Diese Wahl hat Erdoğans AKP ja bekanntermaßen verloren. Die Wiederholungswahl im November hat sie hingegen eindrucksvoll unter dem Einfluss von Terroranschlägen und dem Krieg in Südostanatolien gewonnen.
Natürlich muss die Nato der Türkei beistehen, sollte es zum militärischen Konflikt mit Russland kommen. Genauso natürlich muss es sein, Ankara zum inneren Frieden zu drängen. Der Krieg gegen die PKK wird von vielen Kurden als Krieg gegen die Kurden wahrgenommen. Wladimir Putin ist nicht der Einzige, der versucht sein könnte, die wachsende Wut junger Kurden für seine Zwecke zu nutzen. Erdoğans russischer Alptraum würde um einen gefährlichen Aspekt erweitert.
Türkei und Russland - Von Alptraum zu Alptraum