Slowenische Privatisierungsstrategie hat heute einen eigenen Namen: man nennt sie "ökonomischen Nationalismus”. HR 3 Bericht über den anderen Weg.
Sprecherin:
Das war eine faustdicke Überraschung - bei den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City: Der Skispringer Simon Ammann aus der Schweiz springt an allen Favoriten vorbei. Strahlend streckt er seine Skier in die Kameras. Skier aus Slowenien. Die Marke ELAN ist ein Name auf dem Ski- und Snowboardmarkt. "Made in Slowenija!" steht für gute Qualität, seien es die Haushaltsgerätehersteller Gorenje und Sidex, seien es Elan oder Lek - um nur einige Namen zu nennen, die mit Erfolgsgeschichten slowenischer Wirtschaftsunternehmen verbunden sind. Slowenien hat vieles anders gemacht als vergleichbare Staaten in Osteuropa.
ATMO: in einer Kantine... Geschirrklappern...... Gelächter, Stimmengewirr Da hinein die Sprecherin
Sprecherin:
Mittagspause in der Kantine des grössten slowenischen Pharmakonzerns Lek. 300 Angestellte essen hier, sie stellen lediglich das Hauptverwaltungsbüro dieser multinationalen Firma. Denn Lek ist das Symbol schlechthin für den Erfolg der slowenischen Wirtschaftspolitik. Lek erwirtschaftet ganz alleine jährlich 4 bis 5 Prozent des slowenischen Bruttoinlandsproduktes. Doch Gorazd Hladnik, der Marketingdirektor erinnert sich noch gut an die Übergangsjahre, in denen Lek zu verschwinden drohte. Nachdem sich Slowenien am 25. Juni 1991 als nördlichstes Bundesland von Jugoslawien löste, begann für das kleine Land zwischen Alpen und Adria zunächst eine katastrophale wirtschaftliche Talfahrt, die mit einer Inflationsrate von 110 Prozent nach einem Jahr ihren Tiefpunkt erreichte.
O-Ton Gorazd Hladek: (Slowenisch/Übersetzung) Nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien hatten wir grosse Überlebensprobleme, denn über Nacht haben wir 50 Prozent unseres Marktes verloren. Und es ging wirklich darum, irgendwie zu überleben. Das war zwischen '92 und '95. Ich kann sagen, es war unsere schwierigste Zeit.
Sprecherin: Trotzdem hat LEK nicht getan, was viele mittel-und osteuropäische Firmen kurz nach der Wende taten. Sie haben ihren Betrieb nicht an ausländische Investoren verkauft. Das Lek-Management privatisierte die Firma zwar, achtete aber darauf, dass der grösste Teil des Kapitals "im Land" blieb. Im Klartext hiess das: sie verkauften trotz aller " rettenden Angebote aus dem Westen" vor allem an slowenische Investoren und an ihre eigenen Mitarbeiter.
Ton Gorazd Hladnik (Engl/Übersetung) Zu Beginn der neunziger Jahre begannen wir mit einer Teilprivatisierung. Wir gingen auf den Aktienmarkt. Wir hatten eine ganz spezifische Lösung gefunden. Wir kapitalisierten diese Firma mit zusätzlichem Kapital aus privaten Quellen. 1994 war das dann abgeschlossen und wir hatten relativ ausgeglichene Besitzverhältnisse. 20 Prozent gehörten den Angestellten, 20 Prozent verschiedenen Fonds und auch der Regierung. Eine grosse Quote ging an slowenische und dann auch ausländische Firmen.
Sprecherin: Diese Privatisierungsstrategie hat heute einen eigenen Namen: man nennt sie "ökonomischen Nationalismus”. Der entsprang weder rechten, noch linken Ideologien, propagierte keine nationalistischen Heilsideen und schimpfte nicht gegen gross-industrielle Globalisierunsgpolitik. Er wurde von einer pragmatisch denkenden Managerelite durchgesetzt, die zu dem Schluss kam, dass zu schnelle und zu grosse Verkäufe von Staatsbetrieben an ausländische Investoren auf jeden Fall zu vermeiden seien. Hannes Hofbauer, der österreichische Wirtschaftsexperte und Osteuropakenner des Wiener Pro-Media-Verlages erklärt, warum sich gerade diese Strategie heute so bezahlt macht.
