Zu deinem Vergleich mit Südafrika. Das erinnert stark an die Diskussionen in Jugoslawien, die bei Srebrenica nicht von einen Genozid sprechen wollen, weil dieser nicht die gleichen Ausmaße hatte wie der Völkermord an die Juden, folglich beides nicht gleichzustellen ist.
Die gleiche Diskussion daher auch in Bezug auf Israel, inwiefern man hier von einem Apartheidstaat sprechen kann, weil es ja offensichtlich keine beschilderten Parkbänke in Israel gibt, die es den Palästinensern nicht erlaubt sie zu benutzen.
Vorneweg, der Begriff Apartheid ist vom internationalen Gerichtshof klar definiert und enthält drei Zentrale Elemente:
- Die Absicht, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere aufrechtzuerhalten
- Der Kontext einer systematischen Unterdrückung einer marginalisierten Gruppe durch eine dominante Gruppe
- Inhumane Akte
So, wie sieht nun der Status quo in Israel aus:
- Israel definiert sich selbst per se als jüdischer Staat
- Israels Einwanderungspolitik bevorzugt per Gesetz eine bestimmte Gruppe
- es ist allen Ehren wert, dass die verbliebenen 20% der Palästinenser, oder wie es offiziell heißt arabische Israelis, ein Wahlrecht und die theoretische Chance haben hohe Ämter zu beziehen. Die Realität sieht wie folgt aus: rückkehrende Juden nach Israel erhalten automatisch die israelitische Staatsbürgerschaft. Ein Palästinenser aus Gaza, Ost-Jerusalem oder der West-Bank ist die Staatsbürgerschaft per se untersagt. Nicht einmal über eine Familienzusammenführung, also anders als im internationalen Kontext, steht einem Palästinenser aus der Palästinensergebieten des Recht zu Israeli zu werden, in dem er einen israelischen Staatsbürger heiratet. Das ist per se schon rassistisch, da Beziehungen zwischen arabischen Israelis und Palästinensern x-Fach häufiger vorkommen als Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern. Über die nächsten Jahrzehnte droht damit die Zahl der arabischen Israelis immer weiter zu schrumpfen
- Israelis steht es jederzeit zu Ost-Jerusalem zu besuchen. Arabischen Israelis und Palästinensern nicht.
- Baugenehmigungen für Israelis werden regelmäßig erteilt, selbst in den Palästinensergebieten, was ein klarer Verstoß gegen die UN-Statuen eines Zwei-Staaten-Ziel ist
- Baugenehmigungen für Palästinenser werden regelmäßig angelehnt
- Juden ist es per Gesetz ermöglicht, dass sie ihr verlorenes Grundeigentum zurückerlangen können
- Palästinenser haben keine Möglichkeit ihr verlorenes Grundeigentum zurückzuerlangen. Es geht aber weiter, Abwesenheitsgesetze, die nur für Palästinenser gelten, sehen es vor, dass bei Abwesenheit (ob auf Flucht vor Krieg oder de facto Gefangenschaft in den Palästinensergebieten) ihren Grundbesitz verlieren
- Genau wie israelische Araber müssen auch ultra-orthodoxe Juden keine obligatorischen Wehrdienst leisten; damit müsste für die letzte Gruppe die gleichen Regeln gelten, dass sie aus den sozialen Töpfen (Wohngeld, Kindergeld, Unterstützung in Familiengründung) rausfliegen - dem ist aber nicht so.
- Ganze Straßen und Highways in den Palästinensergebieten existieren, die von den Palästinensern nicht benutzt werden dürfen. Eine bewusste Straßenplanung hat ihre Ländereien so zerteilt, dass sie sich dort nicht mehr frei bewegen können.
- die Existenz israelischer Soldaten in den Palästinensergebieten ist per Gesetz darauf ausgelegt, dass sie nur die Siedler vor Übergriffen von den Palästinenser zu schützen haben - nicht aber die Palästinenser vor dem Übergriffen der Siedler
- Palästinensischen Polizisten ist der Zutritt in bestimmten Zonen in den Palästinensergebieten untersagt, folglich sind die dort lebenden Palästinenser schutzlos
- Juden und Siedler haben sich vor dem Zivilgericht zu stellen
- Palästinenser müssen sich vor dem Militärgericht stellen
- usw.
