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Sammelthread: Israel/Nahost-Konflikt

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28.10.2004



"Uns ist egal, wer die richtigen Schritte macht"
"Peace Now" unterstützt plötzlich Sharon
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Jerusalem/Wien - Es sei natürlich politisch eine "sehr komische Konstellation, wenn die israelische Friedensbewegung plötzlich ihren "alten Buhmann", Premier Ariel Sharon, unterstütze. "Aber uns ist es egal, wer die richtigen Schritte macht, solange sie gemacht werden", sagt der Generalsekretär der israelischen Friedensbewegung "Peace Now", Yari Oppenheimer, im Hinblick auf den Gaza-Abzugsplan des Premiers. Und er fügt, wie zur Beruhigung, hinzu, dass er Sharon auch weiterhin "nicht schätze und ihn nicht für einen Teil des Friedenslagers halte".

Falsche Illusionen über die Zeit nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen, macht sich der Friedensaktivist allerdings trotz seiner Unterstützung für Sharons Pläne nicht. Es werde aus Gaza weiterhin Angriffe gegen Israel geben und die Armee werde daraufhin, wie schon bisher, militärische Operationen durchführen, sagt Oppenheimer im Gespräch mit dem STANDARD voraus. "Durch die Räumungen wird es alles in allem weder für Israelis noch für Palästinenser mehr Sicherheit oder Frieden geben."

Aber allein die Tatsache, dass Siedlungen aufgelassen würden, sei "ein wichtiges Signal an das palästinensische Volk", und der Beginn der Abkehr von Israels Siedlungspolitik. Zusätzlich hofft Oppenheimer, könnte nach dem Abzug vielleicht auch der politische Dialog in der Region wiederbelebt werden. Einziger Kritikpunkt an dem Räumungsplan sei für "Peace Now", dass Sharon im Vorfeld der Umsetzung keinen Dialog mit der palästinensischen Führung suche. Trotz dieser Gesprächsverweigerung sei es aber die Pflicht der Autonomiebehörde, alles zu unternehmen, also vor allem für Sicherheit zu sorgen, um den Abzug zum Erfolg werden zu lassen.

Den Einwand, dass es - wie Dov Weisglass, enger Berater Sharons, formuliert hat - bei dem einseitigen israelischen Abzug vorrangig um die Torpedierung der Roadmap ginge, will der Friedensaktivist nicht gelten lassen: "Vielleicht will Sharon mit dem Abzug verhindern, dass Israel den Palästinensern weitere Zugeständnisse macht, aber die Beweggründe des Premiers sind nicht wichtig." Was zähle, sei, dass nach vier Jahren Stillstand wieder eine Seite aktiv werde, so Oppenheimer. (András Szigetvari/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.10.2004)
 
28.10.2004



Mandat für Sharon
Neun Jahre nach der Ermordung Rabins zeigt zum ersten Mal wieder ein israelischer Premier Leadership - von Gudrun Harrer



Man schwankt bei der inhaltlichen Beurteilung dessen, was in den vergangenen beiden Tagen im israelischen Parlament vor sich gegangen ist: War es nun die historische Stunde für Israel, die Ministerpräsident Ariel Sharon mit seiner Rede von Churchillschem Zuschnitt und Gewicht in der Knesset eingeläutet hat?

Oder war es nur ein Schritt, wenn auch ein bedeutender, auf einem Weg, von dem man nicht weiß, ob er auch zu einem Ziel führt? Nicht einmal die unmittelbare Zukunft lässt sich vorhersagen - Referendum, Neuwahlen, große Koalition? -, geschweige denn, welche Auswirkungen welche politische Konstellationen dann konkret auf Planung und Ausführung des Gaza-Abzugs hätte.

Und dann kommt noch der Unsicherheitsfaktor dazu, den die unbelehrbaren palästinensischen Extremisten darstellen: Ein Terroranschlag zur "rechten" Zeit, und Sharon könnte dem Eindruck vieler Israelis, aber auch der von der Hamas selbst verbreiteten Version, dass der israelische Abzug aus dem Gaza- Streifen einer "unter Feuer" wäre, nichts mehr entgegenhalten - und müsste letztlich verzichten.

Alles das ist unbestreitbar, trotzdem wiegt das Parlamentsvotum von Dienstagabend schwer: Die Knesset hat Sharon das Mandat gegeben, das ihm seine eigene Partei verweigerte, und es fiel deutlicher aus als erwartet: Abgeordnete, die dagegen stimmen wollten, enthielten sich (die Araber, das heißt, Sharon bekam sogar eine "jüdische Mehrheit"), andere, die sich eigentlich enthalten wollten (die gemäßigten Likud-Rebellen rund um Benjamin Netanyahu), stimmten mit Ja.

Netanyahus Performance war schwach - aber vor allem war Ariel Sharon stark. Und man kann seine politischen Absichten einschätzen, wie man will, eines ist sicher: Neun Jahre nach der Ermordung Yitzhak Rabins - fast auf den Tag genau - zeigt zum ersten Mal wieder ein israelischer Premier Leadership, versucht dem tagespolitischen Taktieren zu entkommen und schlägt eine längerfristige Strategie vor.

Um dieser Strategie Willen musste Sharon über seinen fast übermächtigen Schatten springen: Dass er, jahrelang Schutzherr der Siedler, derjenige israelische Premier sein soll, der den Gaza-Streifen und Siedlungen im Westjordanland aufgibt (auch wenn es nur einige wenige, quasi unhaltbare, sind), hat noch immer des Nimbus des schier Unglaublichen.

Schon allein, weil Sharons Wandlung anders nicht zu begreifen ist, neigt man der Meinung zu, dass er folgendes beabsichtigt: mit quasi einem Befreiungsschlag alle viel früher begonnenen politischen Entwicklungen zu stoppen, die in Richtung Palästinenserstaat mehr oder weniger entlang der Grünen Linie von 1967 laufen. Gaza wäre ja trotzdem alles andere als "frei".

Und die Zeit würde für Israel arbeiten, wenn nach einem Gaza-Abzug das Westjordanland für lange eingefroren würde (wobei die Entwicklung der Siedlungen natürlich weiter ginge). Signifikanterweise sind jedoch die rechten Gegner des Gaza-Planes und die linken Befürworter derselben Meinung: Wenn erst einmal jüdische Siedlungen auch auf dem Territorium des "biblischen" Israels aufgegeben würden, dann wäre das ein Dammbruch, weitere Räumungen würden folgen.

Schwer umzugehen ist mit dem unguten Gefühl, das viele ganz normale Israelis plagt, nämlich, dass es sich beim Gaza-Abzug um einen Sieg des palästinensischen Terrorismus handelt. Dass die Intifada durch den Triumph der Hisbollah nach Israels durchaus vernünftigem Südlibanon-Abzug im Jahr 2000 ermutigt wurde, ist eine ärgerliche Tatsache. Aber zumindest Sharon ist sein Plan so wichtig, dass er darüber hinwegsieht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.10.2004)
 
28.10.2004



Israel arbeitet Notfallplan für "Tag nach Arafat" aus
Streitkräfte befürchten Unruhen in den Autonomiegebieten



Jerusalem/Ramallah - Israel trifft laut Medienberichten Vorbereitungen für den Fall, dass der palästinensische Präsident Yasser Arafat stirbt. Wie das israelische Radio am Donnerstag meldete, arbeiten die Streitkräfte einen Notfallplan aus, um auf mögliche Unruhen im Westjordanland und im Gaza-Streifen reagieren zu können. Arafats Gesundheitszustand ist nach offiziellen palästinensischen Angaben äußerst kritisch. Kommunikationsminister Assam al Ahmed sagte dem arabischen TV-Nachrichtensender "Al Jazeera" (Katar): "Wir bereiten uns auf alles vor."

Aus dem Büro des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon verlautete, die Palästinenser hätten Israel gebeten, ausländischen Ärzten den Zugang zu Arafat zu erlauben. Sharon habe die Sicherheitskräfte angewiesen, die medizinische Versorgung Arafats zu erleichtern. Israel werde auch erlauben, dass der 75 Jahre alte palästinensische Präsident zur Behandlung ins Ausland gebracht werde.

"Tag nach Arafat"

Bereits im Juli hatte die israelische Regierung Pläne für den "Tag nach Arafat" ausgearbeitet. Nach den bekannt gewordenen Richtlinien will Israel die Beisetzung Arafats auf dem Jerusalemer Tempelberg verhindern. Sein Leichnam solle in dem Jerusalemer Vorort Abu Dis begraben werden.

Die USA hatten Sharon im April vor jedem Versuch gewarnt, seine Tötungsdrohungen gegen Arafat zu realisieren. Ebenso müsse Israel von einer Zwangsexilierung Arafats Abstand nehmen, hatte das Weiße Haus erklärt. Sharon hatte zuvor seine Todesdrohungen gegen Arafat erneuert; er sagte, dass das den USA gegebene israelische Versprechen, dem palästinensischen Präsidenten keinen "physischen Schaden" zuzufügen, nicht mehr gelte. Das israelische Sicherheitskabinett hatte im September 2003 "im Prinzip" beschlossen, sich Arafats zum gegebenen Zeitpunkt zu "entledigen". Sicherheitsminister Tzahi Hanegbi hatte bestätigt, dass sich Sharon gegenüber der US-Regierung verpflichtet habe, die "physische Integrität" Arafats nicht anzutasten. Dies habe Präsident George W. Bush persönlich von ihm verlangt. Sharon selbst hatte wiederholt öffentlich Bedauern darüber ausgedrückt, dass Israel Arafat nicht während des Libanon-Krieges 1982 in Beirut "liquidiert" habe. (APA/AP)
 
28.10.2004


Minister stellen Sharon Ultimatum
Krise im israelischen Kabinett - Premier lehnt Referendum über Abzugsplan aus dem besetzten Gaza-Streifen ab

Siedler-Gebete vor der Knesset: erst einmal wurden sie nicht erhört, das Ja zum Gaza-Plan Sharons war deutlich.

Ben Segenreich aus Tel Aviv




Israels Premier Ariel Sharon blieb ruhig, als Benjamin Netanjahu vor dem Votum über den Gaza-Rückzug den Parlamentssaal verließ: Bibi kam zurück und stimmte mit Ja. Aber er will zurücktreten, falls Sharon nicht einem Referendum zustimmt.


***

Als "Gulliver unter Zwergen" feierte die linksorientierte Tageszeitung Ha'aretz, die Ariel Sharon traditionell alles andere als freundlich gesinnt ist, den israelischen Premier, der nicht nur eine überwältigende parlamentarische Zustimmung für seinen "historischen Abtrennungsplan" eingefahren, sondern dabei auch seinem parteiinternen Rivalen Benjamin Netanjahu eine Lektion im Pokern erteilt hatte.

Das über Erwarten deutliche Ergebnis von 67 zu 45 Stimmen für den Abzug aus dem Gazastreifen hat aber zugleich die Regierungskoalition des großen Siegers weiter ausgehöhlt, sodass es weiter ungewiss bleibt, ob und wann der Plan ausgeführt werden kann – eine lange Verzögerung durch Neuwahlen oder eine Volksabstimmung ist durchaus möglich.

Finanzminister Netanjahu und drei weitere einflussreiche Regierungsmitglieder, die alle gegen den Rückzug sind und eine Volksabstimmung fordern, waren bei einer ersten Runde des Parlamentsvotums plötzlich nicht mehr im Saal. Mit der Stimmenthaltung riskierten sie ihre Entlassung, zugleich war die Mehrheit für Sharons Plan in Gefahr.

Doch der Premier blieb stoisch auf seinem Platz und ließ sich nicht dazu erpressen, im letzten Moment doch noch eine Volksabstimmung zu versprechen – und Minuten später waren die "Verschwörer" doch wieder da, schluckten ihren Stolz herunter und stimmten brav mit "Ja".

Die Krise schwelt aber weiter, weil Netanjahu gleich darauf schwitzend vor den Live- kameras stand und eine Art Ultimatum an Sharon deponierte. Binnen 14 Tagen müsse man sich auf eine Volksabstimmung einigen, sonst würden die Minister für Finanzen, Erziehung, Gesundheit und Landwirtschaft geschlossen zurücktreten.

Niemand wolle Sharon zu Fall bringen, aber der Rückzugsplan müsse in einer Weise vorangetrieben werden, dass "es keinen Riss im Volk gibt und der Likud nicht in Stücke zerfällt". Dies sei nur durch eine Volksabstimmung möglich.

Ministerentlassungen

In der Tat hat der Plan, der die Auflösung von Siedlungen vorsieht, Sharons Partei tief gespalten. Nicht weniger als 17 der 40 Likud-Abgeordneten haben gegen ihren eigenen Chef gestimmt, darunter auch ein Minister und ein Vizeminister, denen Sharon noch in der Nacht Entlassungsbriefe schickte.

Zudem droht auch die kleine National-Religiöse Partei, die als Anwältin der Siedler gilt, aus der Koalition auszusteigen, falls Sharon nicht binnen 14 Tagen in eine Volksabstimmung einwilligt.

In Sharons Umfeld hieß es aber, dass er im äußersten Fall Neuwahlen vorziehen würde: "Der Ministerpräsident will von einer Volksabstimmung nichts wissen, es gibt keine Volksabstimmung, und es wird keine geben."

Die Mehrheit für den Rückzugsplan war nur dadurch zustande gekommen ist, dass die Linksopposition dem rechten Premier half. Doch die immer wieder angesteuerte große Koalition mit der Arbeiterpartei wird gegen die Likud-Rebellen nur schwer durchzusetzen sein, und in dem wachsenden parlamentarischen Chaos wird Sharon längerfristig nicht weiterregieren können.

Vorläufig bleibt der Exgeneral auf seiner Marschroute. Schon nächste Woche soll in erster Lesung das Gesetz beschlossen werden, dass die Modalitäten der Siedlungsräumung festlegt – etwa die finanziellen Abfindungen für das zurückgelassene Hab und Gut und den Strafrahmen für jene, die Widerstand leisten.

Und die nächste Zerreißprobe ist angesagt, wenn der Budgetentwurf ins Parlament kommt, präsentiert von Finanzminister Netanjahu ungefähr zu dem Zeitpunkt, für den er seinen Rücktritt angedroht hat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.10.2004)
 
28.10.2004


Arafats Frau fliegt aus Paris nach Ramallah
Premier Korei und PLO-Chef Abbas eilten zu Arafats Krankenbett
Jerusalem - Der israelische Rundfunk meldete am Abend, Arafats Frau Suha wolle aus Paris anreisen und werde am morgigen Donnerstag in Ramallah erwartet. Suha, die 34 Jahre jünger als Arafat ist, wohnt zusammen mit der gemeinsamen Tochter in Frankreich. Das Paar lebt seit Beginn des Palästinenseraufstandes im Herbst des Jahres 2000 getrennt.

Nach Angaben von Mitarbeitern der palästinensischen Autonomiebehörde eilten der stellvertretende PLO-Chef Mahmud Abbas und Ministerpräsident Ahmed Korei an das Krankenbett des Palästinenserpräsidenten. Die Sicherheitskräfte wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Sämtliche Mitglieder der palästinensischen Sicherheitsdienste seien aufgerufen worden, sich umgehend auf ihre Posten zu begeben, sagte ein Palästinenservertreter der Nachrichtenagentur AFP. "Die Lage ist ernst, wir müssen morgen prüfen, was auf der Ebene der palästinensischen Führung zu tun ist", sagte der Palästinenservertreter. (APA/dpa)
 
28.10.2004




Widersprüchliche Angaben zu Arafats Gesundheitszustand
Israelischer Rundfunk: Palästinensischer Präsident hatte Bewusstsein verloren, Arafat-Berater dementiert - Dreiköpfiges Komitee übernimmt Regierungsgeschäfte

Arafat auf einem Archivbild.

Zum Vergrößern
Das Hauptquartier des palästinensischen Präsidenten Yassier Arafat Mittwoch Nacht.

Links
Jerusalem Post

Haaretz

Maariv

CNN: "Mixed reports on Arafat's health"




Ramallah - Zum Zustand des schwer erkrankten Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat hat es am Donnerstag unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Angaben gegeben.

Arafat habe am Morgengebet teilgenommen, sagte ein Palästinenser-Vertreter. "Er sah sehr müde und schwach aus, aber er hat es geschafft, zu beten", sagte er. Aus Ärztekreisen hieß es dagegen, Arafat sei zeitweise bewusstlos und erscheine verwirrt und orientierungslos. Nach Angaben aus anderen Palästinenser-Kreisen war der 75-Jährige nicht in der Lage, etwas zu essen oder zu trinken, weshalb er intravenös ernährt wurde. "Er ist immer noch in einem sehr ernsten Zustand und ruft nach seiner Frau", hieß es am Morgen. Arafats Ehefrau Suha macht sich erstmals seit Jahren von Paris aus auf den Weg nach Ramallah.

Arafat leidet seit vergangener Woche an Magenproblemen. Am Mittwoch allerdings verschlechterte sich sein Zustand deutlich. Dies weckte Befürchtungen, dass sein Tod zu einem offenen Machtkampf um seine Nachfolge führen würde. Arafat selbst hat keinen Nachfolger benannt.

b>Hassan Abu Libdeh: Arafats Zustand sehr kritisch

In israelischen Regierungskreisen wurde spekuliert, ob Arafat möglicherweise einen Schlaganfall erlitten haben könnte. Ein Leibwächter hatte berichtete, Arafat habe eine Suppe gegessen und sich dann übergeben müssen. Er sei daraufhin auf die Krankenstation seines Amtssitzes gebracht worden, wo er in Ohnmacht gefallen sei. Der Zustand des 75-Jährigen sei "kritisch", sagte das palästinensische Regierungsmitglied Hassan Abu Libdeh dem Fernsehsender CNN. Arafat habe sich von einer Grippeerkrankung in den vergangenen Tagen "nur sehr langsam erholt, einschließlich der vergangenen sechs Stunden, und jetzt ist er in einem kritischen Zustand", sagte Libdeh, der Bürochef von Ministerpräsident Korei.

Im Verlauf der Nacht hatte es aus dem Hauptquartier geheißen, die Ärzte kämpften um das Leben Arafats. Shubaki sagte, Arafat bestehe darauf, den Fastenmonat Ramadan einzuhalten und wollte keine Nahrung zu sich nehmen. Am Vormittag wurde in Ramallah ein Team jordanischer und ägyptischer Ärzte erwartet. Ministerpräsident Ahmed Korei kam am Donnerstagmorgen erneut in die Mukata, das Hauptquartier der palästinensischen Führung.

Korei und Abbas besorgt

Am Mittwochabend hatte sich die Führungsspitze in Arafats Hauptquartier versammelt. Ein Krankenwagen brachte ein Ärzteteam in das Gebäude, vor dem besorgte Anhänger und Journalisten in der Nacht ausharrten und auf Nachrichten warteten. Korei und Abbas besuchten den Kranken, verließen das Gebäude jedoch später mit ernsten Gesichtern.

Bereits seit Tagen Berichte über verschlechternden Gesundheitszustand Arafats

Bereits seit mehreren Tagen kursieren Berichte über einen sich verschlechternden Gesundheitszustand Arafats. Am Wochenende hatten tunesische Mediziner den palästinensische Präsidenten untersucht. Erstmals seit Beginn des Ramadans unterbrach der palästinensische Präsident am Dienstag auf Anraten seiner Ärzte das Fasten. Am Montag hatte sich der 75-Jährige einer Magenspiegelung unterzogen.

Israel: "In jedem Krankenhaus der Welt"

Der israelische Armeesender meldete unterdessen, Israel wolle Arafat angesichts seines kritischen Zustands eine Behandlung in "jedem Krankenhaus der Welt" erlauben. Verteidigungsminister Shaul Mofaz habe auch die Möglichkeit bekräftigt, Arafat in ein Krankenhaus in Ramallah zu transportieren. Nach Ansicht von Medizinern sei dieser aber nicht transportfähig.

Israels Außenminister Silvan Schalom bestätigte, dass sich Arafats Zustand erheblich verschlechtert habe, und ergänzte: "Es ist zu früh, um eine Lobrede auf ihn zu halten." Im israelischen Hörfunk stellte er fest: "Wir kennen den exakten Grund für seine Erkrankung nicht, ob es sich wirklich um eine Virusinfektion oder um einen bösartigen Tumor handelt, wie manche sagen."

Internationale Ärzteteams für den Palästinenser-Präsidenten

Ärzte aus den USA, Ägypten und Jordanien waren am Morgen unterwegs zu Arafats Amtssitz in Ramallah, in dem er seit zwei Jahren faktisch unter Hausarrest steht. Für den Notfall wurden auch Pläne erarbeitet, Arafat in ein Krankenhaus zu transportieren. Vertreter Israels sicherten zu, sie würden Arafat die Behandlung nicht verwehren, weder daheim noch im Ausland. Allerdings wäre seine Wiedereinreise nach seiner Genesung eine völlig andere Frage.

Vor Arafats Amtssitz versammelten sich hunderte Palästinenser. Minister Assam al-Ahmad sagte: "Sein Zustand ist stabil, aber es ist keine Verbesserung festzustellen. Er hat mit uns gescherzt. Er benötigt weitere Medikamente und Untersuchungen." Nach der Verschlechterung seines Gesundheitszustands war am Mittwochabend die gesamte Palästinenser-Führung in Arafats Amtssitz gerufen worden. Ein Sprecher dementierte aber einen Fernsehbericht, wonach Arafat ein aus drei Personen bestehendes Gremium ernannt hat, das ihn während seiner Erkrankung vertreten soll.

Dreiköpfiges Notfall-Komitee übernimmt Regierungsgeschäfte

Der arabische Sender Al-Dschasira hatte gemeldet, dem Komitee gehörten Ministerpräsident Ahmed Korei, der frühere Ministerpräsident Mahmud Abbas und Parlamentspräsident Salim al-Saanun an. Arafat genießt nach wie vor ein großes Ansehen unter den Palästinensern und wirkt zwischen den verschiedenen und teilweise miteinander rivalisierenden Gruppen als Integrationsfigur.

Seit mehr als vierzig Jahren kämpft Arafat an vorderster Front für einen palästinensischen Staat. Bisher konnte sich kein klarer möglicher Nachfolger etablieren. Nach palästinensischen Gesetzen würde im Falle seines Todes zunächst Parlamentspräsident Rawhi Fattuh für maximal 60 Tage zum Übergangspräsident der Autonomiebehörde.

Arafat war vor etwa zehn Jahren in die Palästinenser-Gebiete zurückgekehrt, nachdem die Palästinenser in den von Israel 1967 besetzten Gebieten eine teilweise Autonomie erhalten hatten. Zusammen mit den israelischen Politikern Izchak Rabin und Schimon Peres erhielt er den Friedensnobelpreis für den 1993 geschlossenen palästinensisch-israelischen Grundlagenvertrag. (APA/dpa/AP/red)
 
29.10.2004


Neunjährige im Gaza-Streifen getötet
Israelische Armeeoperation in Khan Yunis
Gaza - Israelische Soldaten haben am Donnerstag im südlichen Gaza-Streifen eine neunjährige Palästinenserin getötet. Aus palästinensischen Sicherheitskreisen verlautete, das Mädchen sei tödlich am Hals getroffen worden, als israelische Panzer ein Wohnviertel im Flüchtlingslager von Khan Yunis beschossen. Dabei seien auch mehrere Gebäude schwer beschädigt worden. Eine israelische Armeesprecherin sagte, man prüfe den Vorfall. (APA/dpa)
 
29.10.2004


Ärzte: Arafat hat zu wenige Thrombozyten
Leukämieerkrankung ausgeschlossen
Link
"Thrombozyten"

auf wikipedia



Ramallah - Das Blut des erkrankten palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat weist nach Angaben seiner Ärzte zu niedrige Thrombozytenwerte auf. Dafür könne es verschiedene Gründe geben, unter anderem eine Krebserkrankung, erklärten die Ärzte am Donnerstag.


Dass der Palästinenserpräsident an Leukämie leide, schlossen sie jedenfalls aus. Zur genaueren Abklärung seine weitere Untersuchungen nötig, die in Ramallah nicht verfügbar seien. Es war das erste Mal, dass sich die Mediziner offiziell zum Zustand Arafats äußerten.

Arafats Leibarzt Ashraf Kurdi sagte, es bestehe keine unmittelbare Lebensgefahr. "Sein Zustand ist gut, er ist in guter geistiger Verfassung", sagte Kurdi.

Thrombozyten tragen zur Blutgerinnung bei. Zu geringe Werte können von einer ganzen Reihe Gesundheitsproblemen verursacht werden, darunter blutende Geschwüre, Darmentzündungen, Blutkrebs wie Leukämie und Lymphom, Lebererkrankungen, Lupus und Windpocken. Auch eine Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten kann niedrige Thrombozytenwerte verursachen. (APA/AP)
 
29.10.2004




Diskussion um Arafat-Nachfolge
Kompromisslösung mit Abbas und Korei erwartet



Jerusalem - Yasser Arafat hat keinen Nachfolger "aufgebaut". Seine Schuhe sind so groß, dass kein Erbe sie problemlos füllen könnte. Nach der formalen Nachfolgeregelung müsste zunächst der nahezu unbekannte Parlamentsvorsitzende, Rawhi Fattuh, die Amtsgeschäfte übernehmen und Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen ausschreiben lassen. Als "starke Männer" gelten Mohammed Dahlan (43) in Gaza und Jibril Rajoub (51) im Westjordanland.

Abbas oder Korei wahrscheinlich

Wahrscheinlich könnten sich die Palästinenser nur auf einen Kompromisskandidaten einigen, den vorigen oder den jetzigen Ministerpräsidenten - Mahmud Abbas (Abu Mazen) (72) und Ahmed Korei (Abu Ala) (68) - zum Beispiel, damit die Autonomiebehörde nicht in zwei getrennte Gebiete zerbricht. Im israelischen Gefängnis sitzt mit mehrfacher lebenslanger Haft Marwan Barguti (45). Auch der wird gerne als Nachfolger gehandelt, aber noch gibt es keine Anzeichen, dass Israel ihn aus politischer Opportunität auf freien Fuß setzen könnte.

Mehrere Funktionen

Arafat trägt nicht nur den Hut des Präsidenten der Palästinenser im Westjordanland und Gaza-Streifen. Er ist auch Vorsitzender der PLO. Diese Organisation vertritt die Palästinenser in aller Welt, also auch die Flüchtlinge im Libanon oder Syrien sowie die Gastarbeiter in Kuwait, Irak und Saudiarabien. Alle diplomatischen Vertretungen der Palästinenser werden nicht von der Selbstverwaltungsbehörde betrieben, sondern von der PLO. Bei Friedensverhandlungen, unter anderem in Camp David im Sommer 2000, nutzte Arafat diese Doppelrolle, um Lösungsideen auszuschlagen, indem er argumentierte, nicht im Namen der Palästinenser im Exil oder gar der islamischen Welt entscheiden zu können.

"Vaterfigur" der "Tunesier"

Diskutiert wird auch die Kluft zwischen den so genannten "Tunesiern" (aus der Zeit des PLO-Exils in Tunis) und den "lokalen Kämpfern". Arafat galt für alle als integrative Vaterfigur. Aber direkt unter ihm halten letztlich jene PLO-Bonzen die Macht, die zusammen mit ihm aus dem Exil in Tunis zurückgekehrt sind, als Israel grünes Licht für die Selbstverwaltung vor einem Jahrzehnt gab.

Korruptionsvorwürfe

Nicht die Kämpfer der ersten Intifada hatten mehr das sagen, sondern eine Clique von Getreuen Arafats, die dank der von ihm geschaffenen Wirtschaftsmonopole für Zement, Öl, Kochgas oder Handel mit Israel zu Multimillionären wurden und das mit üppigen Villen in Jericho oder zwischen den Flüchtlingslagern in Gaza protzig demonstrierten. Sie hätten sich persönlich bereichert, den Israelis sogar den Zement für den Mauerbau geliefert, statt zum Wohle aller Palästinenser den künftigen Staat vorzubereiten. Die seit Jahren diskutierten Korruptionsvorwürfe waren nur selten gegen Arafat persönlich gerichtet. Vor allem trafen sie diese verhassten "Ausländer". Viele Palästinenser fühlen sich ausgenommen, betrogen und ausgebeutet von diesen "Tunesiern". Sie sind "schlimmer als die israelischen Besatzer", sagte hinter vorgehaltener Hand ein palästinensischer Journalist in Bethlehem.

Bürgerkriegsgefahr

Falls es zu einem Bürgerkrieg in den palästinensischen Gebieten kommen sollte, was Arafat dank seiner allseits bewunderten Fähigkeit zum Taktieren verhindern konnte, sollten nicht nur die zur Macht strebenden radikalen Gruppen wie Hamas und Islamischer Heiliger Krieg im Gaza-Streifen beobachtet werden. Die heimliche Hoffnung vieler Palästinenser richtet sich eher auf ein Verschwinden dieser "tunesischen Clique" rund um ihren Präsidenten Arafat. (APA)
 
29.10.2004


"Unruhe und Chaos in den Palästinensergebieten"
Yassir Arafat wird ein Vakuum hinterlassen, in dem der Terrorismus noch besser gedeihen könnte als bisher, sagt der Palästinenser-Experte Danny Rubinstein im STANDARD-Interview
Das Gespräch führte Gudrun Harrer
Zur Person

Danny Rubinstein ist auf die Palästinenser spezialisierter Journalist bei der israelischen Tageszeitung Ha'aretz und Autor einer Arafat-Biografie (Yassir Arafat. Vom Guerilla- kämpfer zum Staatsmann).





STANDARD: Liegt Arafat im‑ Sterben?

Rubinstein: Es gibt keinen Zweifel, dass die Situation sehr ernst ist – alleine, dass Israel sofort alle Ärzte, auch Arafats Frau, in die Mukata hereingelassen hat, das Hauptquartier wurde quasi für alle geöffnet. Das ist noch nie passiert in den vergangenen drei Jahren. Die israelische Regierung will nicht beschuldigt werden verhindert zu haben, dass er gerettet wird. Israel hat auch gesagt, dass er in jedes Spital kann – und danach auch wieder zurückkommen.

STANDARD: Vielleicht weil man weiß, dass er ohnehin nicht zurückkommt?

Rubinstein: Ich weiß nicht, ob er in den nächsten Stunden oder Tagen stirbt, aber es ist wohl anzunehmen, dass er nicht mehr amtsfähig wird.

STANDARD: Was bedeutet das für die Palästinenser, aber auch für Israel? In Israel können es ja bestimmt viele nicht erwarten ...

Rubinstein: Es gibt eine real existierende Gefahr, dass in den Palästinensergebieten das Chaos ausbricht. Arafat ist nicht nur ein politischer Führer, er ist gewissermaßen der Vater des Volkes, der Schöpfer der neuen palästinensischen Nationalität und Identität. Niemand kann ihn ersetzen. Er hinterlässt ein Vakuum an der Spitze, das für uns alle in der Region Folgen haben wird. Es wird eine Übergangszeit geben, Unruhe, Chaos – das bedeutet für uns: eine gute Infrastruktur für Terrorismus. Arafat stand zwischen uns und der schlimmsten palästinensischen Option, der Hamas.

STANDARD: Wird der Tod Arafats die Gaza-Pläne von Premier Ariel Sharon beeinflussen?

Rubinstein: Gaza ist per definitionem unilateral, Sharon braucht niemanden dazu. Für Israel selbst, jetzt einmal ironisch gesprochen: Wir haben niemanden mehr, den wir beschuldigen können. Bis jetzt war an allem, was passiert ist, Arafat schuld, wenn es ihn nicht mehr gibt, müssen wir jemand anderen finden.

Wenn mich ein israelischer Premier fragen würde, was wir tun sollten, würde ich baldige Wahlen in den Gebieten empfehlen: Das Vakuum kann nur von jemandem ausgefüllt werden, der legitimiert ist.

STANDARD: Der populärste Palästinenser nach Arafat sitzt in einem israelischen Gefängnis.

Rubinstein: Dass wir Marwan Barghouti als unseren ärgsten Feind hingestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt haben, hat ihn sehr populär gemacht. Wir wissen nicht, wie stark er "draußen" wäre. Aber die Palästinenser haben viele gute Leute, es ist nur die politische Situation, die so problematisch ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 29.10.2004)
 
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