O-Ton Hannes Hofbauer: (Deutsch) Die Privatisierung ist in Slowenien mit dem sogenannten "work-and management-pie-out" durchgeführt worden. Das ist ein System, wo man Arbeiter, Manager, Pensionäre dieser Betriebe vorrrangig und zu günstigen Preisen in einen Kapitalbesitz eingeführt hat. Die EU hat damals streng dagegen pro-testiert, weil das natürlich nicht konform war mit den Verhältnissen, die in der Euro-päischen Union festgeschrieben sind. Dass jeder überall gleich investieren darf, wenn er nur das Geld hat. Die Slowenen haben das anders gemacht, noch in der Phase des nationalen Schutzes und haben also zuwegegebracht, eine nationale Bourgeoisie zu schaffen. Und das hat sich sehr positiv ausgewirkt, würde ich sagen.
Sprecherin:
Mit einer Arbeitslosenquote von nur 5, 9 Prozent und einer Inflationsrate von nur 7 Prozent hat Slowenien die besten Wirtschaftsdaten in Mittelosteuropa. Die Slowenen sind das einzige EU-Beitrittsland, das namhafte Betriebe aufweisen kann, die selbst im westlichen Ausland investieren und bedeutende Handelsgeschäfte machen. Zu ihnen zählt nicht nur Lek, sondern auch der Haushaltsartikelhersteller Gorenje, der Autohersteller Prevent und der Skifabrikant Elan. Erst zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, das heisst: erst im Jahr 2001, als die ehemaligen Staatsbetriebe bereits privatisiert und saniert waren, haben sich einige erlaubt, entweder ganz oder teilweise mit grösseren Multis zu fusionieren. Peter Jesovnik, der Direktor der slowenischen Industrie-und Handelskammer erklärt, warum man so lange damit gewartet hat.
O-Ton Peter Jesovnik: (Engl./Übersetzung) Slowenien hat sich kurz nach der Wende ganz bewusst zurückgehalten. Wir wollten erst einmal abwarten. Wir wollten sehen, wohin all diese Privatisierungsabenteuer eigentlich führen. Gut, einige sagten uns, dass wir gegen den Globalisierungsprozess schwimmen, dass wir nationalistisch seien. Aber uns war das egal. Wir wollten unser Land vorsichtig aufbauen.
Sprecherin: Möglich war das , weil das kleine Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern nach der Trennung von Jugoslawien nur geringe Staatsschulden hatte.
O-Ton Peter Jesovnik: (Engl./Übersetzung)
Ja, innerhalb der Weltbankberechnung hatten wir nur 1.68 Prozent der Gesamtschuldenlast des ehemaligen Jugoslawiens zu übernehmen. Darum waren wir nicht gezwungen, unsere Staatsbetriebe billig zu verkaufen.
Sprecherin: Polen und Ungarn waren dagegen hochverschuldet. Darum boten sie nach der Wende alles, um so viele ausländische Unternehmen wie möglich ins Land zu locken: billige Staatsbetriebe, die von ausländischen Konkurrenzunternehmen aufgekauft und dann oft einfach geschlossen wurden. Unternehmen wie Suzuki, IBM, Audi, Philips und der Tabakkonzern Imperial Tobacco kamen, verlagerten ihre Werke dorthin und bauten neue auf. Mit zehnjähriger Steuerfreiheit, Zollfreiheit, Subventionen, niedrigen Löhnen und billigen Vorleistungen wie Energie. Doch nun ziehen die angelockten Pioniere weiter an noch billigere Standorte wie China oder die Ukraine. Grund dafür - so Andras Inotai vom Weltwirtschaftsinstitut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften - seien die Lohnerhöhungen. In Ungarn sind die Reallöhne zwischen 1999 und 2003 um 30 Prozent gestiegen. Die Arbeit wird nun "zu teuer".
O-Ton Andras Inotai: (Deutsch) Selbstverständlich haben wir in bestimmten Bereichen bestimmte Tätigkeiten aufgeben müssen, weil die Löhne in Ungarn schon höher sind. Teilweise sind sie höher als es notwendig wäre. Insbesondere in den Bereichen, wo Lohnerhöhungen stattgefunden haben bei den beiden Regierungen, ohne die Produktivität messen zu können.