Welcher der drei zentralen Bestandteile eines Apartheidstaates soll hier nun nicht genau zutreffen? Palästinenser werden nicht nur nicht nur im Alltag regelmäßig Schikanen ausgesetzt und per Gesetz benachteiligt, sondern sie sind auch unerwünscht. Und es macht nichts besser, wenn die Chinesen oder Saudis mit ihren eigenen Minderheiten so schlecht umgehen. Daneben gibt es auch Länder wie den Iran oder Libyen, die für weniger Vergehen bis in die Steinzeit sanktioniert oder bombardiert wurden.
Es ist nämlich kein Wunder, dass Israel zusammen mit Australien, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Neuseeland, die Niederlande, UK und die USA nicht der Konvention der UN beigetreten ist, die Apartheid ausdrücklich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuft.
Und zum Thema Selbstmordattentate; hier ist es natürlich auch einfach auf die Bösen und Armen zu zeigen. Zur beidseitigen Münze gehören aber auch die Massaker mit dreistelligen Todesopfern durch die zionistischen Gruppierungen wie der Irgun, der Lechi oder Hagana, die sich später u.a. in die Cherut-Partei umformten und in Netanyahus Likud-Partei übergangenen ist, als auch die Massaker durch israelische Einzeltäter wie in den Moscheen Hebrons oder Jerusalems mit zweistelligen Todesopfern.
Nochmal, weder befürworte ich eine Intervention in Israel, noch bestreite ich ihr Recht an einer Heimat. Ihre Politik, und die Duldung ihrer Politik, insbesondere seit dem skrupellosen Netanyahu zielt ab die Palästinenser Jahr für Jahr immer weiter zurückzudrängen, obwohl sie genauso ein Recht haben in Frieden zu leben. Es ist eine sinnbildliche Politik über den arroganten Umgang des Westens mit Nicht-Weißen vor allem mit Arabern und Muslimen. Es wäre allen geholfen, wann man sich nicht hinter Theorien und Umschreibungen versteckt und weg vom Narrativ kommt des friedvollen Israelis, der von bösen Arabern dauernd angegriffen wird.
Oder in den Worten des jüdischen Intellektuellen Omri Böhm, der selbst bei seinem Geburtsland Israel von einem Apartheidstaat spricht und vor einer ethnischen Säuberung warnt:
https://www.derstandard.de/story/20...l-eine-zweistaatenloesung-wird-es-nicht-geben
Ich werde gerne nochmals auf deine Punkte eingehen, wobei du meiner Meinung nach den ganzen Konflikt im Stile eines Noam Chomsky einseitig schilderst, aber das kannst du gerne als Kompliment ansehen. Jede Analogie zwischen den Palästinensern in Israel heute und den Schwarzen in Südafrika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verharmlost nicht nur die Schrecken der Apartheid, sondern nährt genau den Hass, gegen den sie angeblich gerichtet ist, aber gut, in einer Diskussion scheint es bei historischen Vergleichen auch inzwischen keine Grenzen mehr zu geben.
Es fällt halt auf, dass oft inflationär das Wort "Rassismus" benutzt wird. Es sei gesagt, dass Aufstachelung zum Rassismus in Israel unter Straftat steht. Dies ist das polare Gegenteil der Apartheid in Südafrika, dessen Regierung ausdrücklich Gesetze zur Aufstachelung zum Rassismus verabschiedete. Wir können das Vergleichs-Spiel gerne weiter fortführen.
Nehmen wir mal dein Gesetz Beispiel mit den Rückkehrern dass du als rassistisch und eine israelisch-jüdische Besonderheit abstempelst. Ich weiss nicht ob dir bewusst oder bekannt ist, dass ähnliche Gesetze in vielen Demokratien bereits längstens in Kraft sind, besonders in solchen mit einer grossen Diaspora wie beispielsweise Mexiko, Irland, Finnland, Griechenland, Polen, Deutschland, Italien und sogar das kleine Dänemark. Solche Gesetze, die ausdrücklich durch die Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1965 Nationen erlaubt, bestimmte Gruppen für die Staatsbürgerschaft zu bevorzugen, vorausgesetzt, dass es keine Diskriminierung gibt, die auf eine bestimmte Gruppe abzielt. Natürlich sieht die Realität oft anders aus, aber es ist kein rassistisch verankertes Gesetz.
Nochmals, die Araber in Israel sind vollwertige Bürger. Entscheidend hierfür ist, dass sie das Wahlrecht haben und israelische arabische Abgeordnete im Knesset-Parlament sitzen. Es ist auch keine Neuigkeit dass bereits Araber Brigaden der israelischen Armee kommandiert haben; andere leiten Universitätsabteilungen etc. Juden und Araber fahren mit denselben Zügen, Taxis und - ja - Bussen. Universitäten, Theater, Kinos, Strände und Restaurants sind für alle offen.
Versteh mich nicht falsch, natürlich werden israelische Araber - palästinensische Bürger Israels - in vielen Lebenslagen immer noch diskriminiert, vor allem bei strengen Einschränkungen bei der Landnutzung. Ihre im Allgemeinen schlechteren Schulergebnisse bedeuten eine geringere Zugangsrate zu höherer Bildung, was sich auf Arbeitsplätze und Einkommensniveau auswirkt. Arabische Bürger Israels sind zutiefst (zurecht) verärgert über Israels "Rückkehr-Gesetz", das besagt, dass ein Jude irgendwo auf der Welt nach Israel einwandern kann, Araber aber nicht. Einige mögen argumentieren, dass die jüdische Mehrheit das Recht hat, eine solche Politik durchzusetzen, so wie Saudi-Arabien und andere muslimische Staaten das Recht haben, keine Christen als Bürger zuzulassen.
Ein Hauptfaktor, der die Ungerechtigkeit verursacht, ist, dass die meisten israelischen Araber nicht in der Armee dienen. Während sie von der dreijährigen und gefährlichen Wehrpflicht für Männer (zwei Jahre für Frauen) und dem jährlichen Reservedienst, der bis in die 40er Jahre andauert, verschont bleiben, erhalten sie nach der Armee keine Vergünstigungen bei der Wohnungssuche und dem Universitätsstudium, ist natürlich ein grosser und entscheidender Nachteil, ohne Frage. Dies ist aber komplizierter als auf den ersten Blick. Die meisten Araber in Israel sind Muslime, und nur wenige nehmen die Möglichkeit des Zivildienstes mit der gleichen Bezahlung wie Nicht-Kampfsoldaten in Anspruch. Drusische Araber sind wie bereits erwähnt jedoch seit jeher wehrpflichtig, genau wie Juden, und viele haben hohe Ränge in der Armee; beduinische Araber sind nicht wehrpflichtig, sondern melden sich freiwillig.
So kehren wir wieder zum direkten Vergleich zurück, bzw. wie lässt sich das mit dem "alten Südafrika" vergleichen? Unter der Apartheid war jedes Detail des Lebens einer gesetzlichen Diskriminierung unterworfen. Schwarze Südafrikaner hatten schlicht kein Wahlrecht. Die Hautfarbe (!) bestimmte, wo man geboren wurde und lebte, welchen Job man hatte, welche Schule man besuchte, welchen Bus, Zug, Taxi und Krankenwagen man benutzte, welche Parkbank, welche Toilette und welchen Strand, wen man heiraten durfte und auf welchem Friedhof man begraben wurde. In Israel ist das nicht im Entferntesten so. Alles ist offen für Veränderungen in einer verworrenen Gesellschaft, in der viele Menschen Missstände haben, auch Mizrahi Juden (aus dem Nahen Osten) oder Juden äthiopischer Herkunft. Wer also Israel mit Apartheid gleichsetzt, sagt schlicht nicht die Wahrheit.
Dein Punkt mit Westjordanland. Im Westjordanland beginnt die heutige Geschichte mit dem Sechstage-Krieg von 1967: Israel "glaubte" den ägyptischen und syrischen Drohungen mit einer Invasion und schlug zuerst zu. Jordaniens König Hussein sprang ein und griff Israel an. Zum allgemeinen Erstaunen besiegte Israel Jordaniens berühmte arabische Legion und vertrieb sie aus Jerusalem und dem Westjordanland (der Gazastreifen war auch dabei - aber der Gazastreifen ist eine Geschichte für sich). Da spielen (leider) auch religiöse Komponente eine Rolle.
Die Israelis betrachteten (heute natürlich nicht mehr, da Jordanien auch ein amerikanischer Verbündeter ist) das eroberte Westjordanland nicht nur als lebenswichtigen Puffer gegen einen weiteren jordanischen Angriff, sondern es traten auch religiöse Überzeugungen in den Vordergrund - einschliesslich derer, die dieses Gebiet als das alte Kernland ansahen, das biblische Judäa und Samaria, das den Juden von Gott gegeben wurde und das erhalten werden musste. Natürlich wurden dort viele Siedlungen gebaut, in denen heute etwa 400.000 Juden leben, plus weitere 200.000 in Ost-Jerusalem. Viele sind wegen der sauberen Luft und des guten Lebens dort, aber im Mittelpunkt steht der messianische Eifer. Die Siedler selbst werden von vielen Israelis abgelehnt; aber sie geniessen Unterstützung, und die Regierung leitet Millionen von Dollar an sie weiter, legal und illegal. Niemand sagt dass dies zu begrüssen ist, ich auch nicht.
Trotzdem wurden grosszügige israelische Angebote gemacht, verschiedene Gebiete für den Frieden aufzugeben (1967, 1978, 2000) - nur um auf palästinensische Verweigerung und Ablehnung zu stossen. Darüber hinaus ist das Westjordanland nicht dem israelischen Recht unterworfen, wie es in den 1993 vom verstorbenen Palästinenserführer Arafat unterzeichneten Osloer Verträgen steht. Ihre Gerichte, Gesetze, Steuern, Polizei usw. stehen im grössten Teil des Westjordanlandes unter palästinensischer Gerichtsbarkeit, während Gaza nicht "besetzt" ist und vollständig unter der Kontrolle der Terrororganisation Hamas steht. Apropos, selbst während israelisch-palästinensischer Konflikte erhalten Palästinenser in israelischen Krankenhäusern eine erstklassige Behandlung. Während der Apartheid erhielten Schwarze nur einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Das Hineinziehen des Reizwortes "Apartheid" ist nicht nur falsch, sondern schafft Verwirrung und lenkt vom Hauptthema ab. Was oft missverstanden wird und du oben auch geschrieben hast ist, dass die Palästinenser der Westbank keine israelischen Staatsbürger sind und eine Erlaubnis brauchen, um die Grenze zu überqueren. Knapp unter 100'000 kommen jeden Tag legal nach Israel, um zu arbeiten, weitere Tausende kommen illegal. Sie passieren die Sicherheitsbarriere, die teilweise aus einer Mauer, aber hauptsächlich aus Zäunen besteht.
Israel hat Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten geschlossen, was seine Bereitschaft zeigt, kalkulierte Risiken einzugehen, um Frieden zu erreichen. Die PA und die Hamas hingegen weigern sich, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, was den Rückzug Israels aus den Gebieten erschwert, da sie Kompromisse und gegenseitige Akzeptanz ablehnen. Ausserdem haben Nicht-Weisse nie die Zerstörung Südafrikas angestrebt, sondern das Ende der Apartheid. Die UNO hat diese israelischen Friedensabkommen anerkannt, gebilligt und verwaltet - was diesen Bemühungen internationale Legitimität verleiht.
Noch zum Schluss zum aktuellen Konflikt in Ost-Jerusalem: Natürlich ist die Zwangsräumung eine Schande und gehört verurteilt. Das Recht, dieses Land zu besitzen, wird von einer Gruppe von Israelis auf der Grundlage eines Dokuments aus dem Jahr 1885 beansprucht, mit dem sie angeblich von den osmanischen Behörden das Recht erhalten haben Häuser zu bauen und das umliegende Land zu bewirtschaften. In der Zwischenzeit erblickten mehrere ähnliche Dokumente das Licht der Welt. Da sie häufig im Widerspruch zueinander stehen, wurde das Problem der Echtheit und Glaubwürdigkeit dieser Dokumente nicht gelöst. Vor ca. 50 Jahren wurde ein Gesetz verabschiedet dass jedem Bürger Israels ermöglichte, Anspruch auf ein Land zu erheben, von dem er nachweisen kann, dass es bereits vor der Proklamation des Staates Israel (1948) von seinen Vorfahren gehalten wurde. Im Gegensatz dazu durften Palästinenser das Land, das sie vor 1948 besassen, nicht beanspruchen. Jerusalem ist ein heisses Pflaster und beide wollen nicht von ihrem Maximalziel abweichen und bedienen sich mit allen "Waffen" was zur Verfügung steht und natürlich haben die Israelis da mehr Werkzeuge in ihrer Hand.