Konflikt in Syrien
Westen fürchtet Regime-Kollaps in Nahost
Von
Ulrike Putz, Jerusalem
AP/ Shams News Network
Syriens Präsident Assad geht mit aller Härte gegen sein eigenes Volk vor, 1800 Menschen sind nach Schätzungen der Opposition bereits umgekommen. Der Westen kritisiert die Gewalt, eine militärische Intervention aber scheint ausgeschlossen - zu groß ist die Furcht vor einem Flächenbrand.
Der Presseattaché der US-Botschaft in Damaskus nimmt längst kein Blatt mehr vor den Mund: Der Einmarsch der syrischen Armee in die Rebellenhochburg Hama sei ein "eindeutig kriegerischer Akt" gewesen, sagte J.J. Hader der BBC, nachdem Sicherheitskräfte am Wochenende
allein in Hama über 90 Menschen getötet haben sollen . In Syrien gebe es nur eine kriminelle Bande, und das sei die syrische Regierung, wetterte der Diplomat in ungewohnter Schärfe. "Dies ist die bewaffnete Bande, die ihre eigenen Städte brandschatzt, die den Terror in den Herzen der vielen Menschen sät, die doch nur friedlich demonstrieren wollen. Es ist lächerlich."
So deutlich die Worte des Amerikaners auch waren: Taten werden auf sie so schnell nicht folgen. Das machte Großbritanniens Außenminister William Hague deutlich, der am Montag betonte, eine militärische Intervention in Syrien sei "überhaupt keine Option". Eine legales, moralisch vertretbares Eingreifen stehe nicht zur Debatte, so Hague gegenüber BBC-Radio. Warum eigentlich nicht? Ist das Leben syrischer Zivilisten nicht ebenso schützenswert wie das libyscher Rebellen?
Seit Mitte März kämpft eine westliche Allianz an der Seite der Aufständischen gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi, damit dieser den Krieg gegen das eigene Volk einstellt. Doch in Syrien, in dem der Kampf des Regimes Baschar al-Assads gegen seine aufständischen Bürger in vier Monaten geschätzte 1800 Todesopfer gefordert hat, beschränkt sich die Welt auf Mahnungen und die Verschärfung bereits bestehender Sanktionen gegen seine Machthaber.
Auch an diesem Montag meldeten Aktivisten neue Kämpfe aus der Stadt Hama, fünf Menschen sind nach Angaben eines örtlichen Komitees ums Leben gekommen. Am Abend nahmen laut einem Aktivisten Panzer ein Wohnviertel unter Beschuss. Doch weder die westlichen Mächte noch die Arabische Liga sehen sich genötigt zu handeln.
Immerhin beschäftigt sich an diesem Montag der Uno-Sicherheitsrat mit der Lage in Syrien. Doch mit konkreten Ergebnissen ist nicht zu rechnen. Der Entwurf für eine Resolution liegt zwar vor. Aber obwohl das Papier die Gewalt gegen Zivilisten nur verurteilt und keinerlei Strafe androht, scheiterte es bisher am Widerstand Russlands und Chinas. Mit ihrem Vetorecht kann jedes der fünf ständigen Mitglieder jede Mehrheit überstimmen.
"Syrien wird vom Staatsterror zusammengehalten"
Hauptgrund für die anhaltende Untätigkeit des Westens und der Arabischen Liga ist die Angst vor einer regionalen Ausweitung des syrischen Konflikts, sagt Rami Khouri, Politologe an der American University im libanesischen Beirut. "Syrien ist ein religiös wie ethnisch zersplittertes Land." Sollte es dort zu Kämpfen einzelner Volksgruppen - wie zum Beispiel Araber und Kurden - untereinander kommen, könnten diese Kämpfe schnell auf Nachbarländer wie die Türkei oder den Irak übergreifen. Dasselbe gelte für Religionsgruppen wie Sunniten und Schiiten. "Syriens Minderheiten haben starke Bande in die gesamte Region, gerät eine zu Hause unter Druck, wird der Konflikt nicht auf Syrien beschränkt bleiben." Die westlichen Staaten wüssten dies und legten deshalb größte Zurückhaltung an den Tag.
Die Zersplitterung Syriens mache jedes Eingreifen dort äußerst riskant, sagt auch Margret Johannsen, Politologin am Institut für Friedensforschung in Hamburg. "Wie einstmals Irak wird Syrien vom Staatsterror zusammengehalten." Als mit Saddam Hussein Iraks starker Mann beseitigt wurde, sei das Machtsystem im Zweistromland kollabiert, so Johannsen. Die Furcht vor ähnlichen Folgen in Syrien sitzte tief und lähme potentielle Unterstützer der Rebellen im Ausland wie im Inland. "Die Angst, dass Syrien das gleiche Schicksal wie der Irak erleiden könnte, lässt die Mittelklasse in den Großstädten zögern, sich dem Aufstand anzuschließen."
Anders als in Libyen haben die syrischen Rebellen auch im vierten Monat ihres Aufstands bislang noch nicht um ausländische Militärhilfe gebeten - eine bewusste Entscheidung, wie Johannsen glaubt: "Ein solches Ersuchen würde ihre Legitimität unterwandern."
Ob es unter den syrischen Aufständischen Gruppen gibt, die sich ein militärisches Eingreifen des Westens wünschen, ist schwer zu sagen: Der syrische Sicherheitsapparat macht es nicht nur ausländischen Journalisten schwer, mit Rebellen Kontakt aufzunehmen. Auch die Kommunikation der Anti-Assad-Aktivisten untereinander ist stark eingeschränkt. Die Selbstverwaltung der Protestler im Flächenstaat Syrien beschränkt sich auf lokale Rebellenräte, die notgedrungen unabhängig voneinander agieren. So kommt es, dass sich auch vier Monate nach Ausbruch der Revolte noch keine zentrale Führung der Rebellen herauskristallisieren konnte - und damit niemand, der im Namen der Opposition im Ausland um Unterstützung bitten könnte.
Experten fürchten weitere Eskalation der Gewalt
Das Schweigen der anderen arabischen Länder angesichts des Blutvergießens in Syrien ist laut Johannsen nicht erstaunlich. "Das sind alles autokratische Regime, die halten sich raus und warten ab." Die Herrscher der Nachbarstaaten Syriens hätten selbst Angst vor dem Umbruch. Die Lage in Libyen sei anders gewesen: Gaddafi hatte sich schon lange vor dem Ausbruch der Revolte Feinde gemacht. "Unterwanderung und Terror - Gaddafi hat jahrzehntelang in seinen Nachbarländern gezündelt", so Johannsen.
Als die Arabische Liga im März einen Militärschlag gegen den Dauerdespoten forderte, konnte sie deshalb doppelt punkten: Nicht nur, dass sie - bei sehr geringer Eigenbeteiligung - westliche Länder dafür einspannen konnte, ihr einen unliebsamen Störenfried vom Hals zu schaffen. Indem sie sich gegen Gaddafi stellten, konnten sich die Liga-Mitglieder ihren eigenen Völkern gegenüber zudem als Unterstützer der demokratischen Bewegungen des Arabischen Frühlings darstellen. Rami Khouri fürchtet, dass die Gewalt noch Monate anhalten könnte. "Wir haben zwei Gegner, die beide gleichermaßen entschlossen, nicht aufzugeben, aber keiner der beiden ist stark genug, um den anderen zu besiegen", so Khouri. Dass die Verschärfung der Sanktionen Assad zum Einlenken bewegen wird, hält der Politologe für unwahrscheinlich. "Syrien wird seit Jahren mit Sanktionen belegt", sagte er, doch bisher habe das Land den Strafmaßnahmen widerstanden, am Verhalten der Regierung habe sich nichts geändert.
Die Schmerzgrenze, bei deren Überschreitung der Westen sich zum Eingreifen vor Ort genötigt sehen könnte, sei noch lange nicht erreicht. "Dazu müssen die Gemetzel und die Gewalt erst noch ein neues Niveau erreichen."