Syrien-Konflikt: Behält Assad die Oberhand?
Angesichts der russischen Waffenlieferungen und innerer Querelen der  Aufständischen rechnet der russische Experte Leonid Isajew mit einem  Sieg für Präsident Assad. In einem Interview mit Russland HEUTE erklärt  er, warum.             
		
		
	
	
Die Regierungstruppen haben den Gegnern Bashar Assads eine Reihe  schmerzhafter Niederlagen zugefügt. Nun können die Militärs ihren  Vormarsch auf Aleppo vorbereiten. Könnte man das als Umschwung im 
Syrienkonflikt  bewerten? Und wie wird der Krieg in Syrien wahrscheinlich enden?  Darüber sprach die Gazeta.ru-Korrespondentin Farida Rustamowa mit einem  führenden russischen Nahostexperten, dem Dozenten der Fakultät für  angewandte Politikwissenschaften der Hochschule für Wirtschaft, Leonid  Isajew.
 
Ließe sich momentan behaupten, dass die Regierungstruppen inzwischen die Oberhand über die Oppositionskräfte errungen haben?
Der Umschwung ist bereits früher erfolgt, und zwar im Mai. Bis zu  diesem Zeitpunkt sah die Situation für Assad nicht sonderlich gut aus.  Einer der Gründe dafür ist darin zu suchen, dass Russland letztendlich  begonnen hat, die Regierung in Damaskus mit Waffen zu beliefern. Das hat  die Truppen Assads, die bereits ausgezehrt waren, spürbar gestärkt.  Zweitens wurde klar, dass die USA kein weiteres Interesse am  Syrienkonflikt haben.
  Die USA, wie auch viele andere Länder des Westens, haben genug von  diesem Konflikt. Dort begann sich die Meinung zu festigen, dass sie mit  einem Eingreifen letztlich nur den Islamisten in die Hände spielen. Und  der dritte Faktor ist die Lage in Ägypten, die die Aufmerksamkeit von  Syrien ablenkt. Der Syrienkonflikt wurde in erster Linie durch die  Berichterstattung präsent. Über ihn wurde geschrieben, er war permanent  im Gespräch und ständig auf der Tagesordnung der Weltgemeinschaft.  Inzwischen gibt es diesen Rückhalt so gut wie nicht mehr. Ägypten hat  nahezu die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
 
Aber die Länder des Westens diskutieren immer noch darüber,  ob die syrische Opposition mit Waffen beliefert werden sollte oder  nicht. Wird es dazu noch kommen und würde das nicht das  Kräftegleichgewicht verändern?
 Ich denke nicht, dass das Kräftegleichgewicht dadurch wesentlich  beeinflusst werden würde. Die Amerikaner werden natürlich versuchen,  ihre Verpflichtungen einzuhalten. Es wird zu einer Unterstützung der  Opposition mit Waffen und Kämpfern kommen, aber diese Ressourcen werden  ihren Adressaten nicht erreichen, weil ein großer Teil irgendwohin  versickern wird. Die Waffenlieferungen an die syrische Armee durch  Russland sind um ein Vielfaches größer als die der Länder des Westens  und des Persischen Golfs. Zudem hat der Libanon mit Schmuggel zu  kämpfen.
 
Könnten Assads jüngste militärische Erfolge die syrische Opposition spalten?
 Die fällt auch so schon auseinander. Zum einen ist die Moral bereits  am Boden. Zum anderen legen viele Kämpfer die Waffen nieder, weil unter  den Militärs, die auf der Seite der Freien Syrischen Armee streiten,  sehr viele für die Idee gekämpft haben. Sie gingen 2011 auf die Straße,  weil sie eine Veränderung zum Besseren, eine Demokratisierung wollten.  Und sie müssen erkennen, dass das, was zurzeit im Land passiert, absolut  keine Demokratisierung, sondern eine Degradierung ist. Diejenigen, die  für die Idee gekämpft haben und ihre Heimat lieben, legen die Waffen  nieder, vor allem nach der von Assad angekündigten Amnestie. Das war ein  sehr wichtiger Schritt und führt zu einer ernsthaften Spaltung der  Opposition.
 
Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich die gegeneinander  kämpfenden Seiten an den Verhandlungstisch setzen und Russland und die  USA diese Idee unterstützen?
 Für Russland und die USA ist das Wichtigste, ihr Gesicht zu wahren  und zu zeigen, dass sie recht hatten: Russland lag richtig, indem es  Assad unterstützte, und die USA, indem sie die Freie Syrische Armee  unterstützten. Sowohl Obama als auch Putin verstehen, wie wichtig es  ist, diesen Konflikt aus dem Weg zu räumen. Aber dabei dürfen sie ihr  Gesicht nicht verlieren. Weder Russland, noch die Vereinigten Staaten  haben bisher eine Form gefunden, in die man die so genannte  Genf-2-Konferenz ‚gießen' könnte und die beiden Seiten zum Vorteil  gereichen würde. Die Konferenz wurde bisher immer wieder verschoben und  wird, so denke ich, auch weiterhin verschoben werden, solange kein  Konsens zwischen [dem Außenminister der Russischen Föderation Sergej]  Lawrow und [dem Staatssekretär der USA John] Kerry erzielt worden ist.
 
Wie könnte der Konflikt in Syrien enden? Steht vielleicht sogar eine Spaltung des Landes bevor?
 Wenn Assad plötzlich ermordet werden würde, wäre das eine Niederlage,  weil die gesamte syrische Elite sich inzwischen um ihn geschart hat.  Ein totaler Bürgerkrieg und das weitere Auseinanderfallen Syriens wären  in diesem Falle unausweichlich. Die irakischen Kurden haben bereits de  facto 
 ihre Freiheit errungen. Die syrischen Kurden haben sich noch nicht  abgespalten, weil sie ein prinzipielles Übereinkommen mit Assad  getroffen haben. Gibt es Assad nicht mehr, hat diese Absprache auch  keine Wirkung mehr. Es ist der Eindruck entstanden, dass der Konflikt  allmählich erlischt, aber die Lage in Syrien wird noch einige Zeit  instabil bleiben. Sie wird sich wahrscheinlich in einen jahrelang  schwelenden Konflikt mit terroristischen Anschlägen, vielleicht sogar  mit periodisch aufflammenden offenen militärischen Auseinandersetzungen  verwandeln.
 Inzwischen ist es für Assad wichtig,  die Informationshoheit zu erlangen. Er will erreichen, dass einfach  aufgehört wird, über Syrien zu diskutieren. Sobald das durchgesetzt ist,  wird er dazu übergehen, die Brutherde des Separatismus Schritt für  Schritt zu liquidieren.
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