05.11.2004
Palästinenser-Präsident Yasser Arafat zwischen Leben und Tod
Weiter Warten auf offizielle Informationen - Nachrichtenchaos über Arafats Zustand - Krisensitzungen im Westjordanland und Gaza - Palästinensische und Israels Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft
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Nächtliche Wache vor dem Krankenhaus in Clamart.
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Palästinenser-Präsident Jassir Arafat (Archivbild)
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Haaretz: "Arafat in coma, in critical condition"
Jerusalem Post: "Reports: Arafat in coma"
CNN: "Arafat in critical condition"
Clamart/Ramallah - Vor dem Militärkrankenhaus Percy bei Paris warten weiter Dutzende Reporter aus aller Welt auf eine offizielle Mittleiung über den Zustand des todkranken palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat. Dutzende Anhänger des 75-Jährigen beendeten am Freitagmorgen eine Nachtwache zu Ehren ihres "unsterblichen Symbols der Sache der Palästinenser".
Palästinensische Gesandte widerspricht: Arafats Zustand nicht unwiderruflich
Die palästinensische Gesandte in Frankreich, Leila Shahid, hat den Angaben französischer Ärzte widersprochen, bei Yasser Arafat sei der Hirntod festgestellt worden. Shahid sagte dem Radiosender RTL am Freitagmorgen, Arafat liege zwar im Koma, aber dieser Zustand sei nicht unwiderruflich. Am Donnerstag hatten Ärzte erklärt, Arafat liege in einem tiefen Koma und werde nur noch von Maschinen am Leben erhalten. Eine offizielle Bestätigung für einen Hirntod Arafats gab es bisher nicht. Die letzte offizielle Stellungnahme des Militärkrankenhauses stammt von Donnerstag.
Krisensitzung in Ramallah
Angesichts des offenbar bevorstehenden Todes von Präsident Yasser Arafat sind führende palästinensische Politiker in Ramallah im Westjordanland zu einer Krisensitzung zusammengekommen. Außenminister Nabil Shaath erklärte am Donnerstag, die Führung der Autonomiebehörde stehe in ständigem Kontakt mit dem Militärkrankenhaus bei Paris, in dem Arafat behandelt wird. In Gaza-Stadt treffen sich heute Delegierte von 13 verschiedenen Palästinenserorganisationen, um ein gemeinsames Handeln im Falle des Todes von Arafat abzusprechen.
Nachrichtenchaos
Um das Schicksal des PLO-Chefs rankte sich am Donnerstagabend ein beispielloses Nachrichtenchaos. Französische Ärzte und Ministerpräsident Ahmed Korei (Abu Ala) dementierten Berichte über den Tod Arafats. Arafats Berater räumten aber ein, dass der Zustand des Präsidenten sehr ernst sei. Dessen Leibarzt Ashraf Kurdi sagte, Arafat habe keinen Blutsturz oder Schlaganfall erlitten, und er sei nicht hirntot.
Gesichert scheint, dass Arafat am Donnerstag ins Koma fiel. Sein Zustand habe sich am Mittwoch dramatisch verschlechtert, und er habe mehrmals das Bewusstsein verloren, sagte ein ranghoher Vertreter der Palästinenser in Paris. Ein palästinensischer Vertreter sagte unter Berufung auf Arafats Frau Suha, ihr Mann sei nach Verabreichung eines starken Narkosemittels für eine Biopsie bewusstlos geworden. Er erhole sich davon aber wieder.
Ministerpräsident Korei übernimmt teilweise Arafats Befugnisse
Das PLO-Exekutivkomitee übertrug derweil Ministerpräsident Ahmed Korei die Befugnis zur Erledigung dringender Finanzangelegenheiten, die normalerweise in der Hand Arafats liegen. Korei und Shaath wollen am Freitag in den Gazastreifen reisen, um einen möglichen Gewaltausbruch zu verhindern, wie ein Mitglied der Autonomiebehörde mitteilte. In Kalkilya und dem Flüchtlingslager Balata bei Nablus demonstrierten insgesamt 2.000 Palästinenser zum Zeichen der Unterstützung Arafats.
Die Palästinenserführung rief die Bevölkerung zu Einigkeit und Standfestigkeit auf. Die Menschen sollten nicht auf Gerüchte über den Gesundheitszustand Arafats hören, sagte Arafats Chefberater Tayib Abdel Rahim in Ramallah.
Israelische Streitkräfte in Alarmbereitschaft
Die israelischen Streitkräfte wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Israel befürchtet beim Tod Arafats Ausschreitungen in den palästinensischen Gebieten. Ministerpräsident Ariel Sharon hat bereits angekündigt, er werde nicht zulassen, dass Arafat in Jerusalem beerdigt wird. Die jüngsten Entwicklungen standen am Donnerstag im Mittelpunkt einer wöchentlichen Sitzung der israelischen Sicherheitskräfte, an der auch Verteidigungsminister Shaul Mofaz teilnahm. Polizei und Armee wurden angewiesen, alles zu vermeiden, was Spannungen mit Palästinensern erzeugen könnte.
Nächtliche Wache für Yasser Arafat
Arafat war vergangenen Freitag aus Ramallah nach Paris gereist, um sich wegen einer mysteriösen Krankheit behandeln zu lassen. Am Donnerstagnachmittag stattete der französische Präsident Jacques Chirac Arafat einen Besuch ab. Vor dem Krankenhaus in Clamart harrten in der Nacht zum Freitag etwa 50 Menschen mit Kerzen und Arafat-Porträts aus. An einer Außenmauer der Klinik war eine große palästinensische Flagge befestigt.
Sollte entgegen den Dementis doch wie ursprünglich berichtet Arafats Gehirnaktivität völlig erloschen sein, wäre er bereits "klinisch tot". Der Hirntod wird nahezu weltweit von Medizinern und Juristen dem Individualtod gleichgesetzt. Es handelt sich dabei um den nicht mehr rückgängig zu machenden Ausfall des Großhirns und des Hirnstamms bei gegebenenfalls erhaltener Funktion anderer Organe - etwa für Transplantationszwecke. Definiert wird das Hirntod-Syndrom mit den Symptomen Koma, erloschene Hirnstammreflexe, Apnoe (Atemstillstand) und Null-Linien-EEG. (APA/AP/dpa)