Am Ende applaudierten die meisten Delegierten: Mit einem staatsmännischen Auftritt warb Präsident Mahmud Abbas vor der Uno für die Anerkennung eines Staates Palästina. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu konnte der Rede des Palästinensers dagegen außer Häme nicht viel entgegensetzen.
New York - Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat am Freitag zu den Delegierten der 193 Staaten der Vereinten Nationen in New York gesprochen. Unmittelbar davor
beantragte er die Vollmitgliedschaft für einen Staat Palästina in der Weltorganisation. Das Schreiben reichte Abbas vor seiner Rede bei einem Treffen mit Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon offiziell ein.
"Rassistische Mauer"
"Dies ist der Moment der Wahrheit", sagte Abbas, "unser Volk möchte die Antwort der Welt hören." Er begründete seinen Vorstoß vor allem mit den gescheiterten Verhandlungen für einen Friedensschluss zwischen Israelis und Palästinensern, die im vergangenen September unter Beteiligung der USA, des Nahost-Quartetts, Ägyptens, Jordaniens und der beiden Konfliktparteien begonnen hatten.
Dafür trage Israel die Verantwortung, insbesondere durch den Weiterbau von Siedlungen. Diese seien Ausdruck einer "kolonialen, militärischen Besatzung", die internationalem Recht widerspreche und für "Brutalität, Aggression und Diskriminierung" stehe.
Den israelischen Sperrzaun bezeichnete er als "rassistische Mauer". Die von Israel gebaute Mauer "frisst sich in unser Land, teilt es in isolierte Inseln und Schluchten, trennt Familien und Gemeinden und zerstört den Lebensunterhalt von Zehntausenden unserer Familien", so Abbas.
Erst nach fast einer halben Stunde zeigte Abbas Gefühle: "Wird die Welt Israel weiterhin erlauben, über dem Recht zu stehen?", fragte er. Die Palästinenser seien das letzte Volk unter Besatzung. "Genug, genug, genug!" Die Zeit sei reif, das Leiden der Palästinenser zu beenden. Nach dem "Arabischen Frühling" sei nun auch die Zeit für einen "palästinensischen Frühling" gekommen.
Seine Rede blieb ansonsten nahezu frei von Pathos. Israel griff er direkt und scharf an, verwendete dabei auch durchaus die Reizworte "Apartheid" und "Kolonialismus", blieb aber ausgesprochen verbindlich und betonte mehrfach seinen Willen und seine Bereitschaft zu Verhandlungen.
Für die Erinnerung an den legendären Auftritt des verstorbenen Palästinenserführers Arafat vor der Uno im Jahr 1974 ("Lassen Sie den Ölzweig nicht aus meiner Hand fallen") erntete Abbas Zwischenapplaus im Plenum.
Unruhen in Nahost
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand unseren Antrag auf volle Mitgliedschaft ablehnen kann", mahnte Abbas gegen Ende seiner Rede.
Die Palästinenser brauchen neun der 15 Stimmen im Sicherheitsrat, die USA können die Initiative allerdings verhindern. Die USA haben bereits ihr Veto angekündigt; US-Präsident Barack Obama will einer Uno-Mitgliedschaft erst nach einer Friedenslösung für Israel zustimmen.
Hinter den Kulissen war bis zuletzt an einer gemeinsamen Erklärung des Nahost-Quartetts aus Vereinten Nationen, EU, Russland und den USA gearbeitet worden, um den Weg zu neuen Friedensverhandlungen zu ebnen. Es wird befürchtet, der Vorstoß von Abbas vor den Vereinten Nationen könnte neue Unruhen im Nahen Osten provozieren.
Die Lage in der Region war am Freitag angespannt : Dutzende palästinensische Demonstranten im Westjordanland lieferten sich bereits Stunden vor Abbas' Rede am Freitag Auseinandersetzungen mit israelischen Sicherheitskräften. Dabei soll ein Palästinenser erschossen, ein weiterer verwundet worden sein. Israel hat aus Sorge vor Unruhen Zehntausende Soldaten im jüdischen Staat und im Westjordanland stationiert .
Seit 1974 haben die Palästinenser einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Die Regierung in Jerusalem fürchtet vor allem, dass ein palästinensischer Staat Israel wegen der Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagen könnte.
Die Friedensverhandlungen liegen seit einem Jahr wegen des Streits über den israelischen Siedlungsbau auf Eis. Angesichts der festgefahrenen Lage hatten sich die Palästinenser entschlossen, die Anerkennung ihres Staats ohne Zustimmung Israels über die Uno durchzusetzen.
Palästinenserchef vor der Uno: Abbas appelliert an das Gewissen der Welt - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik