So sichert Russland seine westlichen Grenzen
Panzer, Flugzeuge und moderne Infrastruktur: Bis Ende dieses Jahres wird der Militärbezirk West mehr als 1000 Einheiten modernste Militärtechnik erhalten. Bis Januar 2019 wird er damit zu 65 Prozent mit neuer Bewaffnung ausgestattet sein. Warum der Militärbezirk West so wichtig für die nationale Sicherheit ist.
Die wichtigste Richtung
In Sowjetzeiten galten die Truppenteile im Westen des Landes offiziell und auch inoffiziell als Elite der Streitkräfte. Denn im Falle eines Dritten Weltkrieges hätten sie den ersten Schlag der Nato-Kräfte abwehren und eine Gegenoffensive beginnen müssen, um Kriegshandlungen auf dem Territorium des Gegners zu führen. Bei der Finanzierung der im Westen stationierten Truppen war das Kommando in Moskau also nicht geizig: Sie bekamen die neueste Militärtechnik, in den Westen wurden die besten und erfahrensten Offiziere geschickt.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion verlagerten sich die Grenzen Russlands um mehrere Hunderte Kilometer gen Osten. Die meisten Waffen, Munitionslager usw. blieben aber auf dem Territorium seiner neuen Nachbarländer. Aus Geldmangel sowie wegen der beiden Militärkampagnen in Tschetschenien und der allgemeinen innenpolitischen Instabilität in den 1990er-Jahren waren die westlichen Grenzen Russlands nicht gerade unangreifbar: Sie wurden nur von der 20. allgemeinen Gardearmee bewacht. Und die intensive Nato-Osterweiterung in den 2000er-Jahren zeugte klar und deutlich davon, dass man über dem Großen Teich das bestens verstand.
Die allmähliche Verbesserung der Situation begann erst nach dem „Fünftagekrieg“ gegen Georgien im August 2008. Nach dem Beginn einer umfassenden Militärreform und der Verabschiedung des staatlichen „Rüstungsprogramms-2020“ im Jahr 2011 bekamen die russischen Streitkräfte wieder beträchtliche Finanzmittel. Das Militärverwaltungssystem wurde komplett umgekrempelt: Die Zahl der Militärbezirke wurde auf vier reduziert (abgesehen vom Vereinigten Strategischen Kommando „Nordflotte“). Die Bildung von vereinigten Gruppierungen allgemeiner Armeen, Flotten sowie Flieger- und Luftabwehrkommandos nach dem Territorialprinzip gestattete es, ihre Gefechtsmöglichkeiten wesentlich zu verbessern, und zwar durch die Kürzung der Zeit ihres Reagierens auf Krisensituationen und die Aufstockung ihrer gemeinsamen Schlagkraft. Und als erster wurde gerade der Militärbezirk West gebildet.
400 000 Soldaten
Der Militärbezirk West, dessen Stab sich in St. Petersburg befindet, vereinigt die früheren Militärbezirke Moskau und Leningrad sowie die Baltische Flotte. Seine Truppen (insgesamt 400 000 Soldaten) sind in drei Föderalbezirken (Nordwest, Mitte, Wolgaland) stationiert. Im Falle eines Krieges würden dem Kommando des Militärbezirks West die Innentruppen des Innenministeriums, die Grenzschutztruppen des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) und die Truppen des Zivilschutzministeriums unterstellt. Im Zuständigkeitsbereich dieser riesigen Gruppierung, die zahlenmäßig größer als die Streitkräfte jedes europäischen Landes ist, würden 29 Regionen und mehr als 3700 Kilometer der russischen Staatsgrenze liegen.
Die Basis des Militärbezirks West bilden die 6. und die 20. allgemeine Gardearmee und die 2014 wieder ins Leben gerufene 1. Garde-Panzerarmee. Den Himmel verteidigt die 6. Armee der Luft- und Luftabwehrkräfte. Und die Marine ist durch die Baltische Flotte vertreten. Dem Militärbezirk West sind drei Divisionen, eine Brigade und ein selbstständiges Regiment der Luftlandetruppen unterstellt, wie auch Spezial- und Aufklärungskräfte.
Wie in den Sowjetzeiten, bekommen die im Westen des Landes stationierten Truppen als erste die besten Waffen samt Militärtechnik. Unter anderem erhielten die 2. motorisierte Garde-Schützendivision „Taman“ und die 4. Garde-Panzerdivision „Kantemirow“ als erste die neuesten Panzer T-14 „Armata“. Es wird erwartet, dass diese Truppenverbände bis 2020 die neuste Technik erhalten werden. Im vorigen Jahr wurden sie schon mit modernisierten Panzern T-72B3, Selbstfahrlafetten und Mehrfach-Raketensystemen „Tornado-G“ verstärkt.
Friedlicher Himmel
Der Militärbezirk West verfügt über die landesweit (möglicherweise auch weltweit) stärkste Luftabwehrgruppierung. Nach Angaben aus offenen Quellen sind hier mehr als 20 Divisionen von S-400-Raketenkomplexen aufgestellt, die genauso wie S-300PM-Raketen als erste mögliche Luftangriffe abwehren sollen. Sollte es dem Gegner gelingen, die erste Abwehrreihe zu überwinden, werden gegen ihn Mittelstrecken-Raketenkomplexe S-300PS und S-350 „Witjas“ eingesetzt. Und die übrig gebliebenen Flugzeuge und Marschflugkörper werden dann von Kurzstreckensystemen „Panzyr-S1“ endgültig vernichtet. Notfalls könnte diese ganze Gruppierung durch die Luftabwehrkräfte des Heeres zusätzlich verstärkt werden, die über Komplexe S-300V, Buk-M2, Tor-M2 usw. verfügen. Gerade ihre Stationierungsorte wollen die zahlreichen Aufklärungsflugzeuge der Nato herausfinden, die in der Nähe der russischen Grenzen fliegen.
Auch die Fliegerkräfte des Militärbezirks West werden mit neuer Technik versorgt. Die 6. Armee der Luft- und Luftabwehrkräfte erhält Kampfjets Su-35 und Su-30SM, Lehrgefechtsflugzeuge Jak-130, Frontbomber Su-34, Kampfhubschrauber Ka-52 und Mi-28. Die Piloten der im Militärbezirk West stationierten Maschinen üben ständig, wie sie eventuell ihre Technik aus der Schusslinie führen sollen. In der Anfangsphase jedes Konflikts wird gerade die Flugtechnik zum Ziel Nummer eins. Deshalb ist die permanente Präsenz der Nato-Aufklärungsflugzeuge in der Nähe der russischen Grenzen auch positiv für die russische Seite, weil ihre Fliegerkräfte ständig in „Topform“ bleiben.
Wichtig ist, darauf zu verweisen, dass auch die militärische Infrastruktur, die in den frühen 1990er-Jahren verfallen war, inzwischen schrittweise wiederhergestellt wird. Es ist beispielsweise bekannt, dass auf dem Territorium des Militärbezirks West bis 2019 fünf neue Arsenale für komplexe Raketen-, Munitions- und Sprengstofflagerung in Betrieb genommen werden sollen. Darüber hinaus werden in verschiedenen Regionen des Militärbezirks moderne Übungsplätze, Übungszentren und Militärstädtchen gebaut. Russlands Nachbarn fühlen sich bedroht und reden ständig von einer angeblichen „russischen Gefahr“. Aber Russland bemüht sich lediglich um die Wiederherstellung der „Schutzmauer“, die in den 1990er-Jahren quasi abgerissen wurde, aber lebenswichtig für seine nationale Sicherheit ist.