Berlin, ein Spiegel – Gedanken zur gescheiterten Wahl Friedrich Merz'
Es beginnt nie mit dem großen Knall. Demokratien scheitern nicht wie Brücken, die einstürzen – sie bröckeln. Sie verlieren zuerst ihre Richtung, dann ihre Stimme und schließlich ihr Gedächtnis. Die gescheiterte Kanzlerwahl von Friedrich Merz ist kein isoliertes deutsches Ereignis, kein technischer Defekt im Getriebe der Republik. Sie ist ein Symptom. Eine Warnung. Vielleicht sogar ein Vorbote.
Die Kommentare aus Paris sind ungewohnt scharf, aber sie verfehlen nicht den Kern. „Ein politischer Schock für Deutschland und Europa“, schreibt Valérie Hayer. Es klingt wie ein diplomatischer Hilferuf – denn Berlin war, zumindest im französischen Denken, immer der Fels, der Plan, das Maß. Nun ist dieser Fels porös geworden, der Plan unlesbar, das Maß aus der Zeit gefallen. Und so spricht eine französische Ministerin – anonym, aber bezeichnend – von einer „absoluten Katastrophe“. Nicht, weil Merz gescheitert ist, sondern weil auch der letzte Versuch gescheitert ist, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Man muss Merz nicht mögen, um in seiner Niederlage ein tieferes Problem zu erkennen. Es ist nicht die Person, die scheitert, sondern das Prinzip. Das Prinzip, dass es in einer zersplitterten Landschaft noch möglich sei, durch Verhandlung, Vertrag und Vernunft eine stabile Regierung zu bilden. Was hier bricht, ist nicht bloß eine Koalition – es ist der Glaube an die Koalition selbst.
Europa schaut auf Deutschland – nicht mehr mit Bewunderung, sondern mit Sorge. Und das aus gutem Grund. Denn was in Berlin passiert, geschieht anderswo schon längst. Frankreich taumelt zwischen Technokratie und Revolte. Italien regiert sich mit dem Rücken zur Geschichte. Spanien verliert sich im Streit um Identitäten. Und Großbritannien hat sich, um die Stimmen der Vergangenheit zu retten, von der Zukunft verabschiedet.
Was also ist der Sinn dieses Moments?