Krim-Krise, Kosovo-Krieg, Guantanamo Völkerrecht - na und?
10. März 2014, 21:03 Uhr
Der Westen wirft Russland bei der Besetzung der Krim Völkerrechtsverletzung vor. Aber: Wen hat das Völkerrecht interessiert, als Nato-Kampfflugzeuge den Kosovo und Irak zerbombten? Von Jens-Peter Hiller
Mutmaßlich russische Truppen kontrollieren derzeit die ukrainische Krim-Halbinsel.© Baz Ratner/Reuters
Putin verstößt bei der Besetzung der ukrainischen Krim-Halbinsel gegen das Völkerrecht - darin sind sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama einig. Selbst Altkanzler und Russland-Freund
Gerhard Schröder hat das eingesehen, obwohl gleichzeitig die EU für ihren Umgang mit der Ukraine kritisiert.
Guter Westen, böses Russland? Oder doch eher:
Auch der Westen hat seit Wiedervereinigung mehrfach gegen das Völkerrecht verstoßen. Wenn es um macht- oder geopolitische Interessen geht, ist das Völkerrecht anscheinend plötzlich egal oder wird mit den wildesten juristischen Begründungen umgangen. Eine Zusammenstellung.
Kosovokrieg
Fünfzehn Jahre ist es her, dass Nato-Flugzeuge Regierungsgebäude, Industrien, Kommunikationsanlagen und Militärstützpunkte im Kosovo, einer Provinz im ehemaligen Jugoslawien, zerbombten. Für die USA war es die größte Luftkriegsoperation seit dem Vietnamkrieg, auch die Bundeswehr beteiligte sich mit 14 deutschen Tornados. Schätzungsweise 3500 Menschen starben durch das Bombardement, davon über tausend Zivilisten. Die Nato hatte kein UN-Mandat für den Angriff, begründete die "humanitäre Intervention" damit, den Völkermord an Kosovo-Albanern zu verhindern. Im Nachhinein sind sich Experten einig, dass der Einsatz
gegen das Völkerrecht verstieß.
Irakkrieg
Als "Verteidigungsmission" und "Präventivkrieg" bezeichneten die USA ihren
Einsatz im Irak. Zwei Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center drohte angeblich ein Angriff des Iraks mit Massenvernichtungswaffen. Im März 2003 begannen britische und amerikanische Truppen mit der Bombardierung Bagdads - ohne UN-Mandat und damit gegen das Völkerrecht. Saddam Hussein wurde schon nach zwei Monaten gestürzt, doch noch bis ins Jahr 2011 waren britische und amerikanische Truppen im Irak stationiert. Heute sind sich Experten einig, dass die Mission vor allem wirtschaftlichen und strategischen Interessen diente. Irak hat reiche Ölverkommen und liegt in Nachbarschaft zum Iran, Pakistan und den arabischen Staaten.
Drohnenkrieg in Pakistan
Töten per Joystick: Die USA hat vor allem unter Präsident Barack Obama die unbemannten Angriffe mit Drohnen erheblich ausgeweitet. Genaue Opferzahlen gibt es nicht:
die Uno schätzt, dass seit 2004 in Pakistan durch 330 Drohnenangriffe etwa 2200 Menschen getötet und 600 schwer verletzt wurden.
Recherchen der New York Times zufolge sind weniger als zwei Prozent der Getöteten profilierte Terroristen gewesen, hunderte Zivilisten starben durch die Drohnenangriffe. Ein riesiger Kollateralschaden. Experten sind sich einig, dass die USA das Völkerrecht verletzen. Aber wer hat Einreisebeschränkungen oder Kontosperren gegen die USA verhängt - so wie sie es nun im Falle Russlands tun? Niemand.
Guantanamo
Folter, Erniedrigung, Bestrafung - im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba spielt die USA nach ihren eigenen Regeln und sicher nicht nach denen des Völkerrechts. 779 mutmaßliche Terroristen und Kriegsgefangene unter anderem aus den Irak- und Afghanistankriegen wurden seit 2002 hierhergebracht, nur ein einziger Gefangener stand vor einem US-Bundesgericht, wie
Angaben von Amnesty International zeigen. Ex-US-Präsident George W. Bush soll zudem gewusst haben, dass die meisten Gefangenen unschuldig waren, hielt sie aber aus politischen Gründen trotzdem fest.
Afghanistankrieg
Seit 2001 sind die Bundeswehr sowie amerikanische, britische und australische Truppen in Afghanistan stationiert. Dafür gibt es ein UN-Mandat - völkerrechtlich umstritten ist der Einsatz trotzdem. Knackpunkt ist die Frage, ob der Krieg als Selbstverteidigung zu werten ist oder nicht. Die Mission war eine unmittelbare Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September. Die USA machten die in Afghanistan ansässigen Taliban und die Al-Kaida für die Terroranschläge verantwortlich und legitimierten damit den Einsatz. Die juristische Grundlage ist jedoch
Auslegungssache und deswegen hoch umstritten. Bekannt ist zudem, dass
afghanische Gefängniswärter Gefangene misshandelt haben sollen. Die deutsche Politik geriet deswegen unter Druck, weil auch die westlichen Isaf-Truppen Gefangene an die afghanischen Behörden auslieferten.