[h=2]Syrien-Konflikt: Finger weg vom Abzug[/h] Eine Kolumne von Jakob Augstein
Will der Westen wirklich Einfluss auf den Syrien-Konflikt nehmen? Dann sollten die USA aufhören, mit Krieg zu drohen, und die Israelis den Finger vom Abzug nehmen. Hilfreicher wäre es, endlich das Verhältnis zu Iran zu verbessern.
Der schnelle Überblick
Die Fakten
- Am 21. August kommt es in Siedlungen der syrischen Region Ghuta nahe Damaskus offenbar zum Einsatz von Giftgas. Die Rebellen machen Machthaber Baschar al-Assad verantwortlich. Das Regime weist die Schuld von sich.
- Der Uno-Sicherheitsrat fordert eine rasche Untersuchung der Giftgas-Vorwürfe.
- Die USA bereiten sich auf ein militärisches Eingreifen in Syrien vor. Eine Entscheidung steht noch aus.
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Von allen mächtigen Ländern sind die USA das mächtigste. Allmächtig sind sie nicht. Das zeigt sich in Syrien. Denn ohne Russland und Iran kann Amerika diesen Krieg nicht beenden. Vor allem die Rolle des Erzfeinds in Teheran werden die Amerikaner anerkennen müssen. Wenn es Obama ernst ist mit der Sorge um das Leid des syrischen Volkes, dann kommt jetzt die Zeit, über ein paar sehr lange Schatten zu springen.
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Hunderttausend Menschen sind tot. Mehr als ein Drittel der 22 Millionen Bürger des Landes ist auf der Flucht. Es gab schon lange Vermutungen, dass Giftgas zum Einsatz kommt. Jetzt wurde daraus Gewissheit. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen meldet in der Nähe von Damaskus 3600 Verletzte und 355 Tote als Opfer eines unbekannten Nervengifts. War es Assad? Oder eine außer Kontrolle geratene Einheit seines weitverzweigten Unterdrückungssystems? Waren es die Islamisten? Oder eine der vielen unabhängigen Gruppen, die zwischen den Lagern agieren? Man wird das nicht klären. Syrien ist ein Schlachthaus, und die Syrer sind darin gefangen. Im Inneren reiben sich die Truppen des Diktators Assad, die
Kurden im Norden, die Dschihadisten von der Nusra-Front und die Rebellengruppen, die sich in der Freien Syrischen Armee zusammengeschlossen haben, gegenseitig auf. Und draußen stehen Amerikaner, Russen, Iraner, Libanesen, Israelis, Jordanier und die Spendier-Scheichs aus Katar, Kuwait und Saudi-Arabien und liefern Geld oder Waffen oder Truppen.
Hier steht nicht eine demokratische Opposition gegen ein diktatorisches Regime. Die sogenannten Verbündeten haben ihre eigenen Interessen. Und für alle steht zu viel auf dem Spiel, als dass sie dem Blutvergießen ohne weiteres ein Ende setzen würden. Was ist das Leben der Syrer im Vergleich zu den welt-, macht-, strategie- und energiepolitischen Einsätzen, mit denen Russen, Amerikaner, Iraner und Israelis handeln?
Präsident Obama wirkt hilflos
Der Historiker
Götz Aly hat an den Dreißigjährigen Krieg erinnert und an den Ausweg, der damals aus dem Gemetzel führte. Der Westfälische Friede wurde in Münster und Osnabrück verhandelt - also in der Nähe der Schlachtfelder, nicht im fernen Genf, das für eine mögliche Syrien-Konferenz ausgesucht wurde. Als Vermittler hatte man einen Venezianer geholt, einen nüchternen Realisten.
Aber der Vergleich geht fehl. Der einzige Sieger des Dreißigjährigen Krieges war die Erschöpfung - die Mächte, die das Feuer in Syrien anfachen, sind jedoch alles andere als erschöpft. Und damals konnte ein Contarini den ehrlichen Makler geben. Wer sollte das heute sein? Ein Chinese? Es gibt niemanden von Rang, der nicht auf die eine oder andere Weise in das syrische Debakel involviert wäre.
Das ist ja das Problem dieses Konfliktes: Hier kreuzen sich alte und starke religionskulturelle und machtpolitische Konfliktlinien, zwischen
Schiiten,
Sunniten und Alawiten, zwischen Israelis und Iranern, zwischen Russen und Amerikanern.
Präsident Obama wirkt hilflos. Im Frühling hielten Demonstranten in der Stadt Kafr Nabl Schilder in die Höhe, auf denen sie fragten, ob Obama eine dritte Amtszeit brauche, um sich über Syrien klar zu werden. Und ob bis dahin noch ein Syrer am Leben sein werde.
Nun kommt der
Ruf nach dem Militär wie ein leerlaufender Reflex. Der amerikanische Verteidigungsminister hat soeben mitgeteilt, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Schiffe werden in die Levante verlegt. Israel gibt bekannt, man habe schon den "Finger am Abzugshahn". Aber niemand glaubt im Ernst, der Westen sei willens oder in der Lage mit Panzern und Bomben in das riesige Syrien einzufallen. Der Schlüssel für Damaskus liegt in Teheran.
USA wollen in Iran den Regimewechsel
Aber seit einigen Jahren spricht Washington nicht einmal mehr mit Iran. Ahmadinedschads antiisraelische Propaganda und die iranische Strategie der atomaren Unklarheit war den Amerikanern Grund genug. Dabei hatte schon Ahmadinedschads Vorgänger Chatami 2003 versucht, den kalten iranisch-amerikanischen Krieg zu beenden: Damals war die Rede davon, das
iranische Atomprogramm zum Teil einer großen Verhandlungslösung zu machen. Es war die Rede davon, dass Iran Israel seine Anerkennung gewähren und
Hisbollah und
Hamas seine Unterstützung entziehen wolle. Aber die damalige Bush-Regierung winkte ab - die Amerikaner haben an einem gemäßigten Iran kein Interesse. Sie wollen den Regimewechsel.
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Es gibt starke Kräfte in Amerika, die Obama die Hände binden wollen. In der Iran-Politik kann der Präsident nicht frei handeln. Ein umstrittenes Gesetz, der Iran-Threat-Reduction-Act aus dem Jahr 2011, will einen Politikwechsel gegenüber Iran geradezu verbieten. Die Administration wäre danach verpflichtet, die Opposition zu unterstützen und direkte Kontakte mit dem iranischen Regime sind ohne vorherige Zustimmung des zuständigen Kongress-Ausschusses nicht erlaubt. Der Nahostexperte Michael Lüders hat dazu geschrieben: "Ein vergleichbares Gesetz hat es nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten" gegeben. Die Vorschrift wurde zwar noch nicht ratifiziert. Aber sie bestimmt dennoch den Handlungsspielraum des Präsidenten. Im vorigen Dezember, schreibt Lüders, sei das Gesetz noch weiter verschärft worden. Eine Normalisierung der Beziehungen zu Teheran sei erst dann zulässig, wenn der US-Präsident vor dem Kongress erklärt, "dass Iran weder für die USA noch für Israel eine Bedrohung darstelle und den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sei".
Das wäre dann, wenn die Flüsse aufwärts fließen und die Hasen Jäger schießen.
Syrien: Jakob Augstein zu den Gas-Angriffen - SPIEGEL ONLINE
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