Sprecherin: Ungarn ist zur Zeit am stärksten von der Abwanderung der Firmen betroffen. Was man dabei jedoch nicht sieht: die angeblich zu hohen Löhne reichen auch den osteuropäischen Arbeitern nicht unbedingt zum Leben, weil die Konsumpreise ihrer Länder mittlerweile westeuropäisches Niveau erreicht haben. Ganz im Gegensatz zu ihren Löhnen. Während in den westeuropäischen Ländern eine Arbeitsstunde rund 35 Euro kostet, sind es in Ungarn 8,7 Euro und in der Ukraine 0,9 Euro. Darum meint Michaela Moser, die Leiterin der Mittelosteuropa-Sektion des European Anti-Poverty Netzwerkes der Europäischen Kommission in Wien.
O-Ton Michäla Moser: (Deutsch) Die Löhne sind viel geringer, aber wenn man in die Läden geht, stehen dort die ganzen ... ja unsere Produkte, sag' ich mal jetzt und die Preise sind durchaus vergleichbar mit den Preisen hier bei uns. Also, man kann sich eigentlich an den fünf Fingern ausrechnen, dass sich das nicht ausgehen kann.
Sprecherin: Nicht so in Slowenien. Dort liegen die Löhne rund 30 Prozent über dem Durchschnittsverdienst in den anderen EU-Beitrittsstaaten und viele heimische Produkte bieten zu den teuren Importwaren eine Alternative. Nun haben aber auch grosse slowenische Firmen sich entschlossen, mit noch grösseren Multis zusammen-zugehen. Wie etwa Lek, das seit zwei Jahren zum Schweizer Pharmakonzern Novartis gehört.
O-Ton Gorazd Hladnik: (Engl./Übersetzung) Seit 1999 geht es für Lek wirklich kontinuierlich aufwärts. Im Jahr 2000 konnten wir pro Jahr 250 Millionen Dollars erwirtschaften und in den letzten Jahren waren es 600 bis 700 Millionen Dollar. Das ist ein grosser Schritt nach vorne. Wegen der globalen Veränderungen haben wir darum für unsere Zukunft mehrere strategische Optionen untersucht. Und eine davon war, uns mit grösseren multinationalen Fimen zusammenzutun. Eine der vielversprechendsten Optionen war dabei die Fusion mit Novartis, denn wir wollten auch unsere Forschungen im Bereich der Genmedizin vorantreiben.
Sprecherin: Doch Gorazd Hladnik ist sich sicher: Lek wird seinen Verwaltungssitz, seine Produktions-und Forschungsstätten in Slowenien behalten.
O-Ton Gorazd Hladnik: (Eng./Übersetzung) Wir haben mit Novartis ausgehandelt, dass wir das Kompetenz-Zentrum für den gesamten mittelosteuropäischen Raum bleiben. Für alle Sandoz-Aktivitäten. Das betrifft die gesamte Genforschung. Das war die Grundbedingung für unsere Fusion. Und darum werden wir auch nicht der Gefahr ausgesetzt sein, eines Tages geschlossen zu werden.
Sprecherin:
In unserer globalisierten Welt gibt es kaum noch eine grössere Firma, deren Kapital nicht zumndest teilweise in den Händen eines ausländischen Investors liegt. Doch das slowenische Modell zeigt, dass selbst Übernahmen und Fusionen arbeitsmarktpolitisch dann wenig bedrohlich sind, wenn sie bedacht und nach "strategischen" Gesichtspunkten eingegangen werden. Zu kritisieren sei es , wenn nur betriebswirtschaftlich gedacht würde, meint Hannes Hofbauer aus Wien, volkswirtschaftliches Denken sei oft leider kein Maßstab:
O-Ton Hannes Hofbauer: (Deutsch) Weil in den Konzernen die Volkswirtschaft nicht betrieben wird. Wäre ja auch untypisch. Die haben ja die Aufgabe die Aktionäre mit einer Rendite zu befriedigen, die sie bei der Stang hält. Und das ist das Einmaleins unseres Wirtschaftssystems. Dass es eben keine volkswirtschaftlichen Kategorien gibt. Und die hat es gegeben. In der Phase des europäischen Kapitalismus, den ich als rheinischen Kapitalismus oder sozialpartnerschaftlichen Kapitalismus begreifen würde und die werden jetzt radikal abgebaut.
Sprecherin:
Volkswirtschaftlich denken hiess im Falle Sloweniens, immer darauf zu achten, dass Betriebspolitik Arbeitsplätze erhält. Daraus erwuchs zunächst ein grundsätzliches Misstrauen gegen jede Form von äusserer Einmischung. Miro Prek, Mitglied des slowenischen Verhandlungsteams für den EU-Beitritt erklärt, warum dieses Misstrauen nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet gross war.
O-Ton Miro Prek: (Slowenisch/Übersetzung) Wir sind eine sehr kleine Nation und für uns ist es wichtig in der Gemeinschaft der gossen Nationen nicht unterzugehen. Viele hatten Angst vor dem EU-Beitritt unseres Landes, fürchteten um unseren Wirtschaftsstandort, um unsere politische Souveränität und um das Slowenische als Amtssprache. Sie meinten, dass sie in einem vereinten Europa nur wieder eine drittrangige Stelle einnehmen würden.
Sprecherin:
Doch gleichzeitig wusste man auch , dass weder die Banken, noch die grossen slowenischen Firmen ohne Partner aus dem Ausland langfristig überleben könnten - so Alenka Kajzer, die Direktorin des Instituts für makroökonomische Studien in Ljubljana.
O-Ton Alenka Kajzer: (Slowenisch/Übersetzung) Der Privatisierungsprozess war nun einmal nicht mehr aufzuhalten und die Einbindung der Firmen und Banken in den globalen Markt auch nicht. Darum war es auch für slowenische Banken und Betriebe wichtig, strategische Partner aus dem Ausland hinzu zubekommen, um sich langfristig auch auf dem internationalen Markt behaupten zu können.
Sprecherin: So entpuppt sich Mittelosteuropas Reformjahrzehnt zwischen 1990 und 2000 unter dem Bilanzstrich von Soll und Haben als grosse Umverteilungsmaschinerie, bei der gerade das kleinste EU-Beitrittsland - nämlich Slowenien - am besten abgeschnitten hat. Es hat eigene Industriezweige aufgebaut, statt sie viel zu früh von westlichen Multis aufkaufen zu lassen. Dadurch konnten diese Firmen dann bei späteren Übernahmen und Fusionen anders auftreten, andere Verträge aushandeln und höhere Preise verlangen. Ein beträchtlicher Teil der slowenischen Gewinne bleibt im eigenen Land. Damit schwamm Slowenien gegen den Strom der Osterweiterung, meint Hannes Hofbauer, der den westlichen Wirtschaftsakteuren vorwirft, die anderen mittelosteuropäischen Länder gezielt zu "Billiglohn-Werkbänken" degradiert zu haben.
O-Ton Hannes Hofbauer: (Deutsch) Ich würde sagen, die Osterweiterung war die Strategie der führenden europäischen Kapitalgruppen nach der Rationalisierung in den 80er Jahren, also nach den technologischen Errungenschaften eine Expansionsphase einzuleiten und damit die strukturelle Krise in dem Kapitalismus - die ja darin besteht, dass immer überproduziert wird und Absatzmärkte gesucht werden müssen - diese strukturelle Krise in den Griff zu bekommen. Und Osterweiterung geht ja weiter. Es sind für 2007 ja Bulgarien und Rumänien vorgesehen. Es ist möglicherwiese für 2009 Kroatien vorgesehen. Es ist die Türkei im Gespräch. Jetzt mit der Wende in der Ukraine, würde auch die Ukraine ins Gespräch kommen. Das heisst, diese Strategie liegt offen da, dass man den Druck beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt mit diesem Szenario ständig aufrechterhalten kann. Da ist für die nächsten 15/20 Jahre diese Debatte noch nicht zuende.
ATMO...... zurück in der Kantine von Lek.... Geschirrgeklapper, Stimmengewirr.. da hinein die Sprecherin...
Sprecherin: Bei Lek macht sich dagegen kaum einer grosse Sorgen um die Zukunft. Denn ihre Firma hat mittlerweile in 12 verschiedenen europäischen Ländern Nieder-lassungen und ist dabei immer noch auf Wachstumskurs. Und selbst die Prognosen für das kommende Jahr sind vielversprechend ....
weiter Geklapper... Stimmengewir.... - Ende