[h=1]Syriens Machthaber Assad im F.A.Z.-Gespräch     „Europa wird den Preis für Waffenlieferungen zahlen“[/h]         		   17.06.2013 ·   	      	In einem exklusiven Interview mit der F.A.Z. warnt Syriens  Präsident Assad vor einem Export des Terrorismus nach Europa. Assad  spricht über Waffen für die Rebellen, den Einsatz von Giftgas, die Rolle  ausländischer Mächte und die Genfer Konferenz.     
     
      			     	       
                                    		                                               	        	            
         			                                                                 
							        	        	        
           © Syrisches Präsidialamt               F.A.Z.-Redakteur Rainer Hermann im Gespräch mit Baschar al Assad nahe Damaskus
     
  		 		 	 		              
Herr Präsident, die syrische Armee hat die Kontrolle über Teile Syriens verloren. Fällt das Land auseinander?
                   Wir befinden uns nicht in einem gewöhnlichen Krieg,  in dem wir die Kontrolle über Landesteile verlieren und andere Teile  kontrollieren. Es ist kein Krieg einer Armee gegen eine andere Armee.  Unsere Armee sieht sich vielmehr Banden gegenüber. Richtig ist, dass die  Armee nur dann an einen Ort vordringen wollte, wenn sie das auch  konnte. Wollte sie es, tat sie es auch. So können wir jeden Ort, in den  wir vordringen, auch kontrollieren. Die Jagd auf die Terroristen hat  einen hohen Preis. Wir zweifeln nicht daran, dass wir die Terroristen  auf unserem Boden vollkommen ausschalten werden. Das Problem ist die  Zerstörung, die dabei entsteht.
                   
Sie sprechen von Terroristen. Ist jeder Aufständische ein Terrorist?
                   Ist es in Ihrem Land erlaubt, Waffen zu tragen,  unschuldige Menschen zu töten, Bürger zu terrorisieren, Schaden  anzurichten, zu stehlen? In allen Ländern der Welt wird jeder, der  Waffen trägt – ausgenommen Armee und Polizei –, um Menschen zu  schikanieren und zu töten, als Terrorist definiert. Und die Leute in  Syrien, die Waffen tragen, tun genau das. Ob sie ein extremistisches  oder kriminelles Motiv haben – für die trifft die Bezeichnung Terrorist  zu. Daher unterscheiden wir zwischen Terroristen und der Opposition, die  politisch ist und ein politisches Programm hat. Töten und Abschlachten  aber ist Terrorismus.
                   
Wie lange wird der Krieg dauern?
                   Seit den ersten Tagen wird mir die Frage gestellt,  wann die Krise zu Ende geht. Meine Antwort war, die Krise könnte lange  Zeit dauern. Denn der externe Faktor ist offensichtlich. Eine innere  Krise wird entweder endgültig gelöst, oder sie entwickelt sich in einen  Bürgerkrieg. Weder ist das eine passiert noch das andere. Der Grund  dafür ist der externe Faktor, der bemüht ist, die Krise politisch und  militärisch zu verlängern.
                   
Tragen Sie nicht eine Mitschuld an der  Zerstörung des Landes? Am Anfang waren die Proteste rein politischer  Natur, erst später wurde daraus ein bewaffneter Konflikt.
                   Seit Beginn der Krise, ja sogar schon mehrere Jahre  vor ihrem Ausbruch haben wir mit Reformen begonnen. Wir haben mehrere  Gesetze erlassen, das Notstandsgesetz aufgehoben, die Verfassung  geändert und darüber ein Referendum abgehalten. Vielleicht weiß der  Westen das, vielleicht auch nicht. Was er nicht sehen will ist das:  Schon in den ersten Demonstrationswochen hat es unter der Polizei Tote  gegeben, Märtyrer. Wie konnte es bei friedlichen Demonstrationen dazu  kommen, dass Polizisten getötet wurden? Unter den Demonstranten waren  Bewaffnete, die auf die Polizisten schossen. Manchmal waren sie auf  Plätzen unweit der Demonstration, und vor dort schossen sie auf  Demonstranten und Polizisten, damit man annimmt, die eine Seite habe auf  die andere das Feuer eröffnet.
                   
Es gibt zentrifugale Kräfte in Syrien.  Einzelne Regionen des Landes orientieren sich mehr an ihren  Nachbarstaaten. Werden sich in der Levante die Grenzen verschieben?
                   Nimmt man aus einem Steinbogen den Schlussstein  heraus, und der ist Syrien, fällt der gesamte Bogen auseinander. Jedes  Spielen mit den Grenzen in der Region bedeutet, die Landkarte neu zu  ziehen. Das hat einen Dominoeffekt, den keiner mehr kontrollieren kann.  Es kann sein, dass eine der Großmächte diesen Prozess anstößt. Aber  niemand wird es gelingen, diesen Prozess an einer bestimmten Stelle zu  stoppen. Es gibt heute im Nahen Osten neue soziale Abgrenzungen –  konfessionelle und nationale, neben den politischen Grenzen. Sie machen  die Lage kompliziert. Niemand kann sich bei einem Neuskizzieren der  Landkarte vorstellen, wie die Region aussehen wird. Sie wird  wahrscheinlich eine Landkarte für unzählige Kriege im Nahen Osten und  möglicherweise anderswo sein, die von niemand gestoppt werden können.
                   
Wie wird also die regionale Ordnung in den kommenden Jahren aussehen?
                   Wenn wir das Szenario einer zerstörenden Spaltung  Syriens ausschließen, glaube ich an ein anderes, positives Szenario. Die  erste Herausforderung ist die Wiederherstellung von Sicherheit und  Stabilität, die zweite der Wiederaufbau. Die größte und wichtigste  Herausforderung aber ist, sich gegen den Extremismus zu stellen. Denn es  hat sich gezeigt, dass in manchen Gesellschaften der Region  Verschiebungen in Richtung Extremismus stattfinden und ein Entfernen von  der Mäßigung, insbesondere in Angelegenheiten der Religion. Es stellt  sich die Frage, ob es uns gelingt, diese Gesellschaften neu zu  positionieren, so wie sie in der Geschichte gewesen waren. Manche  sprechen von Toleranz, manche sagen, es sei Koexistenz. Hält sich jemand  für tolerant, kann er eines Tages den Anderen plötzlich nicht mehr  tolerieren. Es hängt auch nicht von bloßer Koexistenz ab, sondern vom  Zusammenfügen der Teile der Gesellschaft. Das hatte diese Region  ausgezeichnet. Die andere Herausforderung ist die Reform, die wir  wollen. Die ständige Frage ist, welches das beste politische System ist,  das unsere Gesellschaft zusammenhält: das präsidiale oder  halbpräsidiale System? Das parlamentarische? Was ist das passende  Parteiensystem? Wir können hier keine religiöse Partei haben – weder  eine christliche noch eine islamische. Für uns ist die Religion die  Aufforderung zum persönlichen Glauben, kein Instrument, um Politik zu  machen. Das Wichtigste ist, den Anderen zu akzeptieren. Tut man das  nicht, kann es keine Demokratie geben, selbst wenn wir über die beste  Verfassung und die besten Gesetze verfügen.
                   
Was bedeutet Säkularismus in einem Umfeld, in dem die islamistischen Tendenzen an Stärke gewinnen?
                   Der Nahe Osten ist eine ideologiegebundene Region.  Die arabische Gesellschaft stützt sich auf zwei Säulen: den Panarabismus  und den Islam. Alles andere hat nicht diese Bedeutung. Für uns in  Syrien bedeutet Säkularismus die Freiheit der Religionen: Christen,  Muslime und Juden, mit allen ihren vielfältigen Konfessionen. Der  Säkularismus ist notwendig für die Einheit der Gesellschaft und für das  Gefühl von Staatsbürgerschaft. Dazu gibt es keine Alternative. Denn zur  gleichen Zeit sind die Religionen in unserer Region stark. Das ist schön  und nicht schlecht. Schlecht ist indes, dass Fanatismus in Terrorismus  umschlägt. Nicht jeder Fanatiker ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist  ist ein Fanatiker. Deshalb sage ich: Das Konzept unseres säkularen  Staats ist, dass jeder das Recht hat, seine Religion frei auszuüben.  Keiner wird aufgrund seiner Religion, Konfession und Rasse anders  behandelt.
                                   	           
                                 	                                                                
	
                                  	      		      			© Syrisches Präsidialamt       		      	                  	„Wenn die Opposition unabhängig und national ist, haben wir kein Problem.“
         
 
                  	              
Wie bewerten Sie das „Arabische Erwachen”, das manche „Arabischer Frühling“ genannt haben?
                   In einem Frühling gibt es kein Blutvergießen, kein  Töten und keinen Extremismus; Schulen werden nicht zerstört, Kindern  wird der Schulbesuch nicht verboten, der Frau wird nicht verboten, sich  so zu kleiden, wie sie es will. Was wir heute durchmachen, ist kein  Frühling. Schauen Sie, was in Syrien vor sich geht – töten, schlachten,  Menschen enthaupten, sogar Menschenteile essen.
                   
Sie werfen Ländern wie Saudi-Arabien,  Qatar, der Türkei und Großbritannien Einmischung vor. Sind nicht auch  Russland und Iran aktiv beteiligt?
                   Es besteht ein großer Unterschied zwischen der  Zusammenarbeit unter Staaten und der Einmischung in die inneren  Angelegenheiten eines Staates mit der Absicht, dessen Stabilität zu  untergraben. Staaten arbeiten in dem Willen zusammen, ihre Souveränität,  Unabhängigkeit, die Freiheit ihrer Entscheidungen und ihre Stabilität  zu gewährleisten. Das Verhältnis zwischen Syrien und Russland, Iran und  anderen Staaten, die an der Seite Syriens stehen, ist ein Verhältnis der  Zusammenarbeit, das vom Völkerrecht garantiert und abgesichert ist. Die  Staaten aber, die Sie genannt haben, mischen sich mit ihrer  Syrien-Politik in die inneren Angelegenheiten Syriens ein. Diese  Einmischung stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und der  Souveränität des Landes dar. Sie will das Land destabilisieren und Chaos  und Rückständigkeit verbreiten.
                   
Der Libanon und der Irak werden von  konfessionellen Spannungen geprägt. Tragen Sunniten und Schiiten beider  Länder ihre Konflikte nach Syrien?
                   Hat man in der Nachbarschaft konfessionelle  Systeme, konfessionelle Unruhen oder Bürgerkriege – wie es im Libanon  vor 30 Jahren der Fall war –, wird man selbst in Mitleidenschaft  gezogen. Syrien hat sich daher 1976 im Libanon eingemischt, um sich  selbst und auch den Libanon zu schützen. Daher kümmern wir uns auch um  das, was im Irak geschieht, denn wir werden direkt davon beeinflusst.  Gegen den Krieg im Irak zu sein, war daher entscheidend, trotz der  amerikanischen Drohungen jener Zeit. Konfessionelle Ordnungen sind  gefährlich.
                   
Auf der Seite der Rebellen in Syrien kämpft die Nusra-Front. Wer ist das? Wer versorgt sie mit Waffen und Geldern?
                   Die Nusra-Front ist ein Zweig von Al Qaida. Sie  vertritt dieselbe Ideologie. Zu finden ist sie in Syrien, im Irak, im  Libanon und in Jordanien. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch  anonyme Personen und Organisationen mit derselben Ideologie. Sie  verfügen über Unsummen an Geld und Waffen. Die Spenden fließen direkt an  die Nusra-Front; es ist schwierig, Herkunft und Abnehmer dieser  Ressourcen aufzuspüren. Die Nusra-Front zielt auf die Errichtung eines  islamischen Staats und stützt sich hauptsächlich auf die wahhabitische  Konfession. Letztlich mündet das ins Konzept von Al Qaida – siehe die  Lage in Afghanistan. Das betrifft in erster Linie die Frauen. Die  Nusra-Front will das islamische Gesetz, die Scharia, anwenden. Das ist  eine entstellte und deformierte Form des Islams. Auf Youtube kann man  eine Vorstellung von ihrem barbarischen Handeln bekommen. Im belgischen  Fernsehen war kürzlich zu sehen, wie ein Unschuldiger mit einem Beil  enthauptet wurde. Die Mitglieder der Nusra-Front kommen aus Syrien, aus  anderen arabischen und islamischen Staaten, auch aus Europa.
                   
Wie schätzen Sie die Syrien-Politik Frankreichs und Großbritanniens ein?
                   Ich bin der Auffassung, dass Frankreich und  Großbritannien ein Problem mit der – nach ihrer Auffassung – störenden  syrischen Rolle in der Region haben. Sie und die Vereinigten Staaten  suchen nach Lakaien und Puppen, die ihre Interessen durchsetzen. Wir  haben das abgelehnt. Wir waren immer unabhängig und frei. Frankreich und  Großbritannien sind historisch Kolonialmächte. Wahrscheinlich haben sie  das nicht vergessen. Sie handeln in dieser Region durch Vertreter und  Kollaborateure. Es kann sein, dass Frankreich und Großbritannien  Saudi-Arabien und Qatar steuern. Wir sollten nicht außer Acht lassen,  dass die Politik und die Wirtschaften Frankreichs und Großbritanniens  von Petrodollars abhängig sind. Was in Syrien vor sich geht, ist eine  Chance für diese Staaten, einen nicht fügsamen Staat an den Rand zu  drängen und nach einem neuen Präsidenten zu suchen, der immer nur  „jawohl“ sagt. Den haben sie nicht gefunden und den werden sie auch in  Zukunft nicht finden.
                   
Die EU hat ihr Waffenembargo gegen Syrien  nicht verlängert, aber noch keine Entscheidung zur Lieferung von Waffen  an die Rebellen getroffen.
                   Ich kann nicht behaupten, dass die Europäer auf der  Seite Syriens stehen. Es gibt Staaten, die gegenüber dem syrischen  Staat eine feindselige Haltung einnehmen, insbesondere Frankreich und  Großbritannien. Die anderen Staaten, in erster Linie Deutschland,  stellen rationale Fragen zu Waffenlieferungen an Terroristen. Was würde  geschehen? Erstens, Syrien würde noch mehr zerstört. Wer würde den Preis  zahlen? Das syrische Volk. Zweitens, die Europäer liefern Waffen und  wissen, dass sie diese an Terroristen liefern. Manche unterscheiden  zwischen „guten“ und „schlechten“ Kämpfern, so wie sie vor ein paar  Jahren zwischen „guten“ und „schlechten“ Taliban sowie einer „guten“ und  „schlechten“ Al Qaida unterschieden haben. Ist das vernünftig? Wenn die  Europäer Waffen liefern, wird der Hinterhof Europas terroristisch, und  Europa wird den Preis dafür zahlen. Terrorismus bedeutet hier Chaos;  Chaos führt zu Armut; und Armut bedeutet, dass Europa einen wichtigen  Markt verliert. Die zweite Folge wäre der direkte Export des Terrorismus  nach Europa. Terroristen werden kampferfahren und mit extremistischer  Ideologie ausgerüstet zurückkehren. Für Europa gibt es zu einer  Kooperation mit dem syrischen Staat keine Alternative, auch wenn das  Europa nicht gefällt.
                   
Sehen Sie sich als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus?
                   Das sagt einem die Vernunft. Leider gehen viele  Verantwortliche in Europa nicht rational vor, nicht realistisch und  nicht objektiv. Sie lassen sich von negativen Gefühlen leiten statt vom  Verstand. Politik hat mit Interessen zu tun, sie basiert nicht auf Liebe  oder Hass. Sie sollten sich als Deutscher fragen, worin Ihr Interesse  an dem besteht, was in dieser Region geschieht. Was hier geschieht,  richtet sich gegen das Interesse Europas. Denn Europa hat ein Interesse  an der Bekämpfung des Terrorismus.
                   
Nicht wenige sehen die libanesische  Hizbullah als terroristische Organisation. Sie kämpft an der Seite der  syrischen Armee, etwa in Qusair. Es gibt Hinweise, dass iranische  Pasdaran syrische Einheiten ausbilden. Brauchen Sie diese Verbündeten?
                   Medien versuchen das Bild zu vermitteln, dass die  Hizbullah kämpfe, weil die syrische Armee schwach sei. In Wirklichkeit  erringen wir seit ein paar Monaten große Siege in verschiedenen  Regionen, die vielleicht wichtiger sind als Qusair. Aber darüber wird  nicht berichtet. Niemand anders kämpft in solchen Gebieten als die  syrische Armee. Es gibt auch lokale Bürgerwehren, die zusammen mit der  Armee ihre eigenen Gebiete verteidigen. Das ist ein Grund unseres  Erfolgs. Qusair bekam besondere Bedeutung aufgrund der Erklärungen  westlicher Verantwortlicher, dass es sich in Qusair um eine strategische  Stadt handle. Das ist übertrieben. In der Stadt gab es jedoch viele  Bewaffnete und Waffenarsenale.
                   
Was war dann die Rolle der Hizbullah?
                   Die Terroristen hatten begonnen, die der Hizbullah  nahestehenden Dörfer entlang der Grenze zu beschießen. Es war  unumgänglich, dass die Hizbullah mit der syrischen Armee eingriff, um  das Chaos zu beenden. Die syrische Armee ist eine große Armee und kann  ihre Aufgabe mit den lokalen Bürgern in allen Gebieten wahrnehmen.  Brauchten wir wirklich Hilfe, hätten wir diese Hizbullah-Kräfte in das  Umland von Damaskus gebracht. Sie wissen, dass Kämpfe an der Peripherie  von Damaskus stattfinden. Damaskus ist viel wichtiger als Qusair, auch  Aleppo ist wichtiger als Qusair, alle Großstädte sind es. Diese  Propaganda bezweckte zweierlei: Erstens zu zeigen, dass die Hizbullah  die Arbeit macht, und zweitens sollte die westliche und internationale  Meinung gegen die Hizbullah aufgebracht werden.
                   
Wie groß sind die Einheiten der Hizbullah in Syrien?
                   Es gibt keine Verbände. Es handelt sich um  individuelle Kämpfer entlang der Grenze, etwa wo die Terroristen bei  Qusair zu finden waren. Sie haben die syrische Armee bei den  Säuberungsaktionen entlang der libanesischen Grenze unterstützt. Die  Kräfte der Hizbullah sind Richtung Israel stationiert und können den  Süden des Libanons nicht verlassen. Auch wenn die Hizbullah Kämpfer nach  Syrien geschickt hatte, wie viele können das sein? Einige Hunderte? Wir  sprechen von einer Schlacht mit hunderttausend Soldaten der syrischen  Armee. Einige Hunderte können an einem Ort Einfluss nehmen, nicht aber  das Kräfteverhältnis in Syrien verändern.
                   
Die Regierungen Frankreichs und  Großbritanniens sagen, ihnen lägen Beweise vor, dass die syrische Armee  chemische Waffen eingesetzt habe. Nun sagt das auch die amerikanische  Regierung. Weshalb gestatten Sie den Inspekteuren der UN nur den Zugang  nach Aleppo?
                   Beginnen wir mit dem, was das Weiße Haus  bekanntgegeben hat, mit den 150 Toten in einem Zeitraum von einem Jahr.  Militärisch gesehen, können konventionelle Waffen an einem Tag viel mehr  als diese Zahl in einem ganzen Jahr töten. Waffen, die zur  Massenvernichtung eingesetzt werden, sind in der Lage, Hunderte,  Tausende auf einmal zu töten. Deshalb werden sie eingesetzt. Es ist  daher unlogisch, Chemiewaffen einzusetzen, um eine Zahl von Menschen zu  töten, die durch Einsatz konventioneller Waffen erreicht werden kann.  Frankreich und Großbritannien sowie einige amerikanische und europäische  Verantwortliche haben gesagt, wir hätten diese Waffen in einigen  syrischen Gebieten eingesetzt. Wir haben weder erklärt, dass wir  chemische Waffen besitzen, noch, dass wir sie nicht besitzen. Chemische  Waffen sind Massenvernichtungswaffen. Hätten Paris, London und  Washington nur ein einziges Beweismittel für ihre Behauptungen, hätten  sie dieses der Weltöffentlichkeit vorgelegt. Wo bleibt die Kette der  Beweise, die zu dem Ergebnis führen soll, dass „Syrien chemische Waffen  eingesetzt“ habe? Als Beweis dafür, dass die Terroristen diejenigen  sind, die chemische Waffen einsetzen, haben wir die UN aufgefordert,  eine Untersuchungskommission an jenen Ort zu schicken, an dem die  Terroristen chemische Waffen eingesetzt haben – und das war in Aleppo.  Franzosen und Briten haben diesen Antrag blockiert. Wäre die  Untersuchungskommission gekommen, hätte sie festgestellt, dass die  Terroristen chemische Waffen eingesetzt haben. Alles, was über den  Einsatz von Chemiewaffen gesagt wird, ist eine Fortsetzung der Lügen  über Syrien. Es ist der Versuch, mehr militärische Einmischung zu  rechtfertigen.
                   
Weshalb lehnen Sie dann Inspekteure der UN ab?
                   Es wird sich herausstellen, dass Frankreich und  Großbritannien an der Wahrheit vorbeigehen. Sie wollten, dass die  Kommission Zugang zu allen Plätzen bekommt und die gleiche Arbeit  verrichtet, die einst die Waffeninspekteure im Irak getan haben. Dabei  haben sie sich in Angelegenheiten eingemischt, die nicht unter ihre  Befugnisse fallen. Wir sind ein Staat, wir haben unsere Armee, wir haben  unsere Geheimnisse. Wir werden niemand erlauben, sich Einblick in sie  zu verschaffen, nicht den UN, nicht Frankreich, nicht Großbritannien,  nicht anderen.
                   
Weshalb bombardiert die syrische Armee bewohnte Gebiete?
                   Wir jagen die Terroristen, wohin sie auch gehen.  Sie gehen oft in Wohngebiete. Nehmen wir als Beispiel Qusair. Westliche  Medien berichteten von 50.000 Zivilisten in Qusair. Die Zahl der  Bewohner war ursprünglich viel kleiner. Als sich die Terroristen des  Orts bemächtigten, verließen ihn die Bewohner. Wir fanden nahezu keine  Zivilisten vor, als wir in Qusair einzogen. Kommen die Terroristen,  verlassen die Zivilisten jeden Ort, und die Kämpfe brechen aus. Beleg  dafür ist die Tatsache, dass die meisten Opfer Angehörige des Militärs  sind. Die Zivilisten, die getötet wurden, sind Opfer von Terroristen,  die Hinrichtungen vollstreckten und Zivilisten als menschliche  Schutzschilder benutzten. Eine große Zahl der zivilen Opfer wird durch  Selbstmordanschläge und Autobomben getötet. Die restlichen Getöteten  sind entweder syrische oder ausländische Terroristen.
                   
Nachdem Ihre Armee die Stadt Qusair erobert  hat: Warum nutzen Sie das nicht, um der Opposition die Hand zur  nationalen Versöhnung auszustrecken?
                   Vom ersten Tag hatten wir unsere Hand ausgestreckt  für jeden, der den Dialog will. Wir haben diese Haltung nicht geändert.  Wir haben zu Beginn der Krise eine nationale Dialogkonferenz abgehalten,  parallel dazu bekämpften wir die Terroristen. Bei dem Begriff  Opposition sollten wir nicht alle in einen Topf werfen, wir sollten  nicht Terroristen mit Politikern zusammentun. Sie haben in Deutschland  eine Opposition, sie trägt aber keine Waffen. Sprechen wir von  Opposition, meinen wir Politiker. Wir sind stets bereits, mit diesen  Politikern in einen Dialog einzutreten. Das hat mit Qusair nichts zu  tun. Ich glaube nicht, dass nationale Versöhnung ein zutreffender  Begriff ist. Es handelt sich bei uns nicht um einen Bürgerkrieg wie im  Libanon. Es ist auch nicht eine Frage wie zwischen Weißen und Schwarzen  in Südafrika. Hier handelt es sich um einen Dialog, der darauf zielt,  aus der Krise herauszukommen und die Terroristen dazu zu bewegen, die  Waffen niederzulegen. Die Genfer Konferenz verfolgt die genannten  politischen Ziele. Also, der politische Prozess ist nicht zum Stillstand  gekommen. Es gibt allerdings Hindernisse von außen – die Türkei, Qatar,  Saudi-Arabien, Frankreich und Großbritannien. Sie wollen den Dialog  nicht. Sie wollen vielmehr die Fortsetzung der Unruhen, und das führt  dazu, dass sich der Dialog und die politische Lösung verzögern.
                   
Mit wem sind Sie bereit, sich an einen Tisch zu setzen?
                   Mit jeder Opposition, die keine Waffen trägt, nicht  den Terrorismus unterstützt und ein politisches Programm hat. Die  Opposition hat sich in Wahlen zu bewähren; das sind Lokalwahlen und –  als wichtigstes – Parlamentswahlen. Wir haben es mit Kräften zu tun, die  sich Opposition nennen. Hier stellen wir zwei Fragen: Was ist ihre  Basis im Volk? Was ist ihr politisches Programm? Entsprechend verhalten  wir uns.
                   
Weshalb haben Sie bisher nicht mit der Opposition in Syrien verhandelt?
                   Wir haben in der ersten Dialogkonferenz von 2011  jeden eingeladen, der sich als Oppositioneller betrachtet. Ein Teil der  Oppositionellen kam, andere schlugen die Einladung mit der Begründung  aus, dass wir ihnen nicht entgegengekommen seien. Was ist damit gemeint?  Was bieten wir ihnen an? Ministerposten im Kabinett? Sie haben ja  keinen Sitz im Parlament. Wie können wir wissen, wer es verdient, in der  Regierung zu sein? Dazu braucht man Kriterien und Maßstäbe. Das hat  nichts mit Launen zu tun. Die einzige Opposition, die sich heute in der  Regierung befindet, ist die Opposition, die Sitze im Parlament errungen  hat. Um es klar zu sagen: Der Staat ist nicht Eigentum des Präsidenten,  um Geschenke in Form von Ministerien zu verteilen. Es ist ein nationaler  Prozess, Regierung und Verfassung werden vom Volk bestimmt. Unsere  Türen sind geöffnet.
                   
Gibt es Raum für eine politische Lösung?
                   Wenn die Opposition unabhängig und national ist,  haben wir kein Problem. Die Opposition im Ausland legt ihre Berichte den  westlichen Außenministerien und deren Geheimdiensten vor. Wer sie  finanziert, gibt ihnen ihre Entscheidungen vor. Für uns bedeutet  Opposition, dass sie einen Teil der Bevölkerung repräsentiert und nicht  einen ausländischen Staat. Um eine aufrichtige Opposition zu sein, muss  man auf syrischem Boden mit seinem Volk sowie dessen Problemen und Nöten  leben. Erst dann kann diese Opposition Teil eines politischen Prozesses  sein.
                   
Sie haben gesagt, Sie verhandeln nicht mit Sklaven, sondern nur mit deren Herren. Was bedeutet das?
                   Ich habe diesen Vergleich angestellt, um  klarzustellen, was wirklich passiert. Im Fernsehen war zu sehen, wie der  französische Botschafter in Syrien mit der syrischen Opposition  gesprochen hat, wie er ihr Befehle gegeben und sie sogar beschimpft hat.  In einem anderen Video haben Oppositionelle ausgesagt, wie der  amerikanische Botschafter in Syrien sie beschimpft hat. Praktisch werden  wir Verhandlungen führen mit den Vereinigten Staaten, Frankreich und  Großbritannien sowie deren Werkzeugen Türkei, Qatar und Saudi-Arabien.  Die Kräfte, die sich Opposition im Ausland nennen, sind bloße  Angestellte und in diesem Sinne Sklaven.
                   
Was erwarten Sie von der Syrien-Konferenz, die in diesem Sommer in Genf stattfinden soll?
                   Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz eine wichtige  Station wird, um den Dialog in Syrien voranzutreiben. Insbesondere weil  wir zu Beginn des Jahres eine Vision für eine politische Lösung  bekanntgegeben haben. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass es  Staaten gibt, die an einem Erfolg in Genf nicht interessiert sind. Das  sind die gleichen Staaten, die den Terrorismus in Syrien unterstützen.  Gelingt es der Konferenz – und das ist es, was wir hoffen –, zu  verbieten, dass Waffen nach Syrien eingeschleust werden und Terroristen  einsickern – es gibt Terroristen aus 29 Nationen –, dann ist das ein  Ansatz zum Erfolg. Geschähe das nicht und setzte sich der Terrorismus  fort: Worin bestünde dann der Wert einer politischen Lösung? Eine  politische Lösung basiert darauf, das Einschleusen von Terroristen und  Waffen nach Syrien zu stoppen. Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz mit  diesem Punkt beginnt. Sollte es ihr gelingen, dies zu beschließen,  betrachte ich die Konferenz als erfolgreich. Ohne dieses Ergebnis würde  die Konferenz keinen Erfolg haben.
                   
Was wäre die Folge eines Scheiterns der Konferenz?
                   Geht die syrische Krise nicht zu Ende, wird sie auf  andere Länder übergreifen, und die Lage wird sich verschlechtern. Der  Verstand gebietet es zwar, dass alle an einem Erfolg Interesse haben.  Aber die Opposition im Ausland würde ihre Gelder verlieren, sollte die  Konferenz erfolgreich sein. Hat man weder Geld noch eine Basis in der  Bevölkerung, besitzt man gar nichts.
                   
Kann aus Genf eine Übergangsregierung mit Personen aus verschiedenen politischen Lagern hervorgehen?
                   Wir sind auf eine erweiterte Regierung eingegangen,  die unterschiedliche Seiten vertritt und die Parlamentswahlen  vorbereitet. Wer in diesen Wahlen Erfolg hat, wird an der Regierung  teilnehmen, wer nicht, hat darin keinen Platz.
                   
Es heißt, nach so viel Blutvergießen sei  ein politischer Neubeginn nur mit neuen Führern möglich. Sind Sie  bereit, Ihr Amt als Präsident aufzugeben?
                   Die Verfassung schreibt die Aufgaben des  Präsidenten vor. Seine Legislaturperiode endet 2014. Befindet sich das  Land in einer Krise, so sind die Aufgaben des Präsidenten größer und  nicht kleiner. Selbstverständlich kann man das Land während einer Krise  nicht im Stich lassen. Immer wieder vergleiche ich die Lage mit einem  Schiff, das in einen Sturm gerät. Man stelle sich vor, der Kapitän  verlässt das Schiff und flieht mit einem Rettungsboot. Unter diesen  Umständen aufzugeben, bedeutete, einen großen nationalen Verrat zu  begehen. Eine andere Sache ist es, wenn das Volk beschließt, dass jemand  sein Amt verlieren soll. Wie kann man wissen, ob das Volk will, dass  man das Amt aufgibt? Entweder durch Wahlen oder ein Referendum. Am  Referendum zur neuen Verfassung haben sich 58 Prozent der Wähler  beteiligt. 89,4 Prozent stimmten der neuen Verfassung zu, das ist ein  guter Indikator. Nicht der Präsident ist das Problem. Andere Staaten  wollen, dass der Präsident zugunsten eines von diesen Staaten bestimmten  Lakaien abtritt.
       		 	 			 			 			 	 	      	Mit dem syrischen Präsidenten sprach
 Rainer Hermann.
 
          Quelle: F.A.Z.
Syriens Machthaber Assad im F.A.Z.-Gespräch: