Denk ich an Deutschland
Die Wirtschaft des Landes zeigt Schwäche. Ist es Opfer seiner eigenen Hybris geworden?
Denk ich an Deutschland, bin ich nicht wie einst Heinrich Heine um den Schlaf gebracht, doch mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Deutschland strauchelt, das hat Auswirkungen auf ganz Europa. Das Nachrichtenmagazin The Economist fragte vor zwei Wochen auf der Titelseite, ob unser nördlicher Nachbar wieder zum "kranken Mann" Europas würde, illustriert von einem grünen Ampelmännchen am Infusionstropf.
Vielleicht ist Deutschland Opfer seiner eigenen Hybris geworden. Lange glaubte das Land, die besten Autos der Welt zu produzieren. Die Hersteller schummelten sich mit getürkten Emissionswerten und enormen Gewinnen in China durch. Es verpasste den Anschluss, als Elon Musk das Auto als fahrende Softwareanwendung neu erfand und entsprechend staatlich förderte. Statt auf Innovation setzte die Politik auf Hartz IV.
Geringes Konfliktpotenzial
Entgegen den Warnungen seiner östlichen Nachbarn waren die Eliten überzeugt, Putins Regime durch gegenseitige Abhängigkeit zähmen zu können. Je mehr billiges Gas Deutschland von Russland importierte, desto geringer schien das Konfliktpotenzial. Gaspipelines wurden als Friedensprojekte gesehen; wer dazu eine andere Meinung hatte, wurde belächelt. Am globalen Markt zu glänzen galt mehr, als zu Hause aufzuräumen. Nur ein Beispiel: Vor einigen Jahren begann die staatliche Deutsche Bahn, sich auf internationale Verkehrs- und Logistikprojekte zu konzentrieren, etwa in China oder Indien, anstatt in den Inlandsverkehr zu investieren. Wer heute mit der Eisenbahn in Deutschland fährt, erlebt die Folgen dieser Entscheidung. Dies alles verkörpert das Erbe der Schröder- und Merkel-Jahre, ein Erbe, das nun bewältigt werden muss, während die AfD an Einfluss gewinnt.
Die Wirtschaft des Landes zeigt Schwäche. Ist es Opfer seiner eigenen Hybris geworden?